Jahresrückblick III: Juli bis September 2015
September
Nun aber zu meinen Lesefrüchten des dritten Quartals 2015. Diesmal vorwiegend Antikes, eine Menge Science-Fiction, Fantasy und Horror, dazu kam einiges an ???-Cassetten. Viel Vergnügen damit.
Legende:
Ein (e) hinter dem Titel bedeutet, dass ich den Text in der eBook-Fassung gelesen habe.
Blaue Schrift weist auf herausragend gute Bücher hin.
Rot markiert sind Bücher, die ich so abgrundtief schlecht finde, dass ich euch ausdrücklich davor warne.
Bei verlinkten Titeln landet ihr auf ausführlicheren Besprechungen innerhalb dieses Blogs.
Juli
Aristoteles: Eudemische Ethik
Ich hatte mich im Studium ziemlich intensiv mit der Nikomachischen Ethik auseinandergesetzt und hatte die Eudemische und die Große Ethik schon seit gut 20 Jahren auf meiner geistigen To-do-Liste. Aber was tun, wenn es die beiden nicht als Reclamhefte gibt ... Ich habe mir mal etwas gegönnt und mir die gediegene Ausgabe aus dem Oldenbourg Akademieverlag (Übersetzung und Kommentar: Franz Dirlmeier) gegönnt. Das Buch lässt in Aufmachung und Kommentierung nichts zu wünschen übrig, es gibt eine sehr umfangreiche Einführung in das Werk und eine gut nachvollziehbare Einordnung der Eudemischen Ethik im Vergleich zur Nikomachischen und Großen Ethik.
Was den Text selbst angeht, es ist ein typischer Aristoteles-Text, spröde in der Sprache, klar in der Struktur, ein wenig dröge und systematisch, das war zu erwarten. Es gibt große Überschneidungen mit der Nikomachischen Ethik, die Betrachtungen zur Eudaimonia und Arete sind ähnlich, auch geht es hier wie dort um die Mesotes der ethischen Tugenden. Doch alles noch ein wenig eckig und unfertig. Das Buch ist fragmentarisch überliefert, ein paar Lücken wurden bereits in der Antike aus der Nikomachischen Ethik ergänzt. Den hohen Flug und die formvollendete Komposition der Nikomachischen erreichte die Eudemische Ethik nicht. Trotzdem ein hochinteressantes Werk, die Anschaffung hat sich gelohnt.
Niklas Peinecke: Die Seelen der blauen Aschen (D9E 6)
Die Fortsetzung des Romans "Das Haus der blauen Aschen", ebenfalls sehr spannend und mit einem hochinteressanten Handlungsort. Etwas verschlungen durch die vielen Handlungsfäden, aber man steigt gerade noch durch. Die Romanze der beiden Roboter/KIs Wurm und Hackbot geht weiter, während der ehemalige Mensch und jetzige Karman eine weitere Entwicklungsstufe durchmacht. Farne und ihr Team sitzen noch immer auf dem Planeten der blauen Aschen fest und müssen sich mit den geheimnisvollen Birkenmenschen auseinandersetzen - und mit den Rätseln einer uralten Zivilisation. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
Regine Mengel: Am 13. Tag III: Flaschengeister (e)
Dritter und letzter Teil der Trilogie um das Mädchen, das von Flaschengeistern abstammt, und das para-orientalische Zauberreich Kis-ba-Shahid. Mit vereinten Kräften kämpfen die Helden gegen den bösartigen Usurpator. Dass am Ende das Gute siegt, darf wohl verraten werden. Aber der Weg dorthin und die Art, wie die Flaschengeister überzeugt werden, war sehr spannend und überraschend. Gut gemacht.
Robert Musil: Mann ohne Eigenschaften. Erstes Buch (Teil I und II)
Ein ziemlich dicker Schinken, in den man sehr schwer reinkommt. Und wahrscheinlich einer der Klassiker, die am häufigsten zitiert und am wenigsten gelesen werden. Man muss sich erst ein wenig eingewöhnen, aber nach ein paar hundert Seiten platzt dann der Knoten. Das Buch bietet ein Panoptikum der österreichischen Gesellschaft und der Gedanken und Beweggründe einzelner Bevölkerungsgruppen und Individuen. Es geht um Ulrich, den "Mann ohne Eigenschaften", um seine Beteiligung an der "Parallelaktion", die Vorbereitung zum 70. Jahrestag der Thronbesteigung des österreichischen Kaisers, mit der man die unglücklicherweise gleichzeitigen Feierlichkeiten eines preußischen Jubiläums ausstechen will. Es geht um einen, möglicherweise unzurechnungsfähigen, Frauenmörder, der auf seine Hinrichtung wartet, um die Frage nach Schuld und Schuldunfähigkeit, um die bezaubernde Diotima, die im Zentrum der Vorbereitungen zum Festjahr steht, um den gewinnenden preußischen Intellektuellen und Industriellen Arnheim und überhaupt um ganz viele sehr unterschiedliche Charaktere und ihre Gedanken über das Friedenskaisertum und andere Ideen.
Musil hat zweifellos die genialste Art gefunden, einen Roman mit einem Wetterbericht zu beginnen (gilt sonst ja in Schreibratgebern als pfui bäh). Mir hat am besten der Ausflug des Generals Stumm von Bordwehr in die Bibliothek gefallen - einfach beeindruckend, was für Gedanken sich der alte Kämpe darüber macht, wie man Ordnung in eine Sache bringt. Und nicht von der Hand zu weisen die Erkenntnis des Bibliothekars: Der Mann erklärt, er habe nur deshalb den Überblick über die mehreren hunderttausend Bände, weil er Zeit seines Lebens kein einziges dieser Bücher gelesen hat.
Fazit: Das Buch lohnt sich. Aber man muss vorher eine Menge Arbeit reinstecken, bevor es sich einem öffnet. Kein Appetithäppchen für zwischendurch.
Matthias Falke: Agenten der Hondh (D9E 7)
Die Überlebenden der Expedition, die in "Kristall im fernen Himmel" geschildert wurde, machen sich auf die Spurensuche und versuchen herauszufinden, wo ihr ehemaliger Chef die Informationen über ihr damaliges Ziel herhatte. Auch die Liebesgeschichte zwischen Nola und Manuel geht weiter. Der Wiedereinstieg in diesen Handlungszweig der "neunten Expansion" war nicht ganz einfach, es lag doch schon einige Zeit zwischen meiner Lektüre des "Kristalls" und der "Agenten", man findet sich aber dann doch hinein.
