2. Helgoländer Lesefestival
Unterwegs Helgoland Nestis
Wann hat man schon einmal die Gelegenheit, eine eigene Insel zu belesen? Helgoland, der schönste meerumspülte Buntsandsteinfelsen der Welt, war eine Woche lang in den Händen der Literaten. Und zwar Literaten ganz unterschiedlicher Genres. Vom Thriller und Küstenkrimi über Kinderbücher und Lyrik bis hin zu Erfahrungsberichten, Jugenderinnerungen der Inselbewohner und Fachliteratur über die Geschichte der Börteboote, die ja nun immaterielles Unesco-Kulturerbe geworden sind. Mit dabei: Eine Silliumer Autorin und ihre Nordseenixe (Petra Hartmann und Meerjungfrau Nestis).
Das Besondere an diesen fünf Tagen war nicht nur die tolle Stimmung und die literarische Qualität der Texte, sondern vor allem die Vielseitigkeit der Leseorte. Der Frachtraum der Fähre MS Helgoland oder der Bunker waren nur zwei von 19 ungewöhnlichen Treffpunkten für die Freunde von Helgoland-Lesestoff.
Als kleine kriminalistische Vorspeise gab es den Krimi "Die Tote am Mast" von Birgit Pauls. Und wer bei der Lesung im Vereinsheim des Helgoländer Wassersportvereins dabei war, konnte während der Lesung genau in den Südhafen schaun, wo gerade eine Segelyacht am Steg festgemacht hatte. Da sah man förmlich die Leiche pendeln ...
Stimmungsvoll tief unten im Helgoländer Bunker las Kim Scheider aus ihrem Fantasyroman "Der rote Feuerstein und die Götterdämmerung" vor. Als ihr Held Paul und seine Klassenkameraden durch das geheime Tor tief unten im Helgoländer Bunker nach Atlantis hinübverwechselten, waren wir als Zuhörer quasi live dabei. Klar, dass ich mir ein Exemplar des zweiten Bandes ihrer Feuerstein-Serie signieren ließ. Es soll übrigens einen dritten Teil geben, verriet die Autorin.
Der zweite Tag war vor allem ornithologisch geprägt. Wir hörten am Nachmittag im Helgoländer Zollamt Auszüge aus "Waldemar hat einen Traum" von Michael Stoffers, eine liebenswürdige und humorvolle Geschichte, in der eine Möwe unbedingt Fotomodell werden möchte. Und das Zollamt kommt natürlich auch drin vor. Abends ging es dann kriminell weiter in der James-Krüss-Hummerbude: Thomas Breuer las aus seinem Helgoland-Krimi "Leander und der Lummensprung". Mit dramatischem Cliffhanger am Lummenfelsen genau bei den brütenden Trottellummen. Und der Autor machte uns gleich noch Appetit auf seinen neuen Krimi. "Der letzte Prozess" spielt zwar nicht auf Helgoland, aber ich musste einfach zugreifen.
Der Mittwoch bot uns drei sehr unterschiedliche Lesungen und Themen. In Wedigs Fischerstube las mein Verlagskollege Peter Mansdorff aus seiner kurzen Erzählung für Kinder "Was hat nur der Herr Jesus mit Helgoland vor?" Zwei Kinder holen Jesus aus der Bibel, und der versucht, auf Helgoland ein Kinderland zu gründen. Wie es ausging, verriet der Autor nicht, aber er las anschließend noch ein paar Zeilen aus seinem Buch "Party im Kopf" vor.
Anschließend lud Chris Runge (jetzt Chris Ehnert) zu einer lyrischen Liebeserklärung auf die Düne ein. Ja, verstehe ich gut, dass ihr bei dem Gedicht "Einen Tag nur" dann doch die Stimme kiekste. So ist das mit der Liebe zu einer Insel.
Abends gab es dann "Inselgeflüster" in der Bibliothek. Levke Paulsen schreibt für das Magazin "Krabauter" regelmäßig eine Kolumne über ihr Leben auf Helgoland und las jetzt aus ihren gesammelten Werken vor. Unter anderem erfuhr man daraus, was eine "Inselfrisur" ist und dass man auf Helgoland durchaus mal in Gummistiefeln zum Vorstellungsgespräch geht.
Leider verpasst habe ich Reimer Boy Eilers' Lesung in der "Sansibar" auf der MS Helgoland. Schade. Beim letzten Mal hatte ich aber schon seine Buchvorstellung miterlebt, ich habe sein Buch "Goethe, Glück und Helgoland" und den Lyrikband "Reden mit Seezungen" gelesen und kann mir vorstellen, dass es eine sehr spannende Lesung war.
