Jahresrückblick I: Januar bis März 2016
Jahresrückblick
Legende:
Ein (e) hinter dem Titel bedeutet, dass ich den Text in der eBook-Fassung gelesen habe.
Blaue Schrift weist auf herausragend gute Bücher hin.
Rot markiert sind Bücher, die ich so abgrundtief schlecht finde, dass ich euch ausdrücklich davor warne.
Bei verlinkten Titeln landet ihr auf ausführlicheren Besprechungen innerhalb dieses Blogs.
Januar
Julia Engelmann: Eines Tages, Baby
Heinrich Laube: Reisenovellen III (e)
Dritter Band der Reisenovellen, Teil I und II hatte ich noch im vorigen Jahr gelesen. Ich hatte während des Studiums einen Reprint aus den 70ern in der Fachbereichsbibliothek zur Verfügung. Jetzt also die eBook-Ausgabe. Die Reisenovellen sind, trotz des Titels, eigentlich keine Sammlung von Novellen, es handelt sich um eine Reisebeschreibung mit Schilderungen verschiedener Städte und Länder, wobei ab und zu auch mal eine kleine Anekdote erzählt und manchmal auch eine novellistische Einlage zu finden ist. Aber es geht eben nicht nur um Novellen, eigentlich sogar höchst selten. Im dritten Teil ist der Ich-Erzähler (den wir größtenteils mit dem Autor identifizieren dürfen) in Wien. Er schildert die Leopoldstadt, die Theaterkultur (Laube wurde nach 1848 Direktor des Wiener Burgtheaters), St. Stephan, Sperl in floribus, Wiener Musik, erlebt romantische Abenteuer, Nationalborniertheit, Natur, Kunst und Kultur, Essen und Mode, Bäder und Gesundbrunnen, macht sich Gedanken über den Wiener Dialekt. Es gibt ein Kapitel über Grillparzer und eines über Beethoven, über die Donauberge, eine Legenden-Erzählung über die Gründung eines Karthäuserklosters und eine unglückliche Liebe, einen Ausflug nach Schönbrunn. Zum Schluss geht es um Ungarn, es gibt Betrachtungen über das Land und seine Bewohner, seine Geschichte sowie über seine berühmtesten Söhne.
Der Koran (Reclam)
Das Buch steht schon seit 30 Jahren auf meiner To-do-Liste. Da ich dieses Jahr sehr viel mit Flüchtlingen zu tun hatte, war es dann endlich an der Zeit, mir das Werk zu Gemüte zu führen. Tja, wie sage ich's? Auch auf die Gefahr hin, dass morgen früh irgendwelche Idioten sich vor meiner Haustür in die Luft sprengen: Das Ding ist nicht so prickelnd. Ich habe die Bibel und den Talmud gelesen, kenne mich mit der Edda und auch ein bisschen mit den Veden aus, habe sogar mal die Nase ins Buch Mormon gesteckt, aber weder literarisch noch philosophisch und theologisch kann dieses Buch da mithalten. Und wer mir jetzt vorwerfen will, dass mein Arabisch nicht gut genug ist, um das Buch im Original zu lesen, dem sei gesagt, dass man anhand einer Übersetzung durchaus gewisse Qualitäten des Originals mitbekommt. Bei den anderen genannten Büchern hat es ja auch geklappt.
Der Koran ist zunächst einmal ziemlich lang und dabei auch ausgesprochen redundant. Es wird sehr viel wiederholt. Ob das Buch nun von Mohammed geschrieben worden ist, oder ob Mohammed nur das Medium war, durch das Gott selbst diese Zeilen gesandt hat, möchte ich hier nicht diskutieren, fest steht jedenfalls, dass der Verfasser nicht allzu viel an Motiven und Variationen zu bieten hat. Es wird oft hervorgehoben, dass im Koran auch die großen Gestalten des jüdischen und christlichen Glaubens vorkommen. Ja, tun sie. Moses beispielsweise wird häufig erwähnt. Und immer wieder wird die gleiche Geschichte erzählt: Moses in Ägypten steht vor den Priestern des Pharao, er und sie werfen ihre Stäbe zu Boden, die Stäbe verwandeln sich in Schlangen, und die Schlange des Moses frisst die Schlangen der ägyptischen Priester. Ehrlich wahr, die gleiche Geschichte, immer und immer wieder, den Leitsatz "Variatio delectat" (Abwechselung erfreut) kennt der Verfasser offenbar nicht.
Ja, es gibt eine gewisse Toleranz gegenüber Juden und Christen, allerdings unter der Bedingung, dass sie sich zum "Islam" bekehren. Wobei das wohl auch heißen kann, dass sie sich einfach fromm verhalten und den monotheistischen Gott verehren sollen, das Wort "Islam" mag da noch im allgemeinen Sinne als „Unterwerfung (unter Gott)“, „völlige Hingabe (an Gott)" verstanden worden sein. Recht interessant auch der Gedanke, dass auch die früheren Propheten die rechte Lehre und im Sinne Gottes gepredigt hätten - wo diese dem Koran widerspricht, da sei die von den Propheten rein dargebrachte Lehre später von den Menschen verfälscht worden. So behält man natürlich immer Recht.
Der Koran ist auch ein Buch, das immer wieder über sich selbst spricht, sich selbst als Gottes Wort preist und fordert, dass man ihm folgen soll. Und der Koran betont mehrfach, dass er es seinen Gläubigen besonders leicht machen wolle, also keine anstrengenden und schwer zu befolgenden Gebote enthält, nur des Schweinefleisches müsse man sich enthalten, das sei ja keine Belastung.
Ebenfalls interessant fand ich die Anordnung. Abgesehen von der ersten Sure, "Die Eröffnende", ist der Koran zumeist nach Länge der Suren geordnet. Das bedeutet: Wenn man die ersten 17 Suren gelesen hat, ist man schon mit der Hälfte des Buches durch, nach hinten hin wird es immer kürzer.