Fundbüro der Finsternis. Kann Spuren von Grauen beinhalten
Anthologie der Autorengruppe Geschichtenweber mit bewegter Editionshistorie. Es fing vor Jahren an als ein Projekt des WortKuss-Verlags von Simone Edelberg, die einer ausgewählten Reihe von Autoren pünktlich zu Halloween ein Bild zumailte, das ein "Fundstück" zeigte und in einer Horrorgeschichte verarbeitet werden sollte. Nach dem Ende des Verlags und langem Hin und Her fanden sich schließlich ein Großteil der Autoren bei den Geschichtenwebern zusammen, ein paar waren abgesprungen, ein paar neue waren hinzugekommen, und der Verlag p.machinery übernahm schließlich die Veröffentlichung. Von mir ist die Bergmannsgeschichte "Der schwarze Frosch" enthalten. Inzwischen habe ich das gesamte Buch durchgelesen und finde, dass es sehr gut gelungen ist. Erzählerische Ausfälle habe ich nicht gefunden, nur gute bis sehr gute Geschichten. Meine beiden Lieblingsstorys sind "Im Licht des vollen Mondes" von Karsten Beuchert und "Sie hat alles gesehen" von Jan-Christoph Prüfer. Nichts für schwache Nerven.
Holger M. Pohl: Fünf für die Freiheit (D9E 8)
Eines der besten Abenteuer aus der Reihe "Die neunte Expansion", das ich bisher gelesen habe. Vor allem wegen der Konzentration auf eine kleine fünfköpfige Gruppe und einen geradezu klaustrophobisch engen Raum. Fünf sehr unterschiedliche Personen sollen sich als Kundschafter ins Hondh-Gebiet begeben und Informationen über die fremden Eroberer sammeln. Zu diesem Zweck wird die Gruppe in einem Geheimraum innerhalb eines Riesentanks mit flüssigem Spezial-Kunststoff untergebracht, der Teil einer Tributleistung an die Hondh ist. Ein Himmelfahrtskommando ... Gut gemacht.
Gisela Laudi: Justina Tubbe. Der weite Weg einer Brandenburgerin vom Oderbruch nach Texas
Biographie einer Auswanderin, in der Ich-Perspektive erzählt.
Ich lernte Justina Tubbe im Auswanderer-Museum in Bremerhaven kennen, das ich im Sommer letzten Jahres besucht habe. Das Museum ist ein Erlebnis der Spitzenklasse und sei hiermit jedem wärmstens ans Herz gelegt. Einfach toll. Muss ja mal gesagt werden. Man bekommt dort beim Eintritt die "Identität" eines bestimmten Auswanderers zugewiesen, auf dessen Spuren man sich beim Weg durch das Museum begibt. Mit diesem "Reisepass" kann man sich an den einzelnen Stationen Informationen anzeigen lassen, wie der Betreffende seine Situation empfunden hat und was es an historischen Quellen über ihn gibt. Da ich zu der Zeit gerade an meinem Roman "Freiheitsschwingen" arbeitete, bat ich die Frau an der Kasse um einen Auswanderer aus den 1830er Jahren. Ganz genau aus der Zeit hatten sie zwar niemanden, aber ich bekam die Identität Justina Tubbes, die im Jahr 1844 nach Amerika auswanderte, also doch sehr nahe dran. Nach einem fast ganztägigen Museumsaufenthalt erwarb ich schließlich im Museumsshop auch das Buch dazu - die Biographie Justina Tubbes.
Sie war eine Frau aus usprünglich gar nicht so ärmlichen Verhältnissen. Sie stammte aus einer Weberfamilie. Dann kam die industrielle Revolution. Dampfwebstühle machten die Arbeit in einem Bruchteil der Zeit und kosten weniger. Hunger zog bei den Webern ein. Dazu Missernten. 1844 war ja dann auch das Jahr des Weberaufstandes. Wir erinnern uns an Heinrich Heines schlesische Weber ... Jedenfalls blieb ihr irgendwann einfach nichts mehr übrig als der Weg nach Amerika, wo sie einer ihrer bereits ausgewanderten Söhne aufnahm. Richtig heimisch geworden ist sie dort wohl nicht, sie war schon recht alt, als sie den alten Kontinent verließ. Aber ihre Söhne und Enkel entwickelten sich schnell zu echten Amerikanern, und ihre Nachkommen leben dort noch heute.
Das Buch ist, wie bereits gesagt, als Ich-Erzählung verfasst. Es wirkt stellenweise etwas unauthentisch, wenn die Verfasserin sich bemüht, die einfache Frau aus dem Oderbruch sprechen zu lassen, vor allen zu Anfang klingt es doch nach einer erkünstelten Naivität. Doch das machen die gründliche Recherche und die sorgsam zusammengetragenen Fakten und Dokumente mehr als wett. Also: Ein sehr lesenswertes und materialreiches Buch, für Recherchezwecke sehr gut geeignet.
Die Welten von Thorgal: Kriss de Valnor 5 - Rot wie der Raheborg
Andrea Tillmanns: Mimis Krimis
Ovid: Amores / Liebesgedichte. Lat./Dt. (Reclam)
Ovid: Ars Amatoria / Liebeskunst. Lat./Dt. (Reclam)
Ich habe ja hier im Blog schon häufiger darüber gemeckert, dass Übersetzer antike Lyrik neuerdings nur noch als Prosaübersetzungen darbieten. Das ist ärgerlich und wird über kurz oder lang die Leserschaft der Lyriklektüre weiter entfremdem. Ich hätte es lieber, wenn man wenigstens einen kleinen, wenn auch nicht hundertprozentig geglückten Eindruck vom Versmaß und Rhythmus des Originals zu vermitteln versucht.
Diese bittere Anklage muss ich angesichts dieser beiden Reclamhefte teilweise revidieren. Es sei an dieser Stelle zugegeben, dass die deutsche Übersetzung von Michael von Albrecht ausgesprochen wohlklingend ist und beinahe lyrisch anmutet. Der Ton hat mir sehr gefallen, zumindest in Bezug auf Ovid bin ich etwas nachsichtiger geworden. Es geht also. Man kann Lyrik in Prosa übersetzen und trotzdem noch etwas leisten. Aber ruht euch bitte nicht darauf aus, liebe Übersetzer.
