Freiheitsschwingen und die Anfänge: Mein erster Versuch zum Hambacher Fest
Freiheitsschwingen Hambacher Fest
Ein interessantes Dokument zur Entstehungsgeschichte meines Romans "Freiheitsschwingen" habe ich neulich auf meiner Festplatte wiedergefunden. Es handelt sich um einen kurzen Artikel zum Hambacher Fest, den ich Ende 1995 als eine Art Selbstverständigungstext verfasst habe.
Ich bereitete mich damit auf meine mündliche Magisterprüfung im Fach Politik vor. Ein seltener Glücksfall hatte mich damals Professor Brockmeier kennen lernen lassen, der mich angesichts meiner Ratlosigkeit beim Abstecken der Themen, fragte: "Warum lassen Sie sich denn nicht über die Vormärz-Liberalen prüfen?" Damit konnte ich hervorragend den Schwerpunkt "Geschichte der politischen Bewegungen" abdecken. Und plötzlich war mir klar, dass "Hambach" wirklich mein Thema war - und sogar ausgezeichnet zu meinem literaturwissenschaftlichen Schwerpunkt - Vormärz und Junges Deutschland - passte.
Der Text ist, wie gesagt und wie ihr an den unaufgelösten ß und einigen anderen orthographischen Details erkennen könnt, schon älteren Datums. Die Schlusssätze würde ich heute etwas anders formulieren. Unter anderem würde ich darauf hinweisen, dass Wirth und Siebenpfeiffer zwar tatsächlich vor Gericht gewannen und freigesprochen wurden, aber trotzdem nicht vollständig gewonnen hatten. So wurde Siebenpfeiffer nach seinem Freispruch trotzdem zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wegen "Beamtenbeleidigung", konnte jedoch aus dem Gefängnis fliehen und fand Asyl in der Schweiz. Auch Wirth musste zwei Jahre wegen Beleidigung absitzen, danach eine weitere Haftstrafe, auch er flüchtete in die Schweiz.
Siebenpfeiffer wurde nur 56 Jahre alt, Wirth nicht ganz 50. Es ist richtig, dass Wirth 1847 mit großer Mehrheit ins Paulskirchenparlament gewählt wurde, aber er starb noch vor der Eröffnungssitzung. Die Verfolgung durch die Behörden, die Prozesse und Haftstrafen haben bei beiden Spuren hinterlassen.
Auch würde ich den positiven Ausblick auf die Grundrechte, die von Hambach über die Paulskirche den Weg in unser Grundgesetz gefunden haben, etwas nüchterner betrachten. Es müsste noch ein zynischer Kommentar über den zerstörten Asylartikel und den "großen Lauschangriff" folgen, der sich heute in eine massive Bürgerbespitzelung ausgewachsen hat ...
Aber, wie gesagt, der Text ist etwas älter, und damals ging es ja nur um Hambach und einen kurzen Blick auf die Folgen. Hier also meine Prüfungsvorbereitung zum Hambacher Fest:
Das Hambacher Fest
a) Zur Vorgeschichte
In den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts gab es das , was wir heute „Deutschland“ nennen, noch nicht, oder auch nicht mehr. Es existierte kein einheitliches Staatsgebiet, sondern auf der damaligen Landkarte fand sich nur ein bunter Flickenteppich aus fast vierzig souveränen deutschen Staaten, von denen jeder einzelne seine eigene Regierungsform, seine eigenen Maße und Gewichte, seine eigene Währung und seine eigenen - oft sehr hohen - Zölle hatte. Es gab zwei wirklich große deutsche Staaten, nämlich Preußen und Österreich, einige wenige mittelgroße (die beiden bedeutendsten waren die Königreiche Hannover und Bayern) und sonst nur winzige „Zwergstaaten“, die kaum politisches Gewicht hatten, aber eben darum desto eifriger ihre Souveränität hüteten. Die meisten dieser Staaten wurden von sogenannten absoluten Herrschern regiert, d.h. der Fürst hatte das Recht, alles zu tun, was ihm gerade einfiel, während die Einwohner weder auf politischer Ebene mitarbeiten und ihre Interessen vorbringen konnten noch über so etwas wie Grundrechte verfügten. Rechtssicherheit oder Demokratie gab es damals noch nicht in den deutschen Staaten. Es gab auch keine Möglichkeit, den jeweiligen Fürsten zu kritisieren; Zeitungen wurden vor dem Erscheinen von besonderen Beamten, den Zensoren, gelesen, die jeden Satz, der der Regierung nicht genehm war, einfach strichen. Wer etwas Kritisches schreiben wollte, mußte das so tun, daß der jeweilige Zensor es nicht merkte.
