Jahresrückblick II: April bis Juni 2018
Jahresrückblick
Hinweis:
Etwaige blau markierte Texte sind herausragende Spitzenbücher, rot steht für absoluten Mist, ein (e) hinter dem Titel bedeutet, dass ich den betreffenden Text in der eBook-Version gelesen habe, und hinter den Links verbergen sich ausführlichere Besprechungen innerhalb dieses Blogs.
April
Jugurtha-Gesamtausgabe III:
- Der große Zebra-Zauberer
- Makounda
- Das Feuer der Erinnerung
- Marsias Gladiatoren
Dritter Band der bei Finix erschienenen Jugurtha-Gesamtausgabe. Enthält vier Abenteuer, die ich damals in der Carlsen-Zeit nicht mehr mitbekommen habe. Jugurtha ist aus Asien zurückgekehrt, erlebt neue Abenteuer in Afrika und trifft erneut auf die Legionen Roms. Machtgierige Medizinmänner, geldgierige Heerführer, korrupte und dekadente Vertreter des römischen Weltreichs, Liebeswirrungen, Traumwelten und überhaupt traumhafte Zeichnungen, wer braucht da schon historische Korrektheit? Wenn man bedenkt, dass der wirkliche Jugurtha bereits nach den Abenteuern in Teil zwei der Albenreihe das Zeitliche gesegnet hat ... Sehr schön gezeichnet, ordentlich erzählt, und ich fand die afrikanischen Abenteuer wesentlich besser und nachvollziehbarer als die aisiatischen Bände. Hier ist der numidische Prinz wieder in seinem Element.
Björn Kuhligk: Cartagena. Ein Reisebericht (Literatur-Quickie)
Ein kleines Literaturstück im Pixi-Format. Sehr kurz, ganz nett, aber hat mich auch nicht umgehauen. Ich schätze Björn Kuhligk eher wegen seiner Lyrik.
Corinna Antelmann: Im Schatten des Mondes
Julian Apostata: Das Kaiserbankett / Der Barthasser
Schlanke Hardcover-Ausgabe aus dem Marix-Verlag, Übersetzung von Marion Giebel. Ich kannte den "Barthasser" bereits aus der Reclamausgabe, das Kaiserbankett war mir neu.
Kaiser Julian war Philosoph und hing der Lehre der Stoa an, Gelegenheitsschriftsteller und, wie man im Barthasser lesen kann, auch bereit zur Selbstverspottung, Darüberhinaus ein sehr interessanter Charakter. Der letzte römische Kaiser, der das Christentum noch hätte aufhalten können, vermutlich. Sein Onkel Konstantin hatte dem Christentum den Weg zur Staatsreligion geebnet, Julian, den man später "Apostata", der Abtrünnige, nannte, hatte mit diesen Leuten nichts am Hut, kehrte zu den alten Göttern zurück und wurde dafür stark angefeindet.
Die beiden Schriften stehen in der Tradition der Saturnalien, eines römischen Festes, das ein wenig dem Karneval ähnelt, bei dem so ziemlich alles erlaubt war, Hohe erniedigt, Sklaven zu Herrschern wurden und die Welt auf den Kopf gestellt wurde.
In seinem Barthasser schreibt Julian eine Satire gegen sich selbst, auf seinen Philosophenbart und seine asketische Lebensweise, fasst die Anklagen der (christlichen) Gegner zusammen, übertreibt sie und nimmt ihnen gewissermaßen den Wind aus den Segeln.
Im "Kaiserbankett" lässt er die alten römischen Kaiser bei einem Gelage des Gottes Zeus erscheinen und um den besten Platz an der Ehrentafel streiten. Neben Caesar, Augustus und Tiberius treten auch Caligula und Nero auf, Nerva, Hadrian und weitere Kaiser, darunter auch nichtrömische Herrscher wie Alexander. Einen Ehrenplatz erhält Marc Aurel, der Philosoph, der vor den kriegerischen Kaisern ausgezeichnet wird. Eine besonders erbärmliche Rolle spielt schließlich Kaiser Konstantin, der ohnehin nur auf nachdrückliche Empfehlung des Weingottes Dionysos zugelassen wird. Konstantin, der große Schirmherr der Christen, wird als Mann gezeigt, der im Krieg nichts Großartiges geleistet hat, ein Weichling, dem Genuss ergeben, der sich zuletzt beim Bankett der Tryphé, der Göttin des Vegnügens, in die Arme wirft und sich mit ihr zur Asotia, der Liederlichkeit, begibt. Dort trifft er dann auch Jesus, der alle Wüstlinge, Mörder und Tempelschänder von ihren Verbrechen reinzuwaschen verspricht. Ein Angebot, das Konstantin, der sich immer wieder kopfüber in Sünden und Morde stürzt, nur allzu gern annimmt. Böse.