Ovid zeigt sich, wie auch in den Metamorphosen und den Heroinenbriefen als außerordentlich gefühlvoller und phantasiebegabter Dichter, das genaue Gegenteil zum harten, kargen Epenstil eines Vergil. Wie auch in seinen epischen Texten erweist er sich als großer Psychologe und Freund der Frauen, denen er in seiner "Liebeskunst" ebenso hilfreiche Verführungstipps gibt wie den Männern. Zwei sehr schöne Bücher, deren Lektüre ich demnächst durch die dazugehörigen "Heilmittel gegen die Liebe" ergänzen werde. Empfehlenswert.
Horaz: Oden und Epoden Lat./Dt. (Reclam)
Schöne zweisprachige und gut kommentierte Ausgabe, die deutsche Fassung diesmal nicht als Prosawiedergabe, sondern in Versen, sehr gut. Ich denke, gerade bei einem Dichter wie Horaz war es auch unbedingt nötig, das Versmaß zu erhalten. Geboten wird eine ungeheure Fülle an Liedern, Hymnen auf Götter und Heroen, Lobpreisungen von Zeitgenossen - allen voran an Maecenas natürlich -, dazu Liebeslieder, Jahreszeitliches und ein sehr weiter Blick auf Landschaften. Horaz wetteifert mit Pindar, bietet Strophen im sapphischen Versmaß, singt Siegeslieder und Päane und kämpft in bissigen Jamben wie Archilochos. Er preist Rom und singt von Troja, bietet Philosophisches und Alltägliches, genießt und lobt die Enthaltsamkeit. Eine ganze Welt in einem Gedichtband.
Jeff Kinney: Gregs Tagebuch I - Von Idioten umzingelt
Jeff Kinney: Gregs Tagebuch 2 - Gibt's Probleme?
Jeff Kinney: Gregs Tagebuch 4 - Ich war's nicht
Jeff Kinney: Gregs Tagebuch 6 - Keine Panik!
Jeff Kinney: Gregs Tagebuch 7 - Dumm gelaufen
Jeff Kinney: Gregs Tagebuch 8 - Echt übel!
Jeff Kinney: Gregs Tagebuch 9 - Böse Falle
Eine Freundin hat zusammen mit ihrem Sohn das Bücherregal aufgeräumt und alles, wofür der junge Mann zu alt geworden ist, für meine zweijährige Nichte gestiftet. So kam eine ziemlich große Bücherkiste in mein Haus, und wenn so etwas im Wohnzimmer herumsteht, kann ich ja nicht gut daran vorbeigehen. So stieß ich auf Gregs Tagebücher, die ich ja schon in meiner Dienstzeit als Schulbibliothekarin als absoluten Kindermagneten kennen gelernt hatte. Ich schlug Band eins auf und konnte nicht mehr aufhören. Die kommenden Tage verbrachte ich kickernd und blackernd wie eine Übergeschnappte. Um Himmelswillen, lest diese Bücher niemals in der Öffentlichkeit. Wenn ihr im Zug plötzlich so losrustet wie ich, ruft bestimmt jemand die freundlichen Männer mit den weißen Kitteln, die euch eine langärmlige Weste mitbringen. Bauchschmerzen von Lachkrämpfen sind garantiert. Und es bleibt nur noch die ärgerliche Frage: Wohin haben meine Freundin und ihr Sohn die Bände 3 und 5 verbummelt, konnten sie uns die nicht auch noch stiften?
Hörspiel
Die drei ??? 125 - Feuermond
- Das Rätsel der Meister
- Der Pfad der Täuschung
- Die Nacht der Schatten
Ein extralanges Abenteuer der drei Fragezeichen, drei MC im Schuber mit sehr schönem, stimmungsvollem Mondlichtcover in flammenden Rottönen. Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Erst dachte ich ja, es ginge um eine Art Fortsetzung von "Das Erbe des Meisterdiebs" mit anderen Mitteln und dass Hugenay seine damalige Ankündigung wahrmachen und Justus noch einmal "versuchen" wolle - diesmal vielleicht erfolgreich. Aber das Thema ist ein völlig anderes und überraschendes. Das Kunst-Konzept, das den Werken der beiden Künstler-Freunde in diesem Abenteuer zugrunde liegt, ist ausgesprochen faszinierend, ich würde so etwas selbst gern sehen. Die Entwicklung Hugenays war sehr unerwartet, man könnte sie tragisch nennen. Das Wiedersehen mit Brittanny brachte nicht nur die erhoffte Konfrontation, sondern gab auch Justus die verdiente Chance auf eine Revanche, die gut genutzt wurde. Ein rundum gelungenes, magisches und zum Nachdenken anregendes Abenteuer. Sehr gut.
August
Die griechische Literatur in Text und Darstellung. Band 4: Hellenismus (Reclam)
Schöne zweisprachige Überblicksdarstellung mit viel Material und einer ganzen Menge Autoren, die ich noch nicht kannte. Hat mir gefallen, wenn ich auch eher für die Autoren der Kaiserzeit, also des fünften Bandes, zu haben bin.
Geheimnisvolle Geschichten 4: Die Kathedrale
Anthologie des Extraklasse. Ein stilvolles, sehr dickes Hardcoverbuch mit Erzählungen sehr unterschiedlicher Verfasser, die eines gemeinsam haben: Es geht um eine Kathedrale, ein ungeheuer großes Sakralbauwerk in einer abgelegenen Gegend, oft vom Verfall geprägt, meist von einer Aura des Unheimlichen umgeben. Neuankömmlige haben oft ein sehr ungutes Gefühl, wenn sie unversehens in die Nähe dieser Kirche geraten - und das Gefühl trügt nicht. Da wird vom Bau der Kathedrale brichtet, meist in mittelalterlichen Settings, einmal auch im Urwald der "neuen Welt", um den Eingeborenen zu zeigen, welcher Gott der wahre ist. Mal ist das Gebäude das Tor in eine andere Welt oder Dimension, mal Zuflucht in einer ansonsten schrecklichen, tödlichen Dystopie. Mal lauern Geister und Monster in ihren Räumen, mal sogar ein steinerner Engel, der sich bewegt, sowie man blinzelt ... Ein ausgesprochen lesenswertes Buch, das viele Überraschungen zu bieten hat.