In diesem Zustand fand Napoleon die deutschen Staaten vor. Da diese Länder sehr klein waren, hatte er keine Probleme damit, einen Teil davon zu erobern. Das war für die Bewohner dieser Länder gar nicht einmal so unangenehm, denn gleich nach der Eroberung wurde dort der „Code Napoleon“ eingeführt, d.h. sie erhielten zum ersten Mal eine schriftliche, verbindliche Garantie ihrer Grundrechte und viele politische Freiheiten, die sie unter ihren alten Fürsten nicht gehabt hatten.
Als die Regierungen der anderen Kleinstaaten das bemerkten, bekamen sie es mit der Angst zu tun. In dieser Situation fiel ihnen eine geniale Strategie ein: Sie wandten sich an ihre Untertanen und erklärten: „Ganz egal, in welchem Staat ihr lebt, wir sind doch alle Deutsche, wir dürfen uns doch nicht von einen dahergelaufenen Franzosen regieren lassen“ (vorher war es eigentlich jedem egal, aus welchem Land sein Herrscher kam). Damit erwachte erstmalig ein deutsches „Nationalgefühl“, und die Einwohner der Kleinstaaten erhoben sich alle gemeinsam und vertrieben die französischen Eroberer („Befreiungskriege“). Die Propaganda der deutschen Fürsten hatten einen so durchschlagenden Erfolg, daß sogar die Bürger der eroberten Länder begeistert mitkämpften, den Code Napoleon wegwarfen und ihre alten Landesherren mit Jubel wieder aufnahmen.
Um eine solche Menge Menschen in Bewegung zu setzen, hatten die vereinigten Fürsten allerdings auch ein Versprechen ablegen müssen, sie versprachen nämlich ihren Völkern, nach der Vertreibung der Franzosen würde in jeden deutschen Land eine Verfassung erlassen werden.
b) Das Fest auf dem Hambacher Schloß
Unter den ehemals von Napoleon besetzten Gebieten befand sich auch ein Land, das man „Rheinbayern“ nannte (Pfalz). Dieses Land wurde nun dem Staat Bayern zugeschlagen. Es blieben zwar einige Sonderrecht erhalten, aber die Einwohner, die ja schon einmal eine Verfassung gehabt hatten, waren nun nicht mehr so leicht zu regieren wie vorher. An allen Ecken und Enden tauchten liberale, freiheitliche Gedanken und Vorstellungen auf, überall wurden oppositionelle Zeitschriften gegründet, die nicht mehr so einfach zu unterdrücken waren, es entstanden kleinere Gruppen politisch engagierter Menschen, überall traten Redner auf, und so sehr sie auch in anderen Dingen unterschiedlicher Meinung waren, über zwei Dinge waren sie sich einig: diese entsetzliche Kleinstaaterei muß ein Ende haben, und wir wollen endlich die versprochene Verfassung und eine wirklich festgelegte Garantie der Grundrechte.
Unter diesen Leuten befanden sich zwei Journalisten, Siebenpfeiffer und Wirth. Siebenpfeiffer leitete zwei Zeitschriften, „Rheinbayern“ und den „Westboten“, Wirth hatte gerade die „Tribüne“ gegründet. Beide gingen davon aus, daß das Wichtigste von allem sei, die Bürger über politische Ereignisse und Forderungen überhaupt ersteinmal zu informieren. In dieser Zeit entdeckte man zum ersten Mal die Macht der Presse. Die beiden gründeten zusammen den „Preßverein“, eine Vereinigung, die sich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzierte und die Gründung und Verteilung von liberalen Zeitschriften förderte.
Wirth und Siebenpfeiffer luden alle liberal denkenden Menschen zu einer Versammlung nach Hambach ein. Am 27. Mai 1832 trafen sich ca. 25.000 Teilnehmer auf der Schloßruine von Hambach (Feste waren damals eine der wenigen politischen Demonstrationsformen, die nicht so leicht zu verbieten waren).