Das Buch enthält eine Einleitung, kommentierende Fußnoten, eine Zeittafel und ein paar Literaturhinweise. Sehr hilfreich.
Gert Hofmann: Die Rückkehr des verlorenen J.M.R. Lenz nach Riga (Reclam)
Novelle über Lenz, der mittellos und demütig zurückkehrt ins Haus seines Vaters. Doch der Mann ignoriert den zurückgekehrten Sohn einfach, so sehr sich der gescheiterte Poet auch vor ihm in den Staub wirft und um seine Liebe bettelt. Man fühlt sich hundeelend, wenn man ihm lesend dabei zusehen muss. Eine beklemmende Schilderung, die mir sehr nahe gegangen ist.
Vercors: Das Schweigen des Meeres
Beeindruckende Geschichte aus der Zeit der französischen Résistance. Ein deutscher Offizier wird zur Zeit der Besatzung bei einem älteren Franzosen und dessen Nichte einquartiert. Der Deutsche liebt Frankreich, spricht fließend Französisch und hat sogar französische Vorfahren. Aber seine Versuche, mit seinen unfreiwilligen Wirten ins Gespräch zu kommen, laufen ins Leere. Jeden Abend tritt er zu ihnen ins Wohnzimmer, erzählt von seiner Liebe zu Frankreich und zur französischen Kultur und davon, dass von der Vereinigung Deutschlands und Frankreichs Großes zu erwarten sei. Doch der alte Mann und seine Nichte schweigen, in all der Zeit kommt kein einziges Wort über ihre Lippen, und jeden Abend zieht sich der Offizier nach seinem Selbstgespräch mit einem höflichen Gruß zurück. Eines Tages aber ändert sich alles für den Soldaten, als er nämlich erfährt, dass es den Nazis gar nicht darum geht, Frankreich an Deutschlands Seite wieder zu neuer Größe aufzurichten, sondern darum, dieses Land und Volk zu vernichten oder zumindest zu unterjochen. Für einen ehrenhaften Soldaten alter Schule gibt es nach dieser Erkenntnis nur noch eine Möglichkeit zu handeln: Er lässt sich zurück an die Front versetzen, wo ihm der Tod sicher ist, und kehrt nie wieder zurück. Fontane hätte es nicht treffender komponieren können.
Das Buch ist schlicht und schnörkellos geschrieben, kommt beinahe herb daher und gleichzeitig ausgesprochen berührend. Die Abende am Kamin und das einseitige Gespräch, das vielleicht doch nicht so einseitig ist, sondern in seinem Schweigen eine außerordentliche Intensität gewinnt, all dies macht das Buch zu einem kleinen erzählerischen Juwel. Absoluter Klassiker der Résistance-Literatur, und absolut zu Recht. Lesen!
Tanya Stewner: Alea Aquarius 2: Die Farben des Meeres
Alea und die Alpha Cru sind weiter auf der Spur des verschollenen Meervolks und entdecken wertvolle Hinweise auf die Vorfahren von Alea und Lennox. Erneut sehr spannend und fesselnd geschrieben, erneut ein auch optisch sehr ansprechend gemachtes Buch. Über die krassen Fehler im Umgang mit dem Schiff habe ich mich ja schon im ersten Quartal anlässlich des ersten Bandes ausgelassen, das setzt sich hier fort. Die Unterwasserwelt und ihre Bewohner sind zauberhaft erfunden, aber ein ganz klein bisschen Realismus hätte ich schon gern gehabt. Alles, was Alea unter Wasser trifft, liest sich so, als habe die Autorin noch nie den Kopf unter Wasser gehabt. Egal, wie gesagt, es ist spannend und gute Unterhaltung.