Insgesamt ein ziemlich sprödes, nicht allzu spannendes Buch. Wenn ich eine Auswahl meiner persönlichen Highlights zusammenstellen sollte, käme ich auf zehn bis fünfzehn sehr interessante Suren, die ich euch zu lesen ans Herz legen möchte:
- "Die Öffnende" und die Schutzsuren 113 und 114, "Das Morgengrauen" und "Die Menschen", quasi als Anfang und Ende des Buches,
- "Die Pochende" (101),
- "Die Ungläubigen" (109, kam bei Karl May in "Ardistan und Dschinnistan" als "Prüfungssure" vor. Eine Sure, die, wenn man dem Altmeister der Orientalistik glauben darf, aufgrund ihres vertrackten Baus als Prüfstein dafür genommen werden kann, ob jemand betrunken ist oder nicht. So eine Art arabisches - "Fischers Fritz" wohl)
- Die 100. Sure von den schnell eilenden Rossen bzw. in dieser Ausgabe "Die Renner" (sehr schön, kraftvoll, bildreich, und - natürlich - es ist Rihs Sure, muss man als Karl-May-Leser einfach parat haben)
- "Die Kuh" - die zweite Sure, also nach der Eröffnung ganz vorn - und "Die Beute" (8). Die beiden langen Suren, vor allem interessant, da es hier um historische Begebenheiten geht, um die Aussendung von Boten zur Bekehrung einzelner Stämme und um Schlachten.
- 53. Sure, "Der Stern". Sehr interessant, da hier die "satanischen Verse" standen, die hinterher getilgt wurden. Hier war ursprünglich erlaubt worden, drei alte, in Mekka verehrte weibliche Gottheiten anzurufen, später wurden diese Verse als vom Satan eingeflüstert betrachtet und ausgetauscht. Man denke an das bekannte Buch von Salman Rushdie und die Folgen.
- Berührt hat mich die 80. Sure, "Er runzelte die Stirn", in der Mohammed von seinem Gott getadelt wird. Die ergreifendste und persönlichste Sure des Buches. Ein Blinder kommt zu Mohammed und bittet um Belehrung, doch der weist ihn ab. Darufhin wird er von Allah zusammengestaucht. Mohammed ist tief getroffen. Seitdem sagte er jedesmal, wenn er den Mann sah: "Willkommen der Mann, um dessentwillen mich mein Herr tadelte." Eine sehr beeindruckende und sehr menschliche Sure. Das hat Größe.
- Die Sure über die Frauen bzw. hier "Die Weiber" (Nummer vier), nicht nur für Diskussionen über das Frauenbild und die Rechte der Frauen wichtig, sondern es sind auch andere Rechtsvorschriften enthalten. Interessant fand ich zum Thema Frauen auch die 24. Sure, "Das Licht", in der es um Ehebruch und Hurerei geht. Der Kommentar hebt als bemerkenswert hervor, dass für männliche und weibliche Ehebrecher das gleiche Strafmaß angesetzt wird. Hintergrund der Sure war laut Kommentar ein Skandal im Lager Mohammeds, als jemand die eheliche Treue Aischas, der Lieblingsfrau des Propheten, in Zweifel zog. Die Verleumder erhielten 80 Peitschenhiebe, der angesehene Abdullah ibn Ubba durfte als Strafe nicht Moslem werden. Außerdem zum Thema Mohammed und die Frauen interessant: "Das Verbot", Sure 66, in der der Prophet seine Gattin (Hafsa) tadelt, weil sie gegenüber seiner Lieblingsfau Aischa ausgeplaudet hat, dass er in Hafsas Haus mit einer koptischen Sklavin geruht habe. Hafsa soll ihm eine lautstarke Szene gemacht haben. Es geht mir jetzt gar nicht darum, Sodom und Gomorrha zu schreien, ich find es einfach biographisch und menschlich interessant, und die Sure sticht als sehr persönliche Sure mit biographischem Hintergrund hervor und ist mir im Gedächtnis geblieben.
- Dazu noch eine von den Suren, die die Moses-Geschichte enthalten, als christlich Interessierte noch die Suren, in denen von Joseph, Jonas, Maria und Jesus die Rede ist, dann habt ihr schon eine guten Überblick über den Koran.
Übrigens, was mir die Lektüre persönlich im Gespräch mit deutschen Muslimen (nicht mit gerade angekommenen Flüchtlingen, die noch kaum Deutsch sprechen, sondern mit deutschen Kollegen mit Migrationshintergrund) gebracht hat: Man kann etwas mitreden. Im Gespräch mit vielen ist es durchaus ein Brückenbauer. Und im Gespräch mit Schwadroneuren ist es auch von Vorteil. Ich habe schon zweimal, als mir jemand sagte: "Das steht im Koran", sagen können: "Hä? Nein, das steht nicht im Koran, das wäre mir beim Lesen aufgefallen. Welche Sure soll das denn gewesen sein?" Woraufhin der religiöse Eiferer zurückruderte und meinte, ja, nein, also, das stünde zwar nicht im Koran, das wäre eben islamische Tradition.
Also, das Fazit: Es ist ein wichtiges Buch, zweifellos. Es macht keinen Spaß. Aber reinschaun lohnt sich doch.
Inge Becher: Lautlose Stufen
Eine Geschichte über eine "andere" Kindheit und Jugend in der Nazizeit. Das Mädchen Hella erkrankt an einer unbekannten Krankheit und hat immer wieder seltsame Anfälle, bricht zusammen und muss ins Krankenhaus. In der Schule fehlt sie daher oft, bleibt vor allem in Mathematik zurück. Aber das Schlimmste für sie ist, dass sie nicht wie ihre Freundinnen zum Jungmädelbund und Bund deutscher Mädel gehen darf, denn der Führer will nur gesunde Mädchen in seinen Organisationen haben. Als sie von einem geheimnisvollen Krankenhaus hört, in dem schwer kranke Kinder behandelt werden, bittet sie den Leiter der Klinik, in der sie bisher behandelt wird, sie dorthin zu überweisen. Was Hella nicht ahnt: Die angebliche Heilanstalt ist Teil des "Euthanasie"-Apparates der Nazis - unheilbare Kinder werden dort systematisch getötet, damit sie "der Volksgemeinschaft nicht länger zur Last fallen".
