Das goldene Entenei. Ein Märchen
Krimskrams Märchen
Beim Aufräumen meiner Festplatte gefunden: Ein altes Märchen, das ich schrieb, als ich mich vor einigen Jahren als Journalist und Schriftsteller selbstständig gemacht habe und von einer Behörde zur anderen irrte. Gewidmet dem Arbeitsamt, dem Finanzamt, der Krankenkasse und der Künstlersozialkasse. Viel Spaß beim Lesen!
Das goldene Entenei
Es war einmal ein armes aber redliches Mädchen, dessen Mutter war schwer krank geworden. Die Ärzte sagten, es gebe kein Heilmittel, und sie werde sterben. Da war das Mädchen sehr traurig. Aber eines Nachts, da träumte die Mutter, wenn sie ein goldenes Ei, gelegt von einer goldenen Ente, äße, dann würde sie wieder gesund werden. Am anderen Morgen erzählte sie den Traum ihrer Tochter. Da sprach das Mädchen: "Mutter, ich will in die Welt hinausziehen und die goldene Ente suchen. Du sollst sehen: Wenn ich dir das goldene Ei bringe, wirst du wieder ganz gesund." Und guten Mutes machte sich das Kind auf und zog in die Welt hinaus.
Aber, ach, wo immer es auch suchte und nach der goldenen Ente fragte, von einem solchen Vogel hatte noch niemand gehört im ganzen Reich, und am Ende erntete es nur Hohn und Spott. Durch Wind und Regen irrte es viele Tage und Nächte hindurch, es litt Hunger und Durst, und die Füße taten ihm so weh, es konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
Doch mit einem Male, da war es ihm, als hörte es an einem Teich im Röhricht etwas quaken und schnattern, und als es die Schilfhalme auseinanderbog, siehe da, da fand es ein Nest, das war ganz aus goldenen Zweigen gebaut, und darin lagen fünf goldene Enteneier. Obenauf aber saß eine goldene Ente, die quakte und schnatterte vor sich hin und sah das Mädchen freundlich an.
"Ach bitte, liebe goldene Ente", sprach da das Mädchen, "gib mir doch eines deiner goldenen Eier. Meine Mutter ist todkrank, und nur ein goldenes Entenei kann sie wieder gesund machen."
"Nun", sprach die Ente, "das Ei sollst du wohl haben. Doch du musst mir auch etwas dafür geben. Bring mir eine goldene Feder aus dem Steiß des goldenen Kondors, der auf dem höchsten Gipfel der Anden lebt, und sowie du mir die Feder gibst, sollst du das goldene Ei von mir haben."
Da knickste das Mädchen artig und machte sich auf die Suche nach dem goldenen Kondor. Hart und lang war der Weg, doch das Mädchen erduldete Hunger und Durst, Hitze und bittere Kälte klaglos und lief auf blutigen Füßen, bis es zuletzt den höchsten Gipfel der Anden erreichte. Und tatsächlich: Dort oben auf dem höchsten Bergesgipfel, da sah das Kind etwas golden leuchten, und als es ganz hinaufgestiegen war, da sah es, dass es ein goldener Kondor war, und in seinem Steiß staken goldene Schwanzfedern, die glänzten und funkelten in der Sonne.
"Ach bitte, lieber goldener Kondor", sprach da das Mädchen, "gib mir doch eine goldene Feder aus deinem goldenen Steiß. Die Feder geb ich der goldenen Ente und bekomme dafür ein goldenes Ei von ihr, das meine todkranke Mutter wieder gesund machen soll."
"Nun", sprach der Kondor, "die Feder sollst du wohl haben. Doch du musst mir auch etwas dafür geben. Bring mir eine goldene Strähne aus dem goldenen Schweif des goldenen Pferdes der Morgenröte, das im Sonnenaufgang lebt, und sowie du mir die goldene Strähne gibst, sollst du die goldene Feder von mir haben."
Da knickste das Mädchen artig und machte sich auf die Suche nach dem goldenen Pferd der Morgenröte. Lange wanderte es, immer in Richtung der aufgehenden Sonne. Und nach langem Herumirren und Suchen, beinahe am Ende seiner Kräfte angelangt, fand das Mädchen tatsächlich den Sonnenaufgang, und siehe: Genau an der Stelle, an der die Sonne aufging, weidete ein goldenes Pferd, und sein Schweif glühte golden im Morgenrot.
"Ach bitte, liebes goldenes Pferd der Morgenröte", sprach da das Mädchen, "gib mir doch eine goldene Strähne aus deinem goldenen Schweif. Die Strähne gebe ich dem goldenen Kondor vom höchsten Gipfel der Anden für eine goldene Feder aus seinem goldenen Steiß. Die Feder geb ich der goldenen Ente und bekomme dafür ein goldenes Ei von ihr, das meine todkranke Mutter wieder gesund machen soll."
