Wie mein Vater das Hambacher Fest als Vorstufe des BAFöG entdeckte
Freiheitsschwingen Hambacher Fest Wilfried Hartmann
Das Hambacher Fest hatte mich während meines Studiums stark beschäftigt. Ich erinnere mich noch an die langen Gespräche auf Autobahnfahrten und Segeltörns, die ich mit meinem Vater über die Vormärz-Liberalen führte. Immer wieder lud ich meine Bücher bei ihm ab und sagte: "Lies das mal." Und immer wieder war ich überrascht, wie sich die Texte veränderten, wenn er "seine" Themen darin wiederfand. Ich las mit den Augen des Literaturwissenschaftlers, suchte die Grundlagen, auf denen die Werke Heinrich Heines, Ludwig Börnes und Theodor Mundts entstanden waren. Er las mit den Augen des Dozenten in der Erwachsenenbildung, der Vorläufer für das "duale Ausbildungssystem" der Bundesrepublik fand und sich damals intensiv mit der Neufassung der Ausbildereignungsverordnung (AEVO) befasste.
Als ich an meiner Doktararbeit schrieb, las mein Vater ebenfalls begeistert mit. Und beschloss endlich, auch eine zu verfassen. Ein Doktorvater war bald gefunden, ein Thema auch. Leider kam es dann anders. Aber den Anfang möchte ich euch heute vorstellen. Einen Text, aus dem ich gelernt habe, dass Wirth, einer der beiden Initiatoren des Hambacher Festes, durchaus auch als Vorkämpfer der bundesdeutschen Gesetze BBiG (Berufsbildungsgesetz), BAFöG (Bundes-Ausbildungs-Förderungs-Gesetz) und AFG (Arbeitsförderungsgesetz) gelten kann.
Hier also ein Auszug aus:
"Die Rolle des betrieblichen Ausbilders in einer handlungsorientierten Berufsbildung. Von den Lernzielen der Einzelfächer des Rahmenstoffplanes zu den fächerintegrierenden Handlungssituationen der Berufspraxis"
Dissertationsprojekt von Wilfried Hartmann
In Deutschland gilt das Hambacher Fest von 1832 als wohl die wichtigste revolutionäre Erhebung der deutschen Bürger, neben der Nationalversammlung von 1848 in der Frankfurter Paulskirche, auf ihrem Weg zu einem demokratischen Staat. Fast in Vergessenheit geraten ist die Tatsache, daß es in Hambach nicht nur um die Freiheit der Deutschen, sondern auch um die Freiheit der Polen ging. Polnische Freiheitskämpfer wurden jubelnd empfangen. Neben der deutschen wehte die polnische Fahne. Ziel der Hambacher Demokraten war es, beide Nationen vom Joch der Unterdrückung zu befreien.
Einer beiden Hauptinitiatoren der Journalist Johann Georg August Wirth verfaßte nach dem Fest seine sechs „ewigen Gesetze“ 1, die heute sicherlich kleinbürgerlich und auch nicht ewig erscheinen. Trotzdem soll hier aus dem zweiten Gesetz zitiert werden, da es sich mit der Bildung der Bürger beschäftigt und der Zusammenhang von Bildung und Wohlstand erkannt wird:
"...
Die innere Regelung der sozialen Bande oder die Organisation des Staates im eigentlichen Sinne des Wortes ist dagegen positiver Natur - Glück schaffend. Diese innere und eigentliche Regelung der Staatsorganisation ... steht in der organischen Verknüpfung der Kräfte aller Gesellschaftsmitglieder zur Förderung der materiellen Wohlfahrt und der geistigen Bildung aller und zur Erstrebung der höheren Zwecke der Menschheit. Sie äußert sich unter anderen hauptsächlich darin:
a.) daß jedem Mitglied der Gesellschaft, ohne irgend eine Ausnahme, zu materiellem Wohlstande, menschlicher Würde, bürgerlicher Ehre und geistiger Bildung nicht nur gleiche Rechte verbürgt sind, sondern auch in Ermangelung eigenen Vermögens die äußern Hilfsmittel zur Aneignung und zum Genusse dieser Zustände von der Gesellschaft selbst verschafft werden;
b.) daß daher ein jedes Mitglied ohne irgend eine Ausnahme in Ermangelung eigener Mittel auf Kosten der Gesellschaft bis zum erlangten Bewußtsein der göttlichen Natur seines Geistes erzogen und gebildet wird ...
c.) ...
d.) daß die also gebildeten und ermunterten Staatsangehörigen, ohne alle Ausnahme, in Ermangelung eigenen Vermögens von der Gesellschaft in den Stand gesetzt werden, die Mittel zur Befriedigung ihrer körperlichen und geistigen Bedürfnisse, ohne ungewöhnliche Mühseligkeit, schon bei mäßiger Arbeit und vernünftiger Ökonomie in dem Maße zu erwerben, daß sie auch noch Zeit und Hilfsquellen zur geistigen Fortbildung besitzen und beruhigende Aussicht auf stufenweise Verbesserung der Vermögensumstände genießen;
..."