Es handelt sich um ein Kinderbuch, die Geschichte und die Hauptfigur sind erfunden, aber in Anlehnung die historischen Begegebenheiten und an konkrete Fälle und Orte erschaffen. Inge Becher schreibt in sehr leicht lesbarer, einfacher, aber trotz des bösen Themas sehr schöner Sprache. Vor jedem Kapitel ist ein kurzer Absatz zum historischen Hintergrund zu finden, der dem Leser hilft, die Geschehnisse einzuordnen. Ein Buch, das sich vermutlich vor allem als Schullektüre eignet. Vom Thema her ein Buch, das wir damals in unserer Schulzeit als "Problembuch" bezeichnet haben, also eigentlich nichts, was man sich als Schüler selbst gekauft hätte, sondern eher als Geschenk von Eltern oder Verwandten bekam, die einem etwas "pädagogisch Wertvolles" zukommen lassen wollten. Oder ein Buch, über das man seine Buchreferate hielt, weil man den Lehrer beeindrucken wollte. Tja, und nun bin ich in dem Alter, in dem ich mal ein "Problembuch" für Kinder empfehlen möchte: Lest dieses Buch, es ist gut geschrieben, spannend erzählt, ordentliche recherchiert und geht unter die Haut. Ach ja, und der Humor von dem Onkel, dessen Hund am gleichen Tag wie Hitler Geburtstag hat, hat mir auch gefallen. Absolut empfehlenswert.
Werner Bergengruen: Dies Irae
Dies Irae, der Tag des Zorns, ist ein Gedichtband, den Werner Bergengruen kurz nach dem Ende der Nazidiktatur in Deutschland veröffentlichte. Es sind 13 Gedichte, ein sehr schmales Büchlein also, über den Weltenbrand, den die Nazis entfesselt hatten, und die Abrechnung Gottes mit Deutschland. Ein sehr eindrückliches Werk, das auch mehr als 70 Jahre nach Kriegsende nichts von seiner Kraft verloren hat. Ich bin als alter Bergengruen-Fan ja schon lange auf der Suche nach dem Buch, jetzt bin ich am Amazon-Marketplace fündig geworden, und der Versender kam aus Hildesheim, also ganz aus meiner Nähe.
Unter dem sapphischen Mond. Deutsche Frauenlyrik seit 1900
Schmales Hardcover-Lyrikbändchen, Piper-Bücherei, aus dem Jahr 1957. Ich habe es schon vor einiger Zeit von einer Freundin erhalten, und es hat ziemlich lange auf meinen SUB gelegen. Der Band enthält Werke von 35 Dichterinnen aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrunderts, darunter Ingeborg Bachmann, Ricarda Huch, Marie Luise Kaschnitz, Elisabeth Langgässer, Agnes Miegel und Ina Seidel, um nur ein paar zu nennen. Eigentlich bin ich immer sehr skeptisch gegenüber solchen Anthologien. Ich mag "Lyrik von Frauen" genau so wenig wie "Lyrik von Senioren", "Lyrik von Flüchtlingen", "Lyrik von Hildesheimern" oder "Lyrik von Dampfwalzenfahrern mit Diabetes". Aber dieser Band hat durchaus eine ganz eigene Kraft. Vor allem, wenn man ihn im Vergleich zu dem Lyrikband "Junge Lyrik" betrachtet, den ich kurz danach gelesen habe. Frauen scheinen doch irgendwie anders zu dichten. Etwas ruhiger, geerdeter, bewahrender klingt es als die Sammlung der "jungen Wilden".
Junge Lyrik 1960
Eine Sammlung aus dem Hanser-Verlag, ein schmales Hardcover-Bändchen mit Gedichten von 16 Autoren, davon 15 Männer und eine Frau. Abgesehen von Jürgen Becker sagten mir die Namen alle nichts, was allerdings nicht viel heißen muss, da ich ja im 20. Jahrhundert literarisch nie so recht zu Hause war. Auffallend ist, dass ein Großteil dieser damals noch sehr jungen Dichter heute einen Wikipedia-Eintrag haben: Karl-Alfred Wolken, Arno Reinfrank, Rudolf Peyer, Klaus Reichert, Peter Lachmann, Jürgen Becker, Ferdinand Kriwet, Peter Dorn (nur als Komponist und Pianist verzeichnet) und Walter Hinderer (nur als Literturwissenschaftler). Die meisten haben es also tatsächlich "zu etwas gebracht" in der Literatur. Insofern ein großes Kompliment für Oda Schäfer, die Herausgeberin, sie hatte offenbar ein gutes Gespür für Autoren, die über den Tag hinaus Bedeutung haben. Auch wenn es bei der Sammlung wohl erstmal nur um eine Momentaufnahme ging. Insgesamt eine recht interessante Anthologie. Bei manchen Gedichten hatte ich schon das Gefühl, man sollte von dem Verfasser mehr lesen.
Christian Morgenstern: Man muß aus einem Licht fort in das andre gehn. Ein Spruchbuch
Noch ein antiquarisches schmales lyrisches Hardcoverbändchen, erschienen in der Piper-Bücherei 1950. Ein Morgenstern, den ich so noch nicht kannte. Recht ernste Sinnsprüche, Aphorismen, kurze Gedichte, die sehr vernünftig und sehr weise und menschenfreundlich sind. Manches könnte glatt aus den Lebensmaximen Goethes entnommen sein. Hat mich sehr überrascht, dieser andere, ernste Morgenstern.