"Nun", sprach das goldene Pferd der Morgenröte, "die Strähne sollst du wohl haben. Doch du musst mir auch etwas dafür geben. Bring mir eine goldene Schuppe des goldenen Fischs, der im achten Weltmeer am äußersten Rand der Welt lebt, wo die Wasser schäumend in den Abgrund stürzen, und sowie du mir die goldene Schuppe gibst, sollst du die goldene Strähne von mir haben."
Da knickste das Mädchen artig und machte sich auf die Suche nach dem goldenen Fisch, der im achten Weltmeer am äußersten Rand der Welt lebt. Lange wanderte es von Land zu Land und von Küste zu Küste, es verdingte sich als Köchin oder Schiffsjunge und fuhr auf Handelsschiffen und Piratenseglern mit. Es hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, doch eines Tages, an Bord eines Forschungsschiffs voller Abenteuerer, gelangte es tatsächlich zum achten Weltmeer, und dort, am äußersten Rand der Welt, wo die Wasser schäumend in den Abgrund stürzen, fand es den goldnenen Fisch, dessen Schuppen golden in der Sonne glänzten.
"Ach bitte, lieber goldener Fisch aus dem achten Weltmeer", sprach da das Mädchen, "gib mir doch eine deiner goldenen Schuppen. Die Schuppe gebe ich dem goldenen Pferd der Morgenröte für eine goldene Strähne aus seinem goldenen Schweif. Die Strähne gebe ich dem goldenen Kondor vom höchsten Gipfel der Anden für eine goldene Feder aus seinem goldenen Steiß. Die Feder geb ich der goldenen Ente und bekomme dafür ein goldenes Ei von ihr, das meine todkranke Mutter wieder gesund machen soll."
"Nun", sprach der goldene Fisch aus dem achten Weltmeer, "die Schuppe sollst du wohl haben. Doch du musst mir auch etwas dafür geben. Bring mir einen goldenen Apfel aus dem Garten der Hesperiden dafür, der jedem, der von ihm isst, die ewige Jugend verleiht, und sowie du mir den goldenen Apfel gibst, sollst du die goldene Schuppe von mir haben."
Da knickste das Mädchen artig und machte sich auf die Suche nach dem Garten der Hesperiden. Der Weg war weit und steinig. Das Mädchen musste die Säulen des Herakles passieren, es durchquerte Wüsten und überschritt Flüsse, es stieg über Gebirge und irrte durch zerklüfete Felsschluchten, und es hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben, als es eines Morgens vor sich das goldnene Tor zu einem herrlichen Garten erblickte. Und richtig, als es in den Garten eintrat, da sah es auch die üppigen Obstbäume, deren Äst sich unter der Last der Früchte bogen. Inmitten des Gartens aber stand der große Apfelbaum, und das Mädchen erkannte den Baum des Lebens sofort am goldenen Schimmer seiner Früchte. In seinem Schatten aber ruhten die zarten Jungfrauen, die ihn pflegten, die Hesperiden, die dem Mädchen freundlich entgegenblickten.
Da sprach das Kind: "Ach bitte, liebe Hesperiden, gebt mir doch einen goldenen Apfel von diesem Baum. Den Apfel gebe ich dem goldenen Fisch aus dem achten Weltmeer am äußersten Rand der Welt und erhalte von ihm eine goldene Schuppe dafür. Die Schuppe gebe ich dem goldenen Pferd der Morgenröte für eine goldene Strähne aus seinem goldenen Schweif. Die Strähne gebe ich dem goldenen Kondor vom höchsten Gipfel der Anden für eine goldene Feder aus seinem goldenen Steiß. Die Feder geb ich der goldenen Ente und bekomme dafür ein goldenes Ei von ihr, das meine todkranke Mutter wieder gesund machen soll."
"Nun", sprachen da die Hesperiden, "den goldenen Apfel sollst du wohl haben. Doch du musst uns auch etwas dafür geben. Bring uns das goldene Spinnrad, das Allerleirauh am zweiten Festtag dem König in die Suppe legte, als sie noch eine Küchenmagd in seinem Schloss war, und sowie du uns das goldene Spinnrad gibst, sollst du den Apfel von uns haben."
Da knickste das Mädchen artig und machte sich auf die Suche nach dem Schloss, in dem Allerleirauh und der König lebten. Weit über eintausend Schlösser gab es im Märchenreich, und das arme Mädchen besuchte sie alle. Es besuchte die Schlösser von Schneewittchen und Aschenputtel, von Schneeweißchen und Rosenrot, es besuchte Dornröschen und den Froschkönig, die Schneekönigin und den blauen Glaspalast, in dem die kleine Meerjungfrau gelebt hatte. Es traf die Gänsemagd, die Schöne und das Biest und Brüderchen und Schwesterchen, auch den Kalifen Storch und das Mädchen ohne Hände. Es fragte die Prinzessin auf der Erbse nach dem Weg, und es wagte sogar, die schwarze Prinzessin anzusprechen. Ja, selbst Ritter Blaubart fragte sie nach dem Weg zum Schloss von Allerleirauh, aber auch er konnte ihr den Weg nicht sagen.
