Ulf-Leseprobe: Über Träume, Demos und sehr viel Wasser
Aus Petras Werkstatt Ulf
Zur Einstimmung auf mein neues eBook "Ulf" gibt es hier einen Auszug aus dem ersten Kapitel, "Johanna". Titelheld Ulf ist noch nicht ganz wach, aber man spürt schon, dass er sich sehr interessante Gedanken machen kann. Also, viel Spaß damit:
Ulf wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Noch nicht. Wenn er sie aufschlug, das wusste er, würde der seltsame Traum auf Nimmerwiederfinden davonfliegen. Und das wollte er nicht. So hielt er die Augen geschlossen, nicht zu fest, sondern locker und entspannt, und versuchte, sich noch einige Sekunden in dem Schwebezustand zwischen Schlafen und Wachen zu halten, der es ihm erlaubte, sich an die Geschichte zu erinnern. Also, wie war das noch?
Es war in Hannover gewesen, an einem späten Sommernachmittag. Er hatte auf einem großen Platz, wahrscheinlich war es der Kröpke, gestanden, und alles war voll mit Kühen, mit schwarzweißgefleckten Niederungsrindern hauptsächlich, doch waren auch einige Kakaokühe zu sehen, und sogar ein paar Alpenrinder mit prächtigen Kuhglocken an breiten, buntbestickten Bändern um den Hals waren erschienen. Nach und nach füllte sich der ganze Platz mit den muhenden Wiederkäuern. Es schien sich um eine Art Kundgebung zu handeln. Presse war reichlich zugegen, Blitzlichter der Fotografen flammten immer wieder auf.
Dann kamen die Schweine. Sie waren von der Marktkirche aus losmarschiert und gesellten sich nun leise grunzend, doch sehr diszipliniert zu den Kühen. Immer mehr nackte, rosafarbene Leiber drängten sich zwischen das Schwarzweiß, und als Ulf glaubte, der Platz könne sich unmöglich noch mehr füllen, tauchte vom Steintor her der Zug des Geflügels auf. Weiße und braune Hühner, bunte Hähne, Enten und Gänse in allen Weiß-, Grau- und Braunschattierungen, Stockerpel mit grünem Kopf, auch einige Fasane und Rebhühner; und sogar ein Truthahn, ein ehrfurchtgebietender Koloss, hatte den Weg hierher gefunden.
Inzwischen war auch vom Bahnhof eine Kolonne aus Hasen und Kaninchen heran marschiert, die allesamt sehr entschlossen aussahen. Ein alter Stier aus Argentinien erklomm ein Podest und brüllte seine donnernde Ansprache ins Mikrophon, die immer wieder von lauten Beifallsbekundungen unterbrochen wurde; dann brüllten und muhten die Rindviecher, die Schweine grunzten lärmend, das Federvieh schnatterte und gackerte und kollerte, aber am lautesten waren doch die Hasen, die mit ihren Hinterbeinen auf den Boden trommelten.
Abschließend wurde ein riesiges Transparent ausgebreitet, auf dem in schiefen, blutroten Buchstaben die Botschaft stand, die sie den Menschen in aller Welt übermitteln wollten. Ulf hatte ein wenig Mühe, das Geschmiere der schreibungewohnten Kuhhufe zu entziffern, doch schließlich las er, und er las es laut für alle: „ESST MEHR FISCH!“
Ulf lachte leise und schaute noch eine Weile zu, wie das Sonnenlicht rötlich durch seine geschlossenen Augenlider schien. Dann räkelte er sich genüsslich. Er war es gewohnt, bunte und lustige Träume zu haben, und diese Geschichte gefiel ihm. Dass er von Hannover geträumt hatte, war am Ende ganz in der Ordnung. Er würde sich über kurz oder lang sowieso mit der Stadt anfreunden müssen, da war ein Traum ein guter Anfang. Wenn ihm vor der Abreise noch Zeit blieb, würde er versuchen, ein Bild von dieser seltsamen Tier-Demonstration zu zeichnen, das wollte er ganz oben in seinen Koffer packen ... Doch jetzt: genug geschlafen.
Ulf schwang sich aus dem Bett und - erstarrte noch zwei Zentimeter bevor seine Füße den Boden berührten. Er stand im Wasser, in kaltem, trüben Flusswasser, das sich gleichmäßig über die Fliesen seines Zimmers verteilt hatte.
„Schon wieder“, stöhnte er.
Seine Pantoffeln, die neben der Lampe auf dem Nachttisch standen, zog er gar nicht erst an, sondern griff gleich zu den dunkelgrünen Gummistiefeln. Die passten zwar farblich nicht besonders gut zu seinem blauweißgestreiften Schlafanzug, aber dafür trugen sie ihn trockenen Fußes durch die erdige Suppe hinüber zur Küche. Vergessen der Traum von der kuhüberschwemmten Stadt am hohen Ufer. Das hier war die Wirklichkeit.
[...]
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© Petra Hartmann