Heinrich Laube: Reisenovellen IV (e)
Vierter Teil der Reisenovellen. Laube beginnt mit einigen Schilderungen österreichischer Personen, unter anderem geht es um Metternich. Wenig später geht es nach Mähren und Böhmen. Es folgen Betrachtungen über die czechischen Völker und ihre Sprache, dann endlich eine Novelle mit dem Titel "Florentin". Der Titelheld wird von einem Beamten erzogen, hat die irritierende Eigenschaft, dass er zu allen Menschen gleich freundlich ist, also keinen Sinn für Standesunterschiede kennt, und verliebt sich in ein Mädchen, dessen Eltern eine deutlich zu hohe gesellschaftliche Stellung haben, als dass er als Ehemann infrage käme ... Es gibt Schilderungen über Prag, dann geht es zurück nach Deutschland, und zwar nach Dresden, danach in die sächsische Schweiz. Unter den kulturellen Betrachtungen gibt es eine Abhandlung über Tieck. Eindrucksvoll die Schilderung mit einem geflohenen Polen (nach dem niedergeschlagenen polnischen Aufstand gegen Russland). Dann die Rückkehr nach Berlin und Frankfurt an der Oder, weiter nach Schlesien, Laubes Heimat. Interessant die Lokalsage vom "schönen Gottlieb", einem Räuberhauptmann, der in der Nähe von Grünberg sein Unwesen getrieben haben soll. Es wird ein Pfingstschießen in Laubes Heimatstadt Sprottau geschildert und ein Schützenausmarsch, es folgt eine Skizze über den Schriftsteller Weisflog. Laube reist mit der Postkutsche seinen alten Schulweg nach Glogau nach und stellt Betrachtungen über das Schulwesen an. Beinahe zärtliche Schildungen der schlesischen Natur und der Schlesier schließen sich an, er schildert die schlesischen Jugendlichen, gelangt schließlich in den geheimnisvollen Ort "Merschelwitz, wo an einer Kreuzung die Straßen nach Breslau, Schweidnitz und Zobten zusammentreffen, erzählt über Lanzenknechte und einen Traum, in dem römische Götter auftreten, redet zu den Trojanern aus Zobten usw. Weitere Stationen sind Gräfenberg (mit einer sehr skurrilen Schilderung des dortigen Bades) und Neisse. Ferner gibt es eine "Gebirgsnovelle", eine Geschichte um ein Liebespaar, Armut, den Weg ins Gebirge
Fabienne Siegmund: Der Karussellkönig
Heinrich Laube: Reisenovellen V (e)
Der fünfte Band. Es geht nach Pommern. Los geht es mit einigen Schilderungen aus der unbequemen Postkutsache samt einer Räubergeschichte. Der Autor freist über Schwedt, Vierraden, Garz bis Swinemünde und Stettin. Der Komponist Löwe und die Stettiner Börse sind Themen, ein Blick aufs Meer, eine Liebesgeschichte, Betrachtungen zur Badesaison. Dann geht es weiter nach Rügen. Sehr ansprechende Meeresschilderungen, erinnert etwas an Heines "Die Nordsee, dritte Abteilung". An der Ostküste Usedoms wird Vinetas gedacht. Auf Rügen wird von antiken Berichten über diese Insel erzählt (Bernstein, Phönizier, Römer). Außerdem geht es um Seeräuber und die alten rügenschen Wenden. Und über die Seehunde wird geschimpft, die den Fischern die Netze zerreißen. Der Autor schildert die Landschaft, vor allem die Bodden, erzählt von archäologischen Funden wie Muscheln, Opfermessern, steinernen Streitäxten und Urnen. Natürlich auch vom Hain der Hertha, den Tacitus in der "Germania" schildert. Dann eine stürmische Überfahrt. Eine Unterkunft bei einem Zöllner. Ein Kapitel ist Ferdinand von Schill gewidmet (Freikorpsführer 1806/07). Die zweite Hälfte des Buches spielt in Berlin. Eine Betrachtung über Berliner Literatur. Eckensteher. Franz Horn. Geschichtsphilosophische Betrachtungen über Kultur und Herrschaft bei den alten Völkern und deren Ablösung in der Herrschaft. Friedrich II und die Flöte. Berliner Berühmtheiten: Die beiden Humboldt. Neander. Carl Ritter. Willibald Alexis. Chamisso. Unter dem Titel "Die Maske. Eine Silhouette" gibt es eine kleine novellistische Einlage. Es folgt ein Kapitel über eine Begegnung mit Heinrich Heine. Dann ein Kapitel über Hegel. Eine Theaternovelle. Schließlich eine Beschreibung Potsdams.
Hörbuch
Hier stehe ich, ich kann nicht anders. In 80 Sätzen durch die Weltgeschichte
Ein Hörbuch, das die Hintergründe zu "geflügelten Worten" aus rund zweieinhalbtausend Jahren beleuchtet. Außer dem Lutherwort im Titel sind das Aussprüche wie "L'etat c'est moi" (Der Staat bin ich) Ludwigs XIV., das delphische "Erkenne dich selbst", Gorbatschows "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" oder "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" (Karl Marx). Das Konzept ist faszinierend, das Hörbuch gut und spannend, die CDs haben mich auf langen Autofahrten gut eine Woche beschäftigt. Ich habe viel Neues gelernt, viele Hintergründe und Zusammenhänge entdeckt, die mir so bisher noch nie aufgefallen waren, und eine Menge Aha-Erlebnisse gehabt. Gut, das eine oder andere Kapitel war vielleicht nicht ganz so ausgefeilt wie der Rest, aber insgesamt eine sehr hörenswerte Angelegenheit.