Eowyn Ivey: Das Schneemädchen
Ein Ehepaar zieht sich in die einsamen nordamerikanischen Wälder zurück. Alles wollen sie hinter sich lassen, vor allem die schwere Zeit, in der die Frau eine Fehlgeburt hatte. Doch das Leben ist hart dort draußen. Im Spiel formen die beiden, als der Winter beginnt, ein kleines Mädchen aus Schnee, das bereits kurz danach verschwunden ist. Dann taucht ein fremdes Mädchen aus Fleisch und Blut auf. Hat sich die Schneefigur auf geheimnisvolle Weise belebt? Und warum verschwindet das Kind mit dem Ende des Winters und kehrt erst nach langen Monaten beim neuen Wintereinbruch zurück? Die Frau glaubt, das Märchen vom Schneemädchen sei wahr geworden. Der Mann aber hat inzwischen eine grausge Entdeckung gemacht, über die er zu schweigen versprochen hat ... Sehr schönes Buch, sowohl die Geschichte als auch die optische Gestaltung haben mir gefallen. Lesenswert.
Kerstin Groeper: Der scharlachrote Pfad
Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler
Ein sehr dünnes Buch, dessen äußere schlichte Erscheinung in verblüffendem Kontrast steht zu dem reichen Inhalt. Man erfährt in dieser knappen, natürlich vereinfachten Überblicksdarstellung mehr über den Charakter und die Denkweise Adolf Hitlers als aus vielen dickleibigen, detaillierten Hitler-Biographien. Haffner beschränkt sich auf wenige, knappe Aspekte und legt die Linien frei, an denen sich Hitlers Hirn und Psyche orientierten und die dann in Politik, Krieg und Mord umgesetzt wurden. Sehr logisch und folgerichtig, eins ergibt sich aus dem anderen, wie in einem typischen Wahnsystem eines Paranoikers. Am Ende versteht man zwar immer noch nicht, wieso jemand so blöd sein kann, einen Weltkrieg vom Zaun zu brechen und Millionen und Abermillionen von Menschen zu töten, und für wen eigentlich? Aber wie und dass der einmal vorgezeichnete Weg konsequent verfolgt und umgesetzt wurde, wird sehr klar dargelegt. Einzelheiten mögen sich natürlich im Laufe der Jahrzehnte als falsch erweisen, die Geschichtsforschung wird immer wieder Neues auch aus dieser Zeit ans Tageslicht bringen. Doch die Grundzüge dieser knappen Darstellung werden sicher Gültigkeit behalten. Pflichtlektüre.
Lewis Carrol: The Hunting of the Snark /Die Jagd nach dem Schnatz (engl./dt.) (Reclam)
Herrliches, vollkommen irrsinniges Abenteuer, das die Wunder- und Spiegelland-Erlebnisse Alices mühelos in den Schatten stellt. Ich hatte die Jagd nach dem Schnatz vor einigen Jahren in der Hörbuchfassung kennen gelernt und erst jetzt beim Stöbern in den Vorschlägen eines Online-Buchhändlers entdeckt, dass es auch eine Reclamausgabe gibt. Klar, dass ich da zureifen musste. Worum geht es? Eine bunt zusammengewürfelte Truppe von Abenteurern, zu denen unter anderem ein Billard-Marqueur, ein Schlachter, ein Anwalt und ein Biber gehören, macht sich auf die Jagd nach dem Schnatz. Als Hilfsmittel steht ihnen eine leere Seekarte zur Verfügung, Lockmittel sind Seife und Fabeln, sie bedrohen sein Leben mit Aktien der Bahn und stellen seltsame mathematische Logikspiele an. Über der gesamten Reisegesellschaft schwebt die unsichtbare Drohung, was passieren möge, wenn der Schnatz sich als Boojum entpuppt. Das ganze in Verse gegossen, eine wunderbare Ballade. Herrlicher Nonsense, unbedingte Empfehlung.
Ruth M. Fuchs: Welcher Naturgeist ist das? Eine Art Bestimmungsbuch
Cyberpunk now - die Beiträge zum Marburg-Award
Taschenbuch in streng limitierter Auflage mit den Wettbewerbsbeiträgen. Cyberpunk ist nicht unbedingt mein Genre (ich glaube auch, die Mythenpunk-Anthologie der Marburger lässt sich auch nicht toppen), aber ansonsten ein dickes Lob an die Autoren und Organisatoren. Es ist ein schönes, spannendes Buch herausgekommen, das viele gute bis sehr gute Geschichten bietet. Ich hab es mit großem Vergnügen gelesen.
Andrea Tillmanns: Fünf Wege zum Grauen (e)
eBook-Anthologie mit fünf unheimlichen Texten der Autorin. Mal sind es Vampire, die in einer Diskothek ihr Unwesen treiben (nein, das ist nicht so klischeeartig geschrieben, wie sich das jetzt anhört, und die Art, wie die Blutsauger am Ende erledigt werden, ist sehr originell). Mal verirrt sich eine Campinggruppe in einem seltsamen Labyrinth im Wald - ein Albtraum sonder gleichen. Mir hat am besten die Geschichte eines jungen Paares gefallen, das in ein Hotel des Schreckens gerät. Alle Ausbruchsversuche scheitern, und die furchtbaren Geister versuchen alles, um die beiden in ein bestimmtes Kellerzimmer zu drängen ...
Linda Budinger: Der Geisterkessel (e)
Sammlung mit unheimlichen Geschichten aus der Feder Linda Budingers. Die Titelgeschichte handelt von einem jungen Mann, der nachts auf das Gebiet einer archäologischen Grabung vordringt und einen geheimnisvollen Kessel stieht. Was sich zunächst wie ein erfolgreicher Raubzug anfühlt, wird aber bald zu einem Horrortrip der Extraklasse, denn plötzlich sind schaurige Wesen aus der keltischen Mythologie hinter dem Dieb her. Meine Lieblingsgeschichte ist das Abenteuer einer Journalistin, die während eines Unwetters zusammen mit ihrem Freund in einer Grotte am Friedhof festsitzt. Sind es wirklich nur Schimmelpilze, die dort leuchten? Eine Felssäule in Gestalt einer Frau entwickelt sich zum schlimmsten Albtraum ihres Lebens, und ein literarischer Diebstahl eines minder begabten Schriftstellers kommt ans Licht. Sehr schön.