Ken Broeders: Apostata 1:
-Der Fluch des Purpurs
- Die Hexe
- Argentoratum
Schöne Hardcoverausgabe, enthält die ersten drei Alben der Comicserie über das Leben des römischen Kaisers. Familiengeschichte, Kriegserlebnisse, Intrigen, Morde. Zum Teil historisch und recht traditionell, teilweise auch in die Phantastik hinübergleitend, Enthält ein Nachwort mit Infos zur Serie und im Anhang zahlreiche Skizzen und Entwürfe. Nett, aber nicht umwerfend.
Sabine Zett: Lenny, Melina und die Sache mit dem Skateboard (Ich schenk dir eine Geschichte)
Stéphane Hessel: Empört euch!
Das war - - - alles? Ich habe so viel Positives gehört über diesen Essay, er hat damals eingeschlagen wie eine Bombe, ein Bestseller, ein Hype, ein Aufrüttler, ein flammender Aufruf zum Widerstand ... Hm. Das Buch ist extrem dünn, was eigentlich kein Qualitätsmerkmal sein sollte, die Botschaft steht schon auf dem Titel, und das wars eben. Ich schätze, der Eindruck, den das Buch gemacht hat, ist eher der Persönlichkeit des Verfassers und seiner Biografie geschuldet. Inhaltlich nicht viel Neues.
Baroness Orczy: Scarlet Pimpernel
Abenteuer-Klassiker, den ich vor knapp 40 Jahren in der Auswahl "Das Beste - für junge Leser" gelesen habe. Und natürlich kannte ich den Film. Ein schönes Wiedersehen mit Sir Percy, der in der Londoner Gesellschaft den Salonlöwen und liebenswert-trägen Trottel spielt und in Wirklichkeit die Geheimidentität von Scarlet Pimpernell ist, dem legendären Helden, der immer wieder mit seiner Bande todesmutig ins Frankreich der Revolution hinübersegelt und dort zum Tode verurteilte Adelige vor der Guillotine rettet.
Die Ausgabe, die ich mir zugelegt habe, ist bei Kiepenheuer und Witsch erschienen, ein ordentlich gemachtes Taschenbuch mit interessantem, an Mondrian (nur in Hellblau, Rosa und Lila) erinnernden Umschlag. Noch immer spannend zu lesen, auch wenn ich es schon kannte. Und ich habs mir vor allem auch nochmal durchgelesen, weil es einen zweiten Scarlet-Pimpernell-Roman beim gleichen Verlag gibt, den ich natürlich mitgeordert hatte. Übrigens ist mir nicht aufgefallen, was mir in der gekürzten "Das Beste"-Ausgabe gefehlt hat.
Mai
Carsten Schliwski: Geschichte des Staates Israel (Reclam)
Fundierte und übersichtliche Darstellung, knapp und gut zu lesen. Eine Darstellung der 70 Jahre des vermutlich notwendigsten oder vielleicht sogar einzig notwendigen Staates der Welt. Man erfährt einiges zu den Hintergründen der Staatsgründung und zu den Beweggründen und Interessen der einzelnen Parteien und Staaten, auch der Palästinenser-Konflikt ist recht gut aufbereitet. Empfehlenswert.
Alberto Manguel: Die verborgene Bibliothek
Liebeserklärung an das Lesen und an die Bücher, leichtfüßig und eingängig geschrieben, dabei auch ein wenig traurig, denn der Verfasser gedenkt seiner eigenen, verloren gegangenen Bibliothek. Ich weiß schon, wie das ist, wenn man seine Bibliothek liebt ...