Nun zum Schlechten. Die Auswahl ist extrem eurozentrisch. Es geht um die klassische Geschichte West- und Mitteleuropas, später dann ein wenig um Europas transatlantischen Erben, die USA. Unter "Welt"-Geschichte hatte ich mir etwas anderes vorgestellt als die klassische Schulgeschichtsbuch-Abfolge: Griechenland, Rom, Frankreich, Deutschland, England und USA. Es kommt nur ein einziger Asiat vor, Konfuzius. Oha, ein Indianer. Naja, der Satz mit dem letzten Baum, der gefällt wird. Das Zitat wird Häuptling Seattle in den Mund gelegt, wird auch oft als Mahnung der Cree-Indianer zitiert, entpuppte sich dann aber als Produkt der Phantasie eines Drehbuchautors. Kein Afrikaner. Nein, halt, ich will nicht ungerecht sein: Es wird Theodore Roosevelts Maxime "Sprich leise und trage einen großen Knüppel" zitiert, die er als Sprichwort aus der Westsahara bezeichnete. Und Saddam Hussein trägt einen der 80 Sprüche bei: "Die Mutter aller Schlachten hat begonnen." Allerdings ist das eines der dämlichsten Zitate. Ein dummer Satz, den ein großkotziger Wüstenschrat ausgespuckt hat, als welthistorischer Ausspruch? Da wäre doch das islamische Glaubensbekenntnis eher angebracht, ein Satz, der die Welt bewegt hat und eine der großen Welttreligionen antrieb und immer noch antreibt.
Überhaupt liegt die Auswahl ziemlich stark auf den sozialen und politischen Bewegungen und Parteien, auf Herrschern und Politikern. Wissenschaftler, Literaten und Künstler sind wenig vertreten, Religionsstifter gar nicht. Könnte es nicht sein dass Burschen wie Jesus oder Buddha oder Mohammed irgend etwas gesagt haben, was die Welt bewegte? Offenbar nicht. Nur Pontius Pilatus darf seine Hände in Unschuld waschen. Also Saddam wird zitiert, und Mohammed nicht. Pilatus wird zitiert, und Jesus nicht. Seltsame Prioritäten.
Insgesamt wird das Hörbuch dämlicher, je näher man an die Gegenwart herankommt. Gorbies "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" (sehr schön vom Autor recherchiert und aufbereitet) wäre ein gutes Schlusswort gewesen. Aber was zum Teufel hat Bill Clintons Satz "I did not have sexual relations with that woman, Miss Lewinski" in der Weltgeschichte verloren? Norbert Blüms Ausspruch "Die Renten sind sicher" als welthistorisches Zitat in einer Reihe mit "I have a dream" und "Ich weiß, dass ich nichts weiß"? Helmut Kohls Satz, er sähe "blühende Landschaften", ist sicher nicht das Kernzitat der Wiedervereinigung, sondern der Ruf: "Wir sind das Volk!" Ich habe auf Amazon in einer Rezension die Vermutung gelesen, beim Blüm- und Kohl-Kapitel solle aus linker Richtung noch einmal nachgetreten werden. So weit würde ich nicht gehen, aber ich finde auch, dass eine ansonsten hochwertige Arbeit durch den letzten Federstrich verdorben wurde. So gibt es keine 1 mit Sternchen, sondern nur eine 2 Minus auf die Sammlung.
Februar
Lutz Seiler: Kruso
Geschichte eines jungen Aussteigers in der DDR, Edgar, der den Tod seiner Freundin verkraften muss, nach Hiddensee kommt und dort in einer Kneipe als Tellerwäscher arbeitet. Fasziniert ist er von seinem Kollegen Kruso, eigentlich Alexander Krusowitsch, der unter den Angestellten des "Klausners" eine Art Führungsposition hat. Kruso ist fast so etwas wie der Schamane der Insel. Er organisiert auch die Unterbringung von Festlandsbewohnern, die sich halb legal auf der Insel herumtreiben, und führt seltsame Rituale durch. Eine unwirkliche Atmosphäre. Edgar und Kruso kommen sich näher. Und auch Kruso hat eine Tote zu beklagen, seine Schwester ist - aber ganz sicher ist das nicht - wohl ertrunken.
Der Roman spielt zu einer Zeit, als von Hiddensee aus immer wieder DDR-Bürger versuchen, in den Westen abzuhauen, oft schwimmend, meist ohne Kenntnisse der wirklichen Entfernungen, und zumeist ertrinken sie oder werden von der Polizei erwischt. Im Speiseraum quäkt ein kaputtes Radio, der Deutschlandfunk ist eingestellt und lässt sich nicht mehr ausstellen. Ausgerechnet zur Zeit der "Wende", geht das Radio dann aber doch ganz kaputt, das heißt, die Hauptfigur kriegt gar nicht mit, dass die Grenzen offen sind und warum alles so leer wird. Nach und nach gehen die Mitarbeiter des "Klausners" von Bord. Auch Kruso verschwindet und geht ins Wasser. Schließlich merkt Edgar doch, dass alles zu Ende ist. Zuletzt macht er sich auf nach Dänemark und versucht dort, in einem Dokumentationszentrum für Leichen von in der Ostsee ertrunkenen DDR-Flüchtlingen, die Schwester Krusos zu finden. Das Buch "hat was". Teilweise etwas sperrig zu lesen, aber nicht schlecht.
Hans Jürgen Fischer: Auf den zweiten Blick (e)
Die Sammlung enthält Kurzgeschichten und Gedichte, Alltagsbeobachtungen und Gedanken, zum Teil sehr bissig, recht systemkritisch, oft mit dem Blick auf die Verlierer unserer Gesellschaft. Ich habe das eBook als Vorbereitung für ein Interview mit dem Autor gelesen, das ich für die Sendung "High Noon" auf Radio Tonkuhle geführt habe. Das Gespräch und ein paar von Hans-Jürgen Fischer gelesene Passagen aus diesem Buch und aus seinem Roman "Sandros Strafe" könnt ihr hier nachhören:
Hans Baumann: Demetrius und die falschen Zaren
Ein Buch, das schon lange nicht mehr erhältlich ist. Ich fand es in einem öffentlichen Büchertausch-Schrank in Hannover. Mitgenommen habe ich es, weil ich zum einen ein großes Faible für Baumanns Jugendbücher habe, zum anderen, weil ich mich in meiner Unizeit sehr intensiv mit Schillers Demetrius-Fragment befasst habe, mit den Fortsetzungen, die Heinrich Laube und Gustav Kühne dazu geschrieben haben, und mit Friedrich Hebbels Demetrius, der ebenfalls Fragment blieb. Baumanns Demetrius ist ein Jugendbuch, aber mit einem hohen Anteil an Geschichtsreferat. Insofern ist es keine durchgehende Romanhandlung, sondern es werden immer wieder Abschnitte über die Zustände in Russland, die Interessen bestimmter Volksschichten und ähnliches eingefügt. Insofern lässt es sich nicht ganz so flüssig lesen wie etwa "Die Höhlen der großen Jäger", "Der Sohn des Columbus" oder "Flügel für Ikaros". Für mich als "Demetrius-Forscher" aber sehr erhellend und mit Gewinn zu lesen.