Karl May: Das Gold der Inkas (e)
Ein Anden-Abenteuer, das eine gewisse Verwandtschaft zu "Der Sendador" und "Der Schatz im Silbersee" aufweist. Ich habe es in meiner Jugend durch den Tosa-Band "Das Vermächtnis des Inka" kennen gelernt. Erzählt wird die Geschichte des jungen Hauka, des letzten Nachkommen der alten Inkaherrscher, der nun das Erbe seiner Väter antreten soll. Vor allem sein alter Begleiter Anciano träumt vom Wiedererstehen der alten Inkaherrlichkeit. In einer Gebirgshöhle lagern riesige Goldvorräte, die hierfür bereitstehen. Doch das Gold lockt auch Verbrecher an. Schon Haukas Vater musste sein Wissen mit dem Leben bezahlen. Eine abenteuerliche und gefährliche Schatzsuche beginnt, mit dabei sind der heldenhafte Vater Jaguar, aber auch einer der typischen Mayschen Käuze, ein weltfremder Gelehrter, der unbedingt prähistorische Riesentiere ausgraben möchte und dabei immer wieder Dummheiten macht und sich und de gesamte Gruppe in tödliche Gefahren bringt. Am Ende steht die vollkommene Vernichtung des Schatzes, weil ein Schurke die Quipu-Warnungen vor offenem Feuer in der Höhle nicht kennt. Eine Fackel entzündet den Sicherheits-Explosions-Mechanismus, und die gesamte Höhle samt Gold wird in die Luft gesprengt. Doch Hauka hatte sich ohnehin schon gegen das Leben als Inkaherrscher entschieden und auf das Gold, das nur Unglück bringen würde, verzichtet. Recht spannend, nur manchmal nerven die Eskapaden des Gelehrten ein wenig, man kennt das alles inzwischen schon.
Hörspiele
Die drei ??? 142: Tödliches Eis
Detektivabenteuer der drei Fragezeichen bei einem Schlittenhundrennen. Es geht um einen Diebstahl, um Jack London und um unlautere Methoden eines Teilnehmers, der unbedingt gewinnen will. Nicht gerade die tollste Folge der drei Fragezeichen, eher unterer Durchschnitt.
Die drei ??? 131 - Haus des Schreckens
Mörderspiel in einem unheimlichen Haus mit tausend baulichen Finessen, Irrgängen, Bodenfenstern und Geheimtüren. Eigentlich sind die drei ??? vom Veranstalter angestellt, und einer von ihnen soll Mörder, ein anderer Opfer sein. Aber dann verschwindet einer der Teilnehmer. Sehr spannend und atmosphärisch. Gut gemachtes, etwas unheimliches Hörspiel mit überraschender Auflösung.
Die drei ??? und der dreiTag
- J: Der Fluch der Sheldon-Street
- B. Im Zeichen der Ritter
- P: Fremder Freund
Eine MC-Box, die die These der Chaosforschung zu unterstreichen scheint: Ein Flügelschlag eines Schmetterlings in Kleinweltwinkel könnte ein Erdbeben in Movenna auslösen ... In diesem Fall ist es ein Colaglas, das den Ausschlag gibt. Je nachdem, ob es umfällt oder nicht, und wenn ja wie, entwickelt sich der Tag vollkommen anders, und die drei Detektive haben einen vollkommen anderen Fall zu lösen. Wobei in jedem der drei Abenteuer ein anderer der drei Helden die Federführung hat. Im Fall "Der Fluch der Sheldon Street" ist es eher die Kombinationsgabe eines Justus Jonas, bei "Im Zeichen der Ritter" ist es die akribische Recherchearbeit Bobs, die zur Lösung des Falls führt. Einen makaberen Scherz erlauben sich die Autoren im Fall "Fremder Freund", in dem Peter Opfer eines Stalkers wird. Der zweite Detektiv führt sich dabei so herzzerreißend dämlich und naiv auf, dass man am liebsten schreien möchte.
Fazit: Ein sehr interessantes Experiment. Ich hätte mir jedoch gewünscht, dass die drei Fälle doch etwas enger mit einander verzahnt sind und man häufiger auf kleine "Fenster" zwischen den einzelnen Teilen stößt. So sind es einfach nur drei unterschiedliche Abenteuer, die durch einen gleichen Anfang in Verbindung gebracht wurden.
Die drei ??? 139: Das Geheimnis der Diva
Eine nicht allzu gute Amateurtheatergruppe in Rocky Beach studiert ihr neues Stück ein. Der Clou: Als Überraschung wird darin eine weltberühmte Schauspielerin eine Gastrolle übernehmen. Allerdings scheint im Theater nicht alles ganz astrein zu sein. Unten im Keller versteckt lagert Beutekunst aus dem zweiten Weltkrieg, und die Diva hat ebenfalls ein dunkles Geheimnis. Eine ???-Folge, die ganz okay ist, nichts besonderes, aber man kann es anhören.
Die drei ??? 143 und die Poker-Hölle
Ein Pokerspieler, dem eine chinesische Verbrecherbande auf den Fersen ist, will seinem Neffen sein Erbe zukommen lassen. Damit die Gangster dem Jungen das Erbe nicht vor der Nase wegschnappen, wählt er den Weg einer verrätselten und abenteuerlichen Schnitzeljagd. Zum Glück hat der junge Mann als Helfer die drei Detektive an seiner Seite. Die Rätselreise ist ganz okay, kann aber mit Klassikern wie dem Fluch des Rubins oder der Rätselhaften Erbschaft nicht mithalten. Manches ist unglaubwürdig und bleibt dem Zufall überlassen. Die Art, wie Justus, der absolut keine Ahnung vom Pokerspiel hat, in einer illegalen Spielhölle blufft und absahnt, ist doch etwas zu konstruiert. Sehr schön dagegen die Idee, wie der Schurke am Ende außer Gefecht gesetzt wird.