Ludwig Börne: Briefe aus Paris (e)
Hauptwerk eines Schriststellers und Journalisten, dessen Name einst in einem Atemzug mit Heinrich Heine geannt wurde, der heute aber nur noch Leuten bekannt ist, die sich näher mit dem Vormärz und dem Jungen Deutschland befassen. Börne zog es, wie Heine, nach Paris, in die Hauptstadt der Revolution, genauer gesagt der Juli-Revolution. Die beiden Bände, erschienen in den Jahren 1831 und 1832 waren ursprünglich reale Briefe, die er an seine Freundin Jeanette Wohl geschrieben hatte und in denen er über aktuelle Ereignisse berichtete, über Politik, Kunst, auch über Damenmode, viel über Theater und Opernaufführungen. Und auch über Heine, den er ursprünlich als Verbündeten und Waffenbruder ansah, zu dem sich das Verhältnis aber langsam abkühlte. Börne war zu dem Schluss gekommen: Ob Heine schreibe "Die Republik ist die beste Staatsform" oder "Die Monarchie ist die beste Staatsform", hänge davon ab, was sich in seinem Text schöner anhöre ...
Die Briefe aus Paris habe ich erstmals Ende der 1980er gelesen. Ich hatte zwei Ausgaben. Die unverzichtbare Reclam-Ausgabe (Vorteil: kostengünstig und guter Kommentarteil, Nachteil: unvollständig, nur eine Auswahl) und die Insel-Ausgabe (Vorteil: vollständige Ausgabe, Nachteil: kein Kommentar). Beide habe ich inzwischen mehrfach gelesen. Nun also die kostenlose eBook-Ausgabe für den Kindle. Was den guten alten Börne angeht, so ist das vorliegende Werk natürlich 1a. Der Preis ist ebenfalls unschlagbar. Da es sich um ein eingescanntes Werk aus den 1830ern handelt, gibt es natürlich keinen Kommentarteil, und ihr steht allein mit dem Buch und mit seinen Füllhorn an literarischen und politischen Anspielungen da und müsst halt zusehen, wie ihr mit all den Zeitgenossen Börnes klarkommt, die damals jeder kannte und heute keiner mehr. Und stellenweise gab es beim automatischen Umwandeln der Frakturbuchstaben wieder mal seltsame Wortneuschöpfungen und Inhaltsverdrehungen. Krassestes Beispiel der Satz, den Börne schrieb, als die Polizei einen Attentäter festnahm: "Alan fand bei ihm Pistolen und einen Dolch", steht da. Wer ist Alan? Ein Polizist? Ein Bodygard? Nein. Im Original gab es überhaupt keinen Verbrecherjäger namens Alan. Im Original stand: "Man fand bei ihm Pistolen und einen Dolch." Diesen eBooks mit Texten aus der Frakturdruckzeit ist einfach nicht zu trauen.
Israel Zwi Kanner: Jüdische Märchen
Schöne Sammlung aus der Reihe "Märchen der Welt". Biblische/talmudische Geschichten aber auch Erzählungen aus neuerer Zeit. Und das Ganze in einer sehr schönen Ausgabe: Das im Fischer-Verlag erschienene Hardcover-Buch hat ein handliches Hosentaschenformat und lädt einfach ein zum Anfassen und Aufschlagen. Ich habe es inzwischen ein zweites Mal gekauft, denn als meine Schwester das Buch bei mir liegen sah, hat sie sich sofort darein verliebt und wollte auch eines haben.
Juni
Torsten Haarseim: Gardelegen Holocaust
Ein historischer Roman über das Massaker an der Feldscheune Isenschnibbe bei Gardelegen. Hier wurden am 13. April 1945, einen Tag vor dem Einmarsch der amerikanischen Soldaten in die Stadt, 1061 KZ-Häftlinge ermordet. Die Todesmärsche, in denen die Häftlinge in den letzten Kriegstagen aus den östlichen Gebieten weiter nach Westen getrieben wurden - das war schon nach der Befreiung von Auschwitz, wohlgemerkt - sind eines der perversesten Kapitel des Holocaust.
Ich habe das Buch in der Buchhandlung in Gardelegen entdeckt und war zunächst etwas skeptisch, wegen des Verlags, der Edition Winterwork. Aber der Roman war überaschend gut geschrieben und sehr gut recherchiert, er hätte vermutlich auch in einem anderen Verlag bestehen können. Die ersten vier Fünftel jedenfalls haben mir sehr gut gefallen. Im Showdown hat dann der Historiker dem Erzähler ein Bein gestellt, dazu gleich mehr.