Baumanns "Demetrius" enthält, wie auch seine Bücher "Der große Alexanderfeldzug" oder "Flügel für Ikarus" als Auseinandersetzung mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit von Herrschaft und der Möglichkeit, ein "guter Herrscher" zu sein, ein Thema, das wohl für den Autor immer auch eine Auseinandersetzung mit seiner eigenen Biographie gewesen ist. Damals, als ich seine Jugendbücher kennen lernte, wusste ich noch nichts von seiner NS-Vergangenheit und seiner Position als Cheflyriker und -Lieddichter der NS-Jugendorganisationen. Ich bin sehr froh darüber, dass ich den Autor damals ganz unvoreingenommen entdecken konnte. Womöglich hätte ich mir damals seine "Höhlen der großen Jäger" sonst nicht vom Taschengeld gekauft, es hätte mich gegraust. Aber der Mann hatte eine ganze Menge auf dem Kasten, schreiben konnte er wirklich.
Alexander von Ungern-Sternberg: Braune Märchen (e)
Alexander von Ungern-Sternberg gehört am Rande mit in den Bereich des "Jungen Deutschlands", der liberalen Literatur der 1830er Jahre, mit deren Autoren ich mich im Studium recht intensiv befasst habe. In diesem Zusammenhang stieß ich auch auf Ungern-Sternberg, der mit seinem Roman "Die Zerrissenen" ein damals sehr gängiges Schlagwort, eine psychologische Grundhaltung der modernern Literaten aufgegriffen hat. Ich las damals außer den "Zerrissenen" auch den Folgeroman "Eduard", fand beide grottig oder zumindest durchschnittlich, stieß dann aber auf zwei Taschenbücher mit Märchen von ihm, die "Schiffersagen" und die "Braunen Märchen" und stellte fest, dass dieser Autor seine Stärke auf jeden Fall auf dem Gebiet der "kleinen Formen" hat und dass seine Märchen viel besser sind als seine Romane. Jetzt stieß ich also auf eine kostenlose Ausgabe der "Braunen Märchen" und lud sie herunter.
"Braune Märchen" nennt er sie, weil er sich in die Tradition der französischen "Nouvelles Brune" stellt, was besagen will, dass es sich um erotische Märchen handelt. Für heutige Leser sind sie eher harmlos, es werden halt manchmal Dinge wie Geschlechtsorgane oder Beischlaf angedeutet. Da ist zum Beispiel die Geschichte einer Bäckerstochter, die eine supergute Bäckerin ist und eines Tages verkündet, sie wolle jetzt ihr Meisterstück liefern und sich einen Mann backen. Der Mann wird auch ganz toll und gefällt ihr ausnehmend gut, aber die junge Frau ist halt noch vollkommen unschuldig, und die älteren, erfahrenen Männer und Frauen kichern ein wenig, weil sie "das Hauptstück" vergessen hat. Der gebackene Mann ist ausgesprochen liebenswürdig, sieht auch gut aus, hat Manieren, aber er wird immer verdrossener, und als sie nicht versteht, was ihm fehlt, macht er sich irgendwann allein auf die Reise, kommt dann in den Besitz eines gläsernen Löffels, der ihm genau an die Stelle springt, wo ihm etwas fehlt, und dort anwächst, und der gebackene Mann zieht weiter, erlebt noch ein paar Abenteuer ... So in der Art. Also, wenn ihr etwas von Ungern-Sternberg lesen wollt, greift zu seinen Märchen und lasst die Romane weg. Macht mehr Spaß.
Heinrich Laube: Reisenovellen VI (e)
Letzter Band der Reisevovellen. Und vom Autor auch schon im Vorwort als Abschlussband angekündigt. Laube reist durch Thüringen. Stationen sind Weißenfels, wo es um eine Jagd und ein Liebespaar geht, Naumburg und Kösen, Bibra, der Kyffhäuser, wo des schlafenden Kaisers gedacht wird, Auerstädt und Osmanstädt, Weimar, wo es um Goethe und Schiller geht. Goethes Hauswesen , seine Gespräche und Briefe. Dann ein neuer Abschnitt über Süddeutschland, den Niederrhein, die Franken, München, Frankfurt. Ein Kapitel über den Rhein. Heidelberg. Die Nibelungen. Eine Novelle über ein Mädchen aus dem Schwarzwald. Stuttgart und die Schwaben. Schiller in Stuttgart. Nürnberg. Noch eine letzte Novelle aus Adelskreisen. Fertig.
Fazit: Die Italien-Reise vom letzten Jahr und die Ostsee-Reise aus diesem Jahr waren die besten Reisebeschreibungen aus Laubes Feder. Der Rest ist lesbar, aber auch sehr zusammengewürfelt.
Peter Hereld: Teutonia
Ein Interview mit Peter Hereld über sein Buch habe ich für Radio Tonkuhle geführt, einen Mitschnitt findet ihr hier:
Andrea Tillmanns: Weltenschlüssel 1 - Mit den Eulen fliegen
Regina Felin: Der Kleine Wagen
Ein Buch, das ich mir eigentlich schon vor 15 Jahren kaufen wollte, es ist dann aber irgendwie doch nicht dazu gekommen, aber jetzt habe ich es antiquarisch gefunden. Es geht nichts verloren.