September
Karl May: Kong-Kheou - das Ehrenwort (Der blaurote Methusalem) (e)
Ein Abenteuer, das ich in meiner Jugend unter dem Titel "Der blaurote Methusalem" in der Tosa-Ausgabe kennen lernte. Die Geschichte eines deutschen Langzeitstudenten, der sich im Auftrag einer armen deutschen Familie nach China aufmacht, um den Sohn zu einem Vermögen zu verhelfen. Außerdem wird er von einem benachbarten chinesischen Ladenbesitzer und Flüchtling gebeten, nach dessen Familie zu suchen. Natürlich hat der Langzeit-Student seine Jahre an der Uni nicht verschwendet, sondern hat perfekt Chinesisch gelernt und weiß so ziemlich alles über China, was auch Old Shatterhand wissen würde. Unterwegs lernt er Kapitän Turnerstick kennen, einen handfesten Seemann, der sich auch von chinesischen Piraten nicht ins Bockshorn jagen lässt und mal eben mit einer Handvoll Leute eine Piratendschunke erobert. Turnerstick hat allerdings einen ganz gewaltigen Spunz: Er glaubt, er könne Chinesisch sprechen, indem er einfach nur an die jeweiligen deutsching Wörtung einung chinesischong Ending anhängtangt. Sprachprobleme sind vorprogrammiert, und da auch noch ein Holländer hinzustößt, der sich bei jeder Gelegenheit in weinerliche Bekundungen ergeht, er sei doch ein "ungeluckelige Nilpaard", muss sich der Leser oft durch seitenweise pseudochinesisches Kauderwelsch und semi-holländische Tiraden hindurchlesen, bis die Handlung weitergeht. Gottseidank ist diesmal nicht auch noch ein Sachse mit im Boot. Wunderschön dagegen der Augenblick, als Turnerstick von aufgebrachten Chinesen als Fremding enttarnt wird, die ihm zur Last legen wollen, dass er einen falschen Zopf trägt. Der Mann beginnt in seinem unverständlichen Chinesisch zu schimpfen, betont, er dürfe so viele falsche Zöpfe tragen, wie er wolle, er dürfe sogar falsche Augen tragen, wenn ihm dies gefalle - und nimmt mal eben sein Glasauge heraus.
Allerdings spielt bei dieser Geschichte der sprichwörtliche Kommissar Zuall eine viel zu große Rolle. Damals ist es mir nicht so aufgefallen, aber in beinahe jedem Kapitel stößt der Methusalem auf ein verschollenes Mitglied der seit Jahrzehnten getrennten chinesischen Familie. Was für eine problemlose Wiedervereinigung,
Die Welten von Thorgal: Lupine 5 - Skald
Wieland: Agathodämon (e)
Briefroman aus der Antike. Besuch bei einem frommen Eremiten, der von der ländlichen Bevölkerung wie ein Gott verehrt wird und den Menschen mit Rat und Tat zur Seite steht. Ein Reisender Fremdling wird neugierig und sucht den Mann auf, darf auch eine Weile als Gast bei ihm verweilen und führt tiefsinnige und trotzdem sehr leichtfüßige Gespräche mit ihm. Es geht um Religion und Philosophie, das Wesen der Götter, Ethik und richtiges Leben, um die Lebenshaltungen der einzelnen Denkschulen und einen Bund von Menschen, die die menschliche Gesellschaft zum Guten führen möchten. Auch das aufkeimende Christentum und die urchristlichen Gemeinden werden besprochen und sehr positiv bewertet. Das Buch gehört zu Wielands besten Werken. Leider unkommentiet, halt nur der kostenlose Originaltext.
Theodor Storm: Der Schimmelreiter (e)
Klassiker, den ich vor rund 20 Jahren in der Reclamfassung erstmals las, jetzt also noch einmal als eBook. Ich stieß auf Storm, als ich auf der Suche war nach dem, was "nach dem Vormärz" kam, und bei den Realisten gelandet war. Ich erinnere mich noch daran, wie mein Doktorvater mit einer leichten Verzweiflung darüber klagte, dass seine Studenten Storm lasen und vom Schimmelreiter so begeistert waren. Tja, hätten diese Alt-68er uns nicht in Schule und Uni bis zum Überdruss mit Brecht vollgestopft und gequält, hätten wir Storm nicht als solche Erlösung empfunden. ;-)
Aber mal ganz im Ernst: Das Ding ist gut, bietet eine abenteuerliche Kulisse. Nordsee, Sturm, Wellen und Geisterhaftes, das Ganze von einem Erzähler. der mit Sprache umgehen und Spannungsbögen konstruieren kann, warum sollte man das Buch nicht mögen? Die Rahmenhandlung mit Rahmenhandlung mit Rahmenhandlung ist allerdings etwas übertrieben und maniriert. Aber auch Autoren wollen ja mal spielen.
Meine Storm-Phase war übrigens nur von kurzer Dauer. Zwei Sachen kamen zusammen. Zum einen kaufte ich mir eine Gesamtausgabe und las sie durch, damit war der Mann für mich erledigt. Zum zweiten lernte ich kurz danach Wilhelm Raabe kennen, und wer an Raabe einmal geschnuppert hat, der kehrt nicht mehr zu Storm zurück, einfach zu leicht, zu weich und zu glatt ... Okay, aber der Schimmelreiter und auch der Rest sind ja nicht schlecht, gehört auf jeden Fall ins Klassikerregal, und das Wiederlesen war schön.
Karl May: Der Sohn des Bärenjägers (e)
Western-Novelle, die gewöhnlich mit der Erzählung "Der Geist des Llano estacado" zusammen unter dem Titel "Unter Geiern" verkauft wird. Ich war zunächst etwas enttäuscht, dass es dieses "Unter Geiern", eines meiner Lieblings-Karl-May-Bücher, gar nicht als eBook gab, habe mir dann die beiden Einzelteile angeschafft und frage mich nun, wie man sie überhaupt zusammenfassen konnte. Es gibt zwar eine ganze Reihe von Personen, die in beiden Teilen eine Rolle spielen, und die Geschichte vom "Geist" schließt sich zeitlich auch an den "Bärenjäger" an, aber es sind halt zwei völlig verschiedene Abenteuer, und im ersten Buch kommen die Llanogeier überhaupt nicht vor.