Nach Johann Georg August Wirth muß ein Staat „Glück schaffen“ und seine Organisation so gestalten, daß jedem Menschen die notwendigen Chancen sich eröffnen. Dies soll nach Wirth so geschehen, daß allen Staatsbürgern materieller Wohlstand, menschliche Würde, bürgerliche Ehre und geistige Bildung zugesichert wird. Dort wo das eigene Vermögen nicht ausreicht oder wo eigenes Vermögen fehlt, ist dieser Prozeß auf Kosten der Gesellschaft durchzuführen. Eine Vorstellung, die seit 1945 in der Bundesrepublik Deutschland konsequent verfolgt wurde:
Der Besuch aller Schulen ist im Regelfall kostenlos.
Auszubildende in der beruflichen Ausbildung erhalten eine Vergütung (Lohn)[1].
Studenten bekommen Fördergelder während des Studiums[2].
Bei Bildungsgängen an Privatschulen übernimmt der Staat das Schulgeld[3].
Die berufliche Erwachsenenbildung wird durch die Bundesanstalt für Arbeit finanziert.Hier erhalten die Teilnehmer die Kosten für den Schulbesuch (Schulgeld einschl. Bücher), Fahrkosten zum Besuch der Bildungsstätte und ein Unterhaltsgeld zum Bestreiten ihres persönlichen Lebensunterhalts[4].
Genau wie Wirth geht die Bundesrepublik davon aus, daß Wohlstand nur durch ausreichende Bildung der Gesamtbevölkerung zu erreichen sei.
Wie sehr sich der Bildungsgedanke mit dem Demokratiegedanken in Deutschland verbindet, ist durch zahlreiche Schriften zu belegen. Exemplarisch sollen hier nur die „Reden an die Deutsche Nation“ von Johann Gottlieb Fichte[5] genannt sein. Der Erziehungsgedanke in diesen Reden ist die tragende Idee in seiner gedachten deutschen Nation.
Alle politisch ernst zu nehmenden Parteien der Bundesrepublik verpflichten sich der Bildung. Besonders die Berufsbildung wird zunehmend als wichtigste Grundlage für eine selbständige Lebensführung begriffen und gefördert. So beschreibt, z. B . die Freie Demokratische Partei (F.D.P.) Bildung als Bürgerrecht[6]:
"Die freie Entfaltung der Persönlichkeit muß durch Vielfalt in der Bildung und die gerechte Chance zur Entwicklung individueller Neigung und Begabung unterstützt werden.
Bildung ist ein Wert an sich. Sie ist Bürgerrecht und Aufstiegschance zugleich. Nicht nur formale Wissensvermittlung und Ausbildung, sondern ebenso Erziehung zur Freiheit, Toleranz und Selbstverantwortung, zu Kreativität und demokratischem Verhalten ist das liberale Bildungsziel.
..."
Zur beruflichen Bildung wird ausgeführt:
"Die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung ist noch keineswegs erreicht. Gerade die Sicherung der Ausbildungschancen für den jungen Menschen erfordert eine Verbesserung und Aufwertung der beruflichen Bildung. Ebenso muß angesichts des Vordringens neuer Technologien für jeden die Chance eröffnet werden, an einer qualifizierten allgemeinen, beruflichen und innerbetrieblichen Weiterbildung teilzunehmen."
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[1] Berufssbildungsgesetz (BBIG)
[2] Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAFöG)
[3] nach Gesetzen der einzelnen Bundesländer
[4] Arbeitsförderungsgesetz (AFG)
[5] Fichte, Johann Gottlieb, Reden an die Nation, Hamburg,1978
[6] F.D.P., DAS LIBERALE MANIFEST, Bonn, 1985
Mehr zum Hintergrund der "Freiheitsschwingen":
Das Hambacher Fest - Notizen zur Magisterprüfung
Theodor Mundt, die Madonna und die geplatzte Vorlesung
© Petra Hartmann