Erzählt wird die Geschichte eines jungen deutschen Mädchens, das nach dem Zweiten Weltkrieg beziehungsweise noch in den letzten Tagen des Krieges aus Polen nach Deutschland flüchten muss. Ihr Vater hatte einen wichtigen Posten bei der Bahn, war Leiter eines Bahnhofs, so kann er seine Frau und seine Tochter noch im Zug nach Westen unterbringen, obwohl alles restlos besetzt ist. Auf den Bahnhöfen spielen sich endzeitliche Szenen ab, alles flüchtet in Angst vor den Russen. Aber das ist nichts gegen das, was die Ich-Erzählenrin dieses autobiographisch geprägten Romans erlebt, als sie im Deutschland der Endkriegszeit ankommt. Freunde, selbst nahe Verwandte, sind plötzlich wie ausgetauscht, seitdem sie nur noch ein Flüchtlingskind ist. Jeder denkt nur an sich, keiner will sie und ihre Mutter durchfüttern, und wo immer sie ein Zimmer bekommen, müssen sie der Wirtin ihre Essensmarken zur Verwahrung und zwecks gemeinsamen Einkaufs abgeben - Marken, die sie nie wieder sehen werden. Sie werden bestohlen, betrogen, ausgenutzt und wie Abschaum behandelt, nach unten durchgereicht, auch und gerade von Verwandten ... Ein Buch, bei dem ich fast froh bin, dass ich es jetzt erst gelesen habe, in einer Zeit, in der die meisten Deutschen vergessen haben, dass auch Angehörige ihres Volkes vor noch nicht allzu langer Zeit einmal Flüchtlinge waren.
Etwas zu bekritteln habe ich allerdings als passionierter Sterngucker: Das Cover zeigt nicht den Kleinen Wagen, sondern den Großen Wagen. Und auch die Ich-Erzählerin scheint gar nicht zu wissen, dass es zwei Wagen gibt. Sie spricht nur immer von dem Kleinen Wagen, schaut zu ihm auf und stellt sich vor, dass sie all ihre Habseligkeiten und ihre Familie samt Hund in diesen Handwagen hineinsetzen und mitnehmen will. Irgendwie wäre es doch sinnvoller gewesen, der Vater hätte ihr erstmal den Großen Wagen gezeigt und ihr dann erklärt, wie man den Kleinen findet. Ich mein ja nur ...
Alexander von Ungern-Sternberg: Die Zerrissenen (e)
Typischer Roman der 1830er Jahre in der Verwandtschaft der Jungdeutschen. Künstlerroman mit Weltschmerz, ein paar Adlige, Liebesgeschichten, Gedanken über das Leben und den Staat, ein paar Verwicklungen. Ich hab Anfang der 1990er den Erstdruck in der niedersächsischen Landesbibliothek gelesen, und obwohl ich sonst immer fleißig exzerpiere, habe ich damals kein einziges Zitat zum Herausschreiben gefunden. Der Folgeroman "Eduard" ist etwas besser, der hat mir eines beschert. Jetzt also die eBook-Ausgabe, kostenlos für den Kindle heruntergeladen, nochmal gelesen, und letztlich gibt es immer noch nichts Großartiges daraus zu zitieren. Wichtig ist halt der Titel "Die Zerrissenen" als Schlagwort und Selbstbeschreibung einer ganzen Literatengeneration und das Erscheinungsjahr 1832, dann wisst ihr schon genug darüber. Lest lieber seine Märchen.
Sheelagh McErin: Das Haus der Masken
März
Antje Babendererde: Isegrim
Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern
Als ich mir eine Ausgabe von "Walden" bestellte, tat ich zunächst einen Fehlgriff. Ich bestellte die im Anaconda-Verlag erschienene Hardcover-Version, optisch wunderbar, aber als ich sie aufschlug, stellte ich fest, dass es sich um ein gekürztes Buch handelt. Das war weder aus der Buchbeschreibung im Internet noch aus dem Klappentext ersichtlich. Einer der ganz wenigen Fälle, in denen ich eine wütende Mail an meinen Online-Buchhändler schreib und das Buch wieder zurückschickte. Vielleicht hat die Bearbeiterin ihren Job ja tatsächlich gut gemacht. Aber ich bin da Purist. Wenn jemand entscheidet, was ich beim Lesen weglassen soll, dann tue ich das selbst.
Ich schaffte mir dann die Taschenbuchausgabe an, die im Verlag Hofenberg erschienen ist. Optisch nicht ganz so ansprechend, halt ein komisches helles Grün mit einem grünen Hüttenbild, offenbar der Originalausgabe nachempfunden. Die Übersetzung ist uralt und gemeinfrei (dass Anaconda hier eine Neuübersetzung lieferte, ist eindeutig ein Plus der anderen Ausgabe), sie stammt von Wilhelm Nobbe und ist 1905 erschienen, damals wohl die erste deutsche Walden-Ausgabe. Damit lässt sich leben. Ein Minuspunkt ist aber, dass hier wieder einfach nur ein alter Frakturdruck eingescannt, in eine modernere Schrift umformatiert, aber nicht Korrektur gelesen wurde. Da ist die Rede von "Negierungstruppen", von einem Jäger mit seinem "Sunde" und einer "Sausherrin" und einer "Sintertür", man braucht schon manchmal sehr viel Scharfsinn, um solche Texte zu lesen. Auf jeden Fall lernt man so viele neue Wörter.
Der Text selbst ist auf jeden Fall empfehlenswert. Der Mann konnte nicht nur denken und eine Hütte bauen und sich zwei Jahre in der Wildnis behaupten, sondern auch schreiben. Ein Klassiker, den man gelesen haben muss. Und was die Redundanzen angeht, die in der anderen Ausgabe weggekürzt wurden, ja, vielleicht gibt es darin welche, aber da muss man als Selbstdenker eben durch.