Endlich, das Mädchen hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, da fand es am Ende eines dunklen, einsamen Weges doch noch ein Schloss, das es noch nicht besucht hatte. Und tatsächlich, als es eintrat und von Dienern in den hohen Empfangssaal geführt wurde, da saßen auf einem Thron Allerleirauh und der König und sahen es freundlich an.
"Ach bitte, liebe Königin Allerleirauh", bat da das Mädchen, "gib mir doch das goldene Spinnrad, das du dem König am zweiten Festtag in die Suppe gelegt hast, als du noch eine Küchenmagd in seinem Schloss warst. Ich will es den Hesperiden für einen goldenen Apfel von ihrem Baum geben. Den Apfel gebe ich dem goldenen Fisch aus dem achten Weltmeer am äußersten Rand der Welt und erhalte von ihm eine goldene Schuppe dafür. Die Schuppe gebe ich dem goldenen Pferd der Morgenröte für eine goldene Strähne aus seinem goldenen Schweif. Die Strähne gebe ich dem goldenen Kondor vom höchsten Gipfel der Anden für eine goldene Feder aus seinem goldenen Steiß. Die Feder geb ich der goldenen Ente und bekomme dafür ein goldenes Ei von ihr, das meine todkranke Mutter wieder gesund machen soll."
"Nun", sagte da Allerleirauh, "das goldene Spinnrad sollst du wohl haben. Aber du musst mir auch etwas geben dafür. Bring mir zuerst ein goldenes Haar des Teufels mit den drei goldenen Haaren, und sowie du mir das goldene Haar gibst, sollst du das Spinnrad dafür erhalten."
Da knickste das Mädchen artig und fuhr zur Hölle.
In der Hölle aber traf es den Teufel, der ein liebenswürdiger älterer Herr war und das Mädchen freundlich nach seinem Begehr fragte.
„Ach bitte, lieber Teufel“, sprach da das Mädchen, „gib mir doch eines deiner drei goldenen Haare. Ich will's Allerleirauh geben, die mir ihr goldenes Spinnrad dafür versprochen hat, das sie dem König am zweiten Festtag in die Suppe gelegt hat, als sie noch eine Küchenmagd in seinem Schloss war. Das Spinnrad werde ich den Hesperiden für einen goldenen Apfel von ihrem Baum geben. Den Apfel gebe ich dem goldenen Fisch aus dem achten Weltmeer am äußersten Rand der Welt und erhalte von ihm eine goldene Schuppe dafür. Die Schuppe gebe ich dem goldenen Pferd der Morgenröte für eine goldene Strähne aus seinem goldenen Schweif. Die Strähne gebe ich dem goldenen Kondor vom höchsten Gipfel der Anden für eine goldene Feder aus seinem goldenen Steiß. Die Feder geb ich der goldenen Ente und bekomme dafür ein goldenes Ei von ihr, das meine todkranke Mutter wieder gesund machen soll."
Dem Teufel waren ob dieser langen Aufzählung die Augen groß und rund geworden, und er beschloss, dem Mädchen zu helfen. „Weißt du“, sagte er freundlich, „ich habe es satt, immer nur den Bösen spielen und die Menschen quälen zu müssen, viel lieber möchte ich nett und freundlich sein und allen Menschen Gutes tun. Warum nur komme ich nicht in den Himmel hinein und kann dort Harfe spielen? Ach, ich bin es längst leid, ein Teufel zu sein. Und darum werde ich dir auch helfen, liebes Mädchen, und dir gern eines meiner Haare schenken. Wenn du mir nur zuvor auch einen kleinen Gefallen tun würdest: Ei, so hilf mir doch, in den Himmel zu kommen, und hole mir den goldenen Schlüssel des Heiligen Petrus, der die Pforten des Himmels aufschließen kann. Und sowie du mir den goldenen Himmelsschlüssel bringst, will ich dir eines meiner goldenen Haare geben. Oder, ach was, ich habe heute meinen großzügigen Tag, du sollst sogar alle drei goldenen Haare von mir kriegen und eine schwarze Strähne aus meiner Schwanzquaste noch dazu. Na, was sagst du dazu?“
Da knickste das Mädchen artig und ging in den Himmel.
Der Heilige Petrus stand vor dem Himmelstor und sah das Mädchen freundlich an. Da sprach das Kind: „Ach bitte, lieber Heiliger Petrus, gib mir doch deinen goldenen Schlüssel ..." Doch in diesem Augenblick sah es durch das Himmelstor auf einer Wolke seine kranke Mutter sitzen, und da erkannte es, dass die Mutter gestorben war. Da ergriff der Zorn das Mädchen, und es trat in seiner Wut den Heiligen Petrus mit voller Wucht in die Eier, dass sie auseinanderplatzten wie goldene Enteneier. Dann setzte es sich auf eine goldene Wolke und fluchte. Und falls es der Heilige Petrus inzwischen nicht hineingelassen hat in den Himmel, dann sitzt es dort noch immer vor dem Himmelstor und flucht.
© Petra Hartmann