In diesem Band geht es um einen deutschen Jäger, der zusammen mit seinem Sohn in der Wildnis lebt und vor allem Bären jagt. Die Besessenheit oder Fixierung auf dieses Jagdopfer ist beim Vater wie beim Sohn auf etwas zurückzuführen, das man heutzutage wohl als Trauma bezeichnen würde. Ein riesenhafter Grizzlybär hat nämlich Mutter und Tochter des Bärenjägers getötete, während der Sohn, der sich auf einen Deckenbaken gerettet hat, zusehen musste, wie seine Schwester zerfleischt wurde. Inzwischen haben sich beide weidlich an den Grizzlys gerächt und Massen von Bären getötet. Die eigentliche Geschichte handelt von der Entführung des Bärenjägers, der in die Gewalt Sioux geraten ist und nun zu Ehren eines toten Häuptlings zu Tode gemartert werden soll. Doch der Sohn des Bärenägers hat starke Verbündete bei der Befreiung seines Vaters. Da sind berühmte Jäger wie der lange Davy und der Dicke Jemmy, der Hobble Frank und der Neger Bob, der als Sliding Bob bei den Indianern eine gewisse Berühmtheit erlangt, sowie der junge Mandan-Krieger Wokadeh. Außerdem nehmen sich Winnetou und Old Shatterhand der Sache an. Arme Sioux.
Interessant ist das kurze Abenteuer vor allem durch die eingelegten Erzählungen am Lagerfeuer. Hier berichtet nicht nur der junge Martin Baumann vom Tod seiner Mutter und Schwester, es gibt auch einen köstlichen Bericht des Hobble Frank über eine Begegnung mit einem Bären und - bemerkenswert - eine Erzählung Winnetous, der davon berichtet, wie er Old Shatterhand kennen gelernt hatte. Da diese Version dem später in Winnetou I beschriebenen Beginn der wunderbaren Freundschaft vollkommen wiedersprach, hat May sie dann bei der Zusammenlegung beider Bücher kurzerhand gestrichen. Also, schaut mal ins Original rein, hier gibt es was zu entdecken.
Die vierte Geisterspiegel-Anthologie: Dark Crime IV
Sehr düster, sehr grausam, sehr schwarze Texte und sehr schön zusammengestellt. Eine Anthologie, die ich mit Gewinn gelesen habe. Schon die Auftaktstory mit der Pechmaske, mit deren Hilfe ein unschuldiges Mädchen ermordet wird, hat es in sich. Man begibt sich auf die Traumpfade der australischen Aborigines, klärt Morde in Vineta auf, findet Menschen quicklebendig wieder, die eigentlich schon lange tot sind ... Eine Sammlung der Spitzenklasse.
Karl May: Der Geist des Llano estacado (e)
Die zweite Hälfte von "Unter Geiern" beziehungsweise die Hauptgeschichte. Schon als Kind hatte mich Bloody Fox, der als eine Art Phantom oder Batman den Geiern des Llano estacado den Kampf angesagt hat, fasziniert. Der maskierte Rächer, der über eine geheimnisvolle Oase inmitten der Wüste gebietet, hat in jungen Jahren seine Eltern - und seine Erinnerung - bei einem Überfall der Llanogeier verloren. Jetzt befindet er sich auf seinem segensreichen Rachefeldzug. Und natürlich wird er in seinem Kampf für Gerechtigkeit unterstützt von Winnetou und Old Shatterhand, Hobble Frank und Sliding Bob. Jemmy und Davy tauchen in der Originalfassung nicht auf, hier sind es die beiden Snuffles (Jim und Tim, die Brüder mit den großen Nasen), die den jungen Komantschen Schiba-bigk retten und ihm bei der Rache an den Mördern seines Vaters helfen. Jemmy und Davy kamen erst durch die Zusammenlegung mit der Geschichte "Der Sohn des Bärenjägers" in diese Erzählung hinein.
Karl May: Der schwarze Mustang (e)
Roman, den ich als Kind unter dem Titel "Halbblut" kennengelernt habe. Die Geschichte eines bösen Komantschenhäuptlings und seines verräterischen Sohnes, die einen Überfall auf eine Eisenbahner-Siedlung planen, jedoch von Winneteou und Old Shatterhand besiegt werden. Spanend, aber auch ziemlich rassistisch. May verbreitet sich nicht nur darüber, dass "Halbblütige" die schlechten Eigenschaften beider Rassen erben (es sei denn, man heißt Schi-so, hat eine Deutsche zur Mutter und einen edlen Apachenhäuptling zum Vater und studiert in Deutschland auf der Forstakademie wie einer der Helden im "Ölprinz"), er zieht auch ziemlich heftig gegen die feigen, gierigen und verlogenen Chinesen vom Leder, denen Old Shatterhand zur Strafe die Zöpfe abschneiden lässt.
Erich Kästner: Fabian. Geschichte eines Moralisten
"Großstadtroman" über einen jungen Mann, der von Beruf "Propagandist" ist und die frühen 1930er Jahre in Berlin verbringt. Fabian arbeitet in einer Art Werbeagentur, wird schließlich arbeitslos, hat diverse sexuelle Abenteuer, gerät in die Auseinandersetzungen eines Nazis mit einem Kommunisten, die sich gegenseitig totschießen wollen. Er erlebt den Selbstmord seines Freundes Labude - eine ausgesprochen tragische Geschichte. Labude arbeitet an seiner Doktorarbeit, steckt sechs Liter Herzblut hinein, ist überzeugt, ein wirklich geniales und großartiges Werk geliefert zu haben. Wenig später teilt ihm ein Hiwi, der den Überflieger verletzten will, mit, sein Professor habe verlauten lassen, er hätte noch niemals eine so schlechte Arbeit gesehen. Woraufhin Labude seinem Leben ein Ende setzt. Dabei war das Werk in Wirklichkeit tatsächlich ein Meisterwerk, eine solch geniale Arbeit hätte er noch nie gesehen, sagt der Professor später. Übrigens ein autobiographisches Moment. Kästner verlor tatsächlich einen Schulfreund auf diese Weise, weil ein Spaßvogel dem jungen Mann sagte, er sei durchgefallen. Diese Geschichte, die ich in einer Kästner-Biographie las, war für mich auch der Grund, dass ich diesen Fabian unbedingt lesen wollte. Fabian selbst bezeichnet sich als einen Moralisten, geht auf viele schmutzige Angebote nicht ein und stirbt schließlich beim Versuch, einen ins Wasser gefallenen Jungen zu retten. Der Junge überlebte. Er konnte schwimmen. Fabian war Nichtschwimmer und ertrank. Ein bemerkenswerter Roman, der viel bekannter sein sollte.