Es geht um zwei Jungen aus Gardelegen, Erwin und Hermann, die zu Beginn des Buchs im Jahr 1936 davon träumen, Flieger zu werden. Beide sind begeisterte Mitglieder der Hitler-Jugend. Erwin, der ein wenig jünger ist, sieht zu Hermann auf, der tatsächlich viel eher in eine Flieger sitzen darf, dann aber zu den Fallschirmjägern versetzt wird. Hermann erlebt unter anderem die Schlacht um Kreta und Stalingrad mit, wird verwundet, erhält Orden ...
Als für Erwin der Traum von der Fliegerausbildung wahr werden soll, passiert etwas Merkwürdiges: Er wird in Hamburg irrtümlich einen geflüchteten Juden gehalten (okay, die Geschichte klingt etwas konstruiert), in ein KZ verbracht und lernt das Vernichtungssystem der Nazis am eigenen Leibe kennen. Irgendwann gibt er es auf, sein Deutschtum zu beschwören, er klammert sich nur noch an seinen Löffel, sein kostbarstes Besitzstück, und stirbt jeden Tag ein Stück mehr. Schließlich wird auch er, zusammen mit hunderten anderen Häftlingen, in Richtung Gardelegen getrieben. An der Feldscheune Isenschnibbe stehen sich der Soldat Hermann und der KZ-Häftling Erwin plötzlich wieder gegenüber ...
Der Roman ist als Ich-Erzählung abwechselnd aus der Perspektive Erwins und Hermanns geschrieben. Dadurch entsteht eine große Nähe zu den Personen, und der Leser ist quasi "mit dabei", im Krieg und im KZ. Allerdings liegt hier auch die große erzählerische Schwierigkeit. Denn der Verfasser hat zwar ein enormes Faktenwissen und hat die Hintergründe des Massakers akribisch recherchiert, allein seine beiden Helden und Ich-Erzähler sind eben keine Historiker. Bei manchen Romanen findet sich ja am Anfang, ca. auf Seite vier, ein Riesen Info-Dump, der den Leser aus der Geschichte hinauswirft. Hier ist es der Schluss, der problematisch wird. Im letzten Fünftel des Romans referiert Ich-Erzähler Hermann, der dekorierte, aber nicht allzu hochrangige Soldat, über Geheimtreffen und Führerbefehle, über Entscheidungen der Gardeleger Politik bzw. der Militärs, von denen er eigentlich gar nichts wissen kann. In dem Moment, in dem Erwin in der Feldscheune mit über tausend anderen Gefangenen zu verbrennen droht, erzählt Ich-Erzähler Erwin von Einzelheiten und Hintergründen, die er sich vielleicht später, bei der Aufarbeitung des Massakers, angelesen haben kann, von denen er aber nichts weiß, als alles um ihn herum in Flamme aufgeht. Hier hat der Historiker leider den Autor überwältigt und ganz schnell noch auf den letzten Seiten alles an Informationen in die Geschichte hineinstopfen müssen, was er sich erarbeitet hat. Dabei macht er nicht nur seine beiden Charaktere unglaubwürdig (die in den ersten vier Fünfteln recht gut und authentisch herüberkamen), sondern er zerstört auch die Erzählung. Besser wäre es gewesen, die beiden Helden so unwissend und einfach nur handelnd zu lassen und die Fakten in einem Nachwort, dann mit der eigenen Stimme des Verfassers, zusammenzufassen. Schade. Aber der Rest ist wirklich lesenswert.
Björn Larsson: Träume vom Ufer des Meeres
Geschichte eines seltsamen Kapitäns und seiner Bekanntschaften. Marcel fährt mit einem Frachter um die Welt und wählt dafür manchmal auch etwas ungewöhnliche Routen. Er ist nicht nur ein außergewöhnlich guter Seemann, der sein Schiff selbst in Krisensituationen sicher und gelassen lenkt und durch seine unaufgeregten Hafenmanöver auffällt, er ist auch ein Mensch, den ein gewisser Zauber umgibt. Kommt er in einen Hafen, so gelingt es ihm scheinbar mühelos, Freundschaften zu schließen, Partner für tiefe, ungewöhnliche Gespräche zu finden und Menschen in seinen Bann zu schlagen. In vier verschiedenen Häfen trifft er auf vier Personen mit jeweils eigenen Geschichten und Gedankenwelten. Alle vier - zwei Männer und zwei Frauen - sind fasziniert von diesem Mann und wollen die Trennung von ihm so nicht hinnehmen. Unabhängig voneinander machen sie sich auf die Suche nach Marcel. Als er mit seinem Frachter erneut anlegen will, entdeckt er vier Bekannte an Land, und ein eigenartiges Zusammenleben auf dem Schiff beginnt. Die gemeinsame Zeit ist befristet ...