Es waren Delegationen aus fast allen deutschen Staaten gekommen und dazu zwei Abordnungen aus Frankreich und Polen (Frankreich als „Vaterland der Revolution und der Menschenrechte“; und Polen hatte gerade vergeblich versucht sich von der russischen Herrschaft zu befreien; beide Länder wurden von den deutschen Liberalen als ihre natürlichen Verbündeten betrachtet). Es wurden sehr viele Reden gehalten und viele zu diesem Fest eigens gedichtete Lieder gesungen; (die meisten Reden waren von der Qualität von Tischreden oder Trinksprüchen, die Lieder für heutige Ohren ungenießbar. Bemerkenswert sind die Reden von Siebenpfeiffer und Wirth. Siebenpfeiffer entwickelte in seinen Reden die Utopie eines freien Deutschland und Europa. Er dachte auch an die Gründung eines Völkerbundes (eine Art UNO-Vorläufer). Wirths Rede enthält
a) ein Wirtschaftsprogramm. Er meine, wenn erst die vielen innerdeutschen Grenzen wegfallen, wird der Handel florieren, und dann ist es auch endlich mit der drückenden Armut in Deutschland vorbei. Er dachte auch an einen freien Welthandel.
b) eine massive Kritik an Frankreich. Er wirft den französischen Liberalen vor, sie würden den deutschen nur helfen, wenn sie dafür die deutschen Gebiete auf der „linken“ (westlichen) Rheinseite bekommen (Elsaß und Lothringen waren damals die zentrale Streitfrage).
c) die Forderung, aus dem “Preßverein“ eine revolutionäre Vereinigung zu machen, also nicht nur Zeitungen zu verteilen.
d) will er „das Fest auf Dauer stellen“, d.h. er will zusammen mit den anderen Teilnehmern eine Organisation gründen und aus den auf dem Fest gesammelten Ideen konkrete Pläne und Programme gewinnen und diese umsetzen.
Wegen der Punkte b) und c) hat es sehr viel Tumult und Ärger gegeben, und er fand dafür keine Mehrheit.
Obwohl es schon vorher durchaus liberale Strömungen gegeben hat, gilt diese Veranstaltung als der Anfangspunkt der liberalen in Deutschland. Fast alle heutigen demokratischen Parteien leiten ihre Ursprünge aus dem Hambacher Fest ab.
c) Nachbereitung des Festes
Auf Wirths Vorschlag hin wurde eine Kommission gegründet, die bis zum 30. Mai in Hambach blieb und versuchte, die Gedanken des Festes fortzuführen. Es zeigte sich aber, daß man sich zwar über die Grundrechte einig war, sonst aber so unterschiedliche Ansichten hatte, daß man kaum auf einen gemeinsamen Nenner kommen konnte. Vor allem einige aus Norddeutschland angereiste Studenten waren dafür, mit dem Diskutieren aufzuhören und endlich anzufangen mit der Revolution. Andere meinten, man solle einige der Fürsten um ihre Mithilfe bitten und eine Reform „von oben“ durchführen.
Die Hambacher überlegten am Ende sogar, eine provisorische Regierung zu gründen, doch als sie darüber abstimmten, erklärte sich die Mehrheit, sie fühlten sich dazu nicht berechtigt. Heinrich Heine hat später eine sehr boshafte Schilderung darüber verfaßt: Da strömen von überall die Leute zusammen, um eine Revolution zu machen, stellen plötzlich fest, sie seien nicht kompetent, und gehen danach friedlich und etwas traurig auseinander ...
Diejenigen, die sich auf dem Fest hervorgetan haben, wurden wenige Tage darauf fast ausnahmslos verhaftet. Zum Teil saßen sie über ein Jahr in Untersuchungshaft. Als es dann aber zum Prozeß kam, stellte sich heraus, daß sich unter den Hambachern viele ausgezeichnete Juristen befanden (auch Wirth und Siebenpfeiffer hatten Jura studiert), ihre Verteidigung und ihre Reden waren so überzeugend, daß selbst die damaligen Gerichte alle Angeklagten freisprechen mußten. Die liberale Bewegung in den deutschen Staaten aber wurden allesamt niedergeschlagen, und es hat 16 Jahre gedauert, bis sie sich wieder erholten und endlich ihr Ziel erreichten:
Im Jahr 1848 versammelte sich in der Frankfurter Paulskirche das erste frei gewählte deutsche Parlament und arbeitete eine Verfassung für alle deutschen Staaten aus. Außer Siebenpfeiffer, der 1845 gestorben war, befanden sich alle Wortführer der Hambacher unter den Abgeordneten (z.B. Wirth, Hepp, Schüler, Savoye, Brüggemann). Erster Tagesordnungspunkt: Die Festschreibung der Grundrechte, die später auch Grundlage der Weimarer Verfassung wurden und auch heute noch im Grundgesetz der Bundesrepublik (Art. 1-19) wiederzufinden sind.
Petra Hartmann
Mehr zum Hintergrund der "Freiheitsschwingen:
Theodor Mundts "Madonna"
© Petra Hartmann