Am frühen Abend dann endlich: "Nestis auf der Düne". Ich las im Warteraum am Fähranleger und hatte sogar einen Vorgruppe: Autorin Tina Klingebiel hatte ihre Kurzgeschichte vom Schreibwettbewerb beim 1. Lesefestival (2017) mitgebracht, und ihr Mann Thomas las sie vor. Es ging um eine Maus, die eigentlich nach Afrika segeln wollte, aber dann auf dem roten Felsen landete. Zum Glück wussten die Tiere vor Ort Rat.
Dann durfte ich loslegen. Nestis auf der Helgoländer Düne, das ist ja für die kleine Nixe so etwas wie ein Nach-Hause-Kommen. Und so erzählte ich anfangs etwas von der Geburt der ersten Nestis-Geschichte, damals im Jahr 2007, als Orkan Tilo die Düne verwüstete und Meerjungfrau Nestis sich vom Weihnachtsmann 500.000 Kubikmeter Sand wünschte, um die Robbenküste zu reparieren. Danach ging ich dann zu einem der "großen" Nestis-Abenteuer über. Ich las aus "Nestis und die Hafenpiraten" vor, und die Zuhörer erfuhren etwas über das schreckliche Phantom und die Entführungsfälle vor Helgoland, Sylt und Norderney, als Möwen, Alken und Lummen und sogar ein Dackel plötzlich von einem dunklen, langgestreckten Schatten unter Wasser gezogen wurden. Wenn ich mich recht entsinne, war es das erste Mal, dass ich die "Hafenpiraten" öffentlich vorlas, meist hatte ich mich sonst immer entschieden, doch lieber Teil 1, "Nestis und die verschwundenen Seepocke", aus der Tasche zu ziehen, weil das Publikum ja die Personen noch nicht kannt. Aber ich stellte fest, dass auch die "Hafenpiraten" gut ankamen. Die Zuhörer haben viel gelacht, vor allem als Wassermann Nick den ängstlichen Zitteraal Kurzschluss fragt: "Bist du ein Mann oder eine Makrele?" Doch, hat schon Spaß gemacht. Besonders, weil ich als Autor ja die Überfahrt mit der "Witte Kliff" kostenlos hatte.
Mörderisch wurde es dann am Abend, als Peter Gerdes uns in die kriminelle Welt der Ostfriesen einführte. Er hatte zahlreiche Kurzkrimis mitgebracht, darunter einen, der auf Helgoland spielte, und verriet uns anschließend augenzwinkernd einiges über die Charaktereigenschaften der Ostfriesen und darüber, wie und warum Leute aus dem Norden morden.
Der fünfte und letzte Tag hatte noch zwei echte Höhepunkte parat. Zuerst ging es mit Tim Erzberg in den Frachtraum der MS Helgoland, wo der Autor uns etwas aus seinem Thriller "Feuersturm" vorlas. Sehr schöner Vortrag mit leichtem bayerischen, inseluntypischen Akzent, sehr lebendig vorgetragen, allerdings hatte ich ein paarmal ganz schön Angst, dass der Autor beim Hin- und Hertigern in dem Laderaum über eine der vielen Kanten und Streben stolpern und lang hinschlagen würde. Eben eine Thrillerlesung.
Beim der letzten Lesung des Tages musste ich mich entscheiden. Denn es gab zwei Lesungen gleichzeitig. Die eine war eine Fantasy-Lesung. Alexander Ruth stellte seinen Roman "Die weiße Libelle" vor. Und die zweite Lesung drehte sich um die Geschichte der Börteboote. Autor Holger Bünning lud uns ein zur Börtebootfahrt bis zur Langen Anna und las unterwegs aus seinem Buch "Das Buch der Börte" vor. Okay, da war es natürlich die Börtebootfahrt für mich. War sehr spannend. Und mein Gesicht leuchtete noch die Woche danach vom Sonnenbrand.
Fazit: Ein tolles Festival mit fantastischen Kollegen, noch toller und voller als beim ersten Lesefestival auf Helgoland. Es hat riesig Spaß gemacht und hat einen gewissen Suchtfaktor. Organisatorin Kim Scheider ließ verlauten, sie habe schon mit dem Planen des dritten Lesefestivals angefangen. April 2021 ist angepeilt. Ich freue mich drauf.
© Petra Hartmann