Ein schönes, leicht und tiefsinnig erzähltes Buch, magisch und melancholisch. Hat mir gefallen.
Johannes Witek: Was sie im Norden der Insel als Mond anbeten, kommt bei uns im Süden in die Sachertorte
Wie macht der Mann das bloß, sich solche Titel auszudenken? Gehört eigentlich Mohn in eine Sachertorte? Eine ungewöhnliche Sammlung von Lyrik und Prosa, bissel Underground, bissel bissig und grantig, aber dabei doch mit einem gewissen austriakischen Charme. Dieser Autor kann was. Allerdings ist das Buch nichts für zwischendurch. Man muss schon sehr konzentriert und auf der Hut sein, um die sprachlichen Abgründigkeiten und Hinterhalte so recht würdigen zu können. Nehmt euch Zeit für dieses Buch, auch wenn es nicht allzu dick daherkommt.
Vladimir Hernandez: Der Krieg der Schrecken
Friedrich Jacobsen: Die letzten Menschen
Ein sehr schöner Reprint, der mir am Tisch der Edition TES auf dem MarburgCon in die Hände gefallen ist. Auf traditionelle Art gebunden, innen Fraktur, das Ganze im Hosentaschenformat, liegt sehr gut in der Hand. Musste ich einfach mitnehmen. Das Original ist im Jahr 1905 erschienen und ist, hm ja, eine Art Zukunftsgeschichte. Allerdings mit recht wenig futuristischer Technik, abgesehen von einem Flugapparat. Eher ein etwas biblisches, altertümliche Sagenerzählungen nachahmendes Weltuntergangsszenario. Eine genaue Jahresangabe, wann dieser Weltuntergang stattfinden soll, gibt es nicht, nur diese Ausgangslage: "Die Erde war sehr alt geworden, und ihre Bewohner litten unter der Weisheit des hohen Alters. Jeder Fortschritt war bis an eine Grenze vorgedrungen, über die der menschliche Geist nicht hinauszugehen vermochte, und jenseits ahnte man nur noch die schale Wiederkehr alles dessen, was die Menschheit schon tausendmal gedacht und erlebt hatte."
Baldur und Eva wachsen als Ziehkinder unbekannter Herkunft bei den greisen und weisen Henoch auf, der die Bibel gut kennt und als erster die Zeichen der Zeit zu deuten vermag. Aber als der alte Mann das Fest der Sonnenwende mit seiner Ankündigung des Weltuntergangs für eben diesen Tag stört, wird er verspottet und verstoßen. Dann bricht eine neue Sintflut los, und nur die beiden Jugendlichen können sich in Henochs Flugmaschine retten. Allerdings nur vorläufig ...
Ein sehr interessantes Buch, vielleicht etwas schwer zu lesen aufgrund seines antikisierenden, hymnischen Tonfalls. Aber auf jeden Fall eine ungewöhnliche Erzählung, auf die man sich einlassen sollte.
Hörspiel
Adrian und Lavendel
Zauberhafte Geschichte über einen Schriftsteller, der eines Tages eine kleine, zartgeflügelte Dampfwalze in seinem Garten findet. Die Geschichte einer wunderbaren Freundschaft, die beinahe für immer in die Brüche gegangen wäre. Ich habe das Hörspiel eines Morgens im Autoradio gehört - wie so oft auf Autofahrten leider nur teilweise - und mir gleich darauf im Netz die CD bestellt. Wunderschön. Und wenn ich eine zartgeflügelte Dampfwalze als Freund hätte, ich würde sie bestimmt niemals dazu verdonnern, Hemden zu bügeln.
© Petra Hartmann
Jahresrückblick, Teil eins: Januar bis März 2018
Jahresrückblick Teil drei: Juli bis September 2018
Jahresrückblick Teil vier: Oktober bis Dezember 2018