Wolf N. Büttel: Sie hatten 44 Stunden
Ein Roman, der an nur einem Wochenende entstand. Ein Schreibseminar. 15 fortgeschrittene Autoren, die ein ungewöhnliches Experiment wagen. Es ist ein Buch, das ich schon lange lesen wollte. Ich kenne eine ganze Menge der beteiligten Autoren, einige persönlich, viele über Facebook, eine Menge durch eigene Lektüre. Also, nach diesem letzten großen Schreibkurs haben es fast alle geschafft, in der Literatur ihre Fußstapfen zu hinterlassen. Es ist ein Science-Fiction-Roman dabei herausgekommen, das Buch enthält auch eine Dokumentation des Seminars und sogar ein Gutachten eines Lektors, der die Verkaufschancen des Werkes einschätzt. Ja, ich teile seine Einschätzung und verstehe, warum das Buch nicht in einem Verlag als "normaler" Roman erscheinen konnte. Ein bisschen ruckelt es natürlich beim Kapitel- und Autorenwechsel, manches ist zu ausschweifend, manches hätte ausführlicher dargestellt werden können, und der Plot ist halt nicht großartig sondern Durchschnitt. Trotzdem: Dieses Buch war ein Erlebnis, und wenn auch nicht alles zusammen passte, jeder einzelne Autor hatte eine verdammt gute Schreibe, und ich habe es in einem Rutsch durchgelesen. Ein echter Pageturner. In einer der Beurteilungen habe ich gelesen, man wisse nicht so recht, in welches Regal man das Buch nun stecken sollte, ins SF-Regal der ins Schreibratgeber-Regal. Bei mir steht es im Schreibratgeber-Regal, aber etwas spacig ist es trotzdem. Einfach ein Erlebnis.
Oliver Hohlstein (Hrsg.): Kinder der Sonnenfinsternis
Eine Sammlung, zu der ich selbst eine Geschichte beigesteuert habe, darum hier keine Bewertung. Aber die Texte der anderen Autoren sind durchweg lesenswert. Es geht um Jugendliche mit besonderen magischen Begabungen. Gezeugt wurden sie zur Zeit der Sonnenfinsternis von 1999 unter dem Einfluss eines schwarzmagischen Rituals, das eine Sekte durchgeführt hatte. Das Ritual ging schief, aber einige damals geborene Kinder entwickeln nun als Jugendliche bestimmte Kräfte. Staatliche Organe, aber auch Wirtschaftsunternehmen machen Jagd auf diese "Begabten", um sie entweder als Gefahrenquellen auszuschalten oder sie für ihre Zwecke einzusetzen. Es handelt sich um eine der typischen "verwobenen" Anthologien der Geschichtenweber. Das heißt, jeder Autor schrieb zwar eine eigene Kurzgeschichte, aber die Storys sind untereinander durch bestimmte Elemente miteinander "verwoben". Die Arbeit daran hat mir jedenfalls sehr viel Spaß gemacht.
Tatjana Stöckler: Chagrans Thron I
Steffi Biber-Geske & Sabrina Pohle: Sagenhafte Ferien auf Usedom
Die Welten von Thorgal: Thorgals Jugend 3 - Runa
Dorothee Kremer: Der Marmeladenkönig und andere Obstrmärchen
Der große Feuergeist. Märchen der Eskimo (e)
Kostenloses Kindle-eBook. Eine Märchensammlung mit Märchen der Inuit. Viel ist die Rede von Kindern, die ihre Familie verlieren oder irgendwie Nahrung beschaffen müssen.Einiges über Schamenen, die die Meergöttin besänftigen müssen. Sehr interessant zu lesen, teilweise etwas altertümlich.
Schwarzer Hirsch: Ich rufe mein Volk
Autobiographischer Bericht, ein Buch aus Dietrichs Gelber Reihe, ich hab es gebraucht bekommen. Erzählt wird die Geschichte der Lakota und ihres Kampfes gegen die Weißen, die sie immer mehr verdrängen und ihnen ihr Land rauben. Das ganze aus der Sicht eines Schamanen, der eine sehr mächtige Vision erhalten hat und diese nach und nach als öffentliche Inszenierung umsetzt. Habe ich so noch nicht gehört, aber es war wohl so, dass solche besonderen Träume erst dann für die Schamenen nutzbar und anerkannt wurden, wenn sie öffentlich vorgeführt werden. Am Ende ist aber der Wiederstand der Lakota zerschlagen, der letzte Krieg ist verloren. Ein letztes Aufbäumen ist die Geistertanz-Bewegung. Schwarzer Hirsch lernt den Geistertanz kennen und ist begeistert von Wovoka und seinen Lehren. Doch auch die Geistertanz-Bewegung wird blutig niedergeeschlagen. Schwarzer Hirsch gelangt zu der Erkenntnis, dass er seine eigene Vision verraten hat. Er hätte die Chance gehabt, sein Volk zu retten, wenn er sich nicht Wovoka angeschlossen, sondern seine eigene Vision umgesetzt hätte, glaubt er.
Hörbuch:
Mark Brandis - Raumkadett 1: Aufbruch zu den Sternen
Erster Teil einer Hörspielserie über den jungen Mark Brandis und seine Ausbildung bei der Vega. Grundlage ist die gleichnamige Kurzgeschichte von Nikolai von Michalewsky. Der junge Mark Brandis schleicht sich als blinder Passagier auf ein Schiff, das zur Venus fliegt. Dort, so hat er erfahren, kann er Astronaut werden. Aber er wird entdeckt, und der Kapitän, der furchtbar abergläubisch ist, hat für junge "Klabautermänner" nichts übrig ... Akustisch erneut ein Hochgenuss, die Crew der Mark-Brandis-Serie hat eine ganze Menge auf dem Kasten. Hat mir gefallen.
Zu Teil II meines Jahresrückblicks: April bis Juni 2016
Zu Teil III meines Jahresrückblicks: Juli bis September 2016
Zu Teil IV meines Jahresrückblicks: Oktober bis Dezember 2016
© Petra Hartmann