Heinrich Laube: Reisenovellen, Band 1 (e)
Erster Teil einer sechsbändigen Reisegeschichte, die ich während des Studiums als Athenäum-Reprint las. Wobei der Titel etwas irreführend ist, denn es handelt sich nicht um Novellen. Es sind Reisebeschreibungen, in die von Zeit zu Zeit auch mal eine Novelle eingelegt ist, wobei der Prozentsatz der Novellen recht gering ist. Im ersten Band, 1834 erschienen, am geringsten, will man nicht die amourösen Abenteuer des Ich-Erzählers beziehungsweise sein Anschmachten der jeweiligen weiblichen Mitreisenden in der Postkutsche als Novelle mitrechnen. In Teil eins geht es zunächst um das Aufbrechen. Der Reisende träumt eigentlich von Spanien und Don Juan, doch erstmal reist er durch deutsche Städte: Breslau, Anhalt, Magdeburg, Braunschweig, Halberstadt, Halle, Leipzig, Altenburg, Zwickau, Karlsbad, Marienbad, Franzensbrunn. Italien folgt im nächsten Band. Das ganze ist recht spröde und nur für Hardcore-Leser zu empfehlen
Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, Band 2 (Buch 3)
Im zweiten Teil nimmt die Geschichte deutlich an Fahrt auf. Sie wird geschlossener, lässt sich schneller und besser lesen. Allerdings stellt sich die Frage, ob das dann wirklich noch das "richtige" Buch vom Mann ohne Eigenschaften ist ...? Immerhin wird hier viel konventioneller erzählt.
Ulrichs Vater ist gestorben. Zusammen mit seiner Schwester ordnet Ulrich den Nachlass und begeht eine Urkundenfälschung, weil die Schwester es so wünscht, um ihrem Mann nicht das Erbe des Vaters zukommen lassen zu müssen. Sie will sich auch scheiden lassen. Die beiden Geschwister kommen sich näher, gehen schließlich zusammen nach Wien zurück, wo sie von nun an als "Zwillinge" auftreten. Dann bricht das Buch ab ... Schade irgendwie.
David und Daniel Hays: Seelenriffe. Der Vater, der Sohn und die See
Ein Buch aus dem Nachlass meines Vaters. Meine Schwester und ich hatten es ihm vor einer halben Ewigkeit zu Weihnachten geschenkt. Damals planten wir noch unsere große Atlantiküberquerung. Es hat nicht sollen sein.
"Seelenriffe" ist die Geschichte eines Vaters und eines Sohnes, die zusammen Kap Horn umrunden wollen. Beides passionierte Segler, aber inzwischen ist der Vater älter geworden, und der Sohn hat seinen alten Lehrmeister überholt und hat ihm einiges voraus, sodass er nun der Kapitän ist. Die Geschichte hat etwas Abenteuerliches, zugleich liegt darüber auch eine gewisse Melancholie des Abschiednehmens. "Wenn der Vater dem Sohn hilft, lachen beide. Wenn er Sohn dem Vater hilft, weinen beide", heißt es an einer Stelle.
Es ist nicht unbedingt ein Roman, aber auch nicht nur ein Bericht. Erzählt wird abwechselnd aus der Vater- und aus der Sohn-Perspektive, beziehungsweise man liest die Aufzeichnungen der beiden. Dabei gibt es einige Wiederholungen und Zeitsprünge, manchmal ist man beim Wechsel in die Notizen des jeweils anderen etwas verwirrt und muss sich erst wieder zurechtfinden. Hinzu kommt, dass der Sohn auch einige Etappen allein zurücklegen musste. Ein Großteil des Buches schildert auch die Vorbereitungen und den Bau beziehungsweise Ausbau des Schiffes. Also, wer einen netten Seglerroman sucht, ist hier falsch, hier geht es eher um das Nachvollziehen einer bestimmten Tour und um die persönlchen Betrachtungen zweier realer Personen. Trotzdem oder gerade deshalb aber nicht schlecht, hat mir gefallen.
Christiane Lieke: Die Geburt des Onyxdrachen (Geschichten der Nacht 61, TCE)
Roman, den ich, glaube ich, mal auf dem DortCon erstanden habe. Die Geschichte einer Söldnerin und eines Söldners, die sich lieben und gemeinsam im Kampf gegen einen riesigen Drachen umkommen. Sie landen in einer Art Totenwelt, die aber seltsam unbestimmt bleibt, und schaffen es, dass sie ins Leben zurückkehren dürfen. Jedoch erwachen sie ausgerechnet als Drachen zu neuem Leben. Originelle Idee, an einigen Stellen war es jedoch etwas anstrengend zu lesen. Das war auch der sehr kleinen Schrift und den langen Zeilen geschuldet. Ein etwas großzügigeres Layout hätte dem Roman und der Leserin gutgetan. Verleger, denkt an uns Senioren!
E.T.A. Hoffmann: Nussknacker und Mäusekönig (e)
Ein eBook, das ich mir vor allem wegen meiner Lektüre von Peter Raffalts "Märchen vom hölzernen Mann" heruntergeladen habe. Hoffmanns zauberhaft-düsteres Märchen vom Nussknacker und seinem Kampf gegen die bösen Nagetier-Horden ist einfach ein schönes Stück Literatur, das die Grenzen zwischen Realität und Traum verschwimmen lässt. Hat Spaß gemacht.
E.T.A. Hoffmann: Der goldene Topf (e)
Das Reclamheft las ich wohl 1992 anlässlich einer Vorlesung von Leo Kreutzer. Ich denke noch immer an seine Deutung des "Im Kristall Seins" als Beschreibung eines Katers nach durchzechter Nacht. Kann Hoffmann durchaus so gemeint haben. Ein seltsames Märchen, die Sache mit den Schlangen und dem alten Pergament und dem Kristall hätte gut auch im Heinrich von Ofterdingen stehen können. Allerdings, etwas klarer ist die Geschichte schon als das Klingsohr-Märchen.
Jahresrückblick Teil I: Januar bis März 2015
Jahresrückblick Teil II: April bis Juni 2015
Jahresrückblick Teil IV: Oktober bis Dezember 2015.
© Petra Hartmann