T.H. White: Der Habicht
Klassiker Habicht
Eines der Kultbücher der Falknerei ist - neben der "Kunst mit Vögeln zu jagen" des alten Staufferkaisers Friedrich II. - zumindest im englischsprachigen Bereich das Buch "The Goshawk" von T.H. White. Das Buch, das als Klassiker des nature writing gilt, ist nun erstmals in deutscher Übersetzung erschienen. Der Verlag Matthes und Seitz brachte die Geschichte eines autodidaktischen Falkners, der sich an die Abrichtung eines Habichts heranwagt, jetzt als sehr schönes Hardcover-Bändchen mit zahlreichen Illustrationen, Kommentar und hilfreichen Begleittexten heraus.
T.H. White, bekannt durch seine Artus-Romane ("Der König auf Camelot"), ist hier nicht als Verfasser fiktiver Geschichten, sondern als Tagebuchschreiber und Berichterstatter zu erleben. Er erzählt von seinem Versuch, einen Habicht "abzutragen", also das noch wilde junge Tier zu zähmen und daran zu gewöhnen, auf dem Handschuh des Falkners zu sitzen und mit ihm zusammen auf Jagd zu gehen.
Falkner macht Fehler
Allerdings: Der "Falkner" macht eine ganze Menge falsch, und zwischen ihm und dem Greifvogel namens Gos entstehen kein Vertrauen und keine Partnerschaft. Autodidakt White, der Buch führt über seine Zeit mit Gos, hat zwar einiges gelesen, aber er ist offenbar nicht der Mann, dem Kaiser Heinrich seine Falken anvertrauen würde. Erst recht nicht einen Habicht, denn gerade Habichte gelten als die am schwierigsten abzurichtenden Greifvögel. Als Vögel zudem, die sich niemals vollständig zähmen lassen, deren Besitzer sie stets wachsam im Auge haben muss. Nicht ganz das richtige Flugobjekt für einen Menschen, bei dem offenbar sehr wenig Geduld und Liebe zu dem Tier vorhanden ist, eher ist aus den Zeilen oft so etwas wie Besitzerstolz und Eitelkeit herauszulesen. Da wird der große Greifvogel, der vom Handschuh abgesprungen ist, schon mal an dem langen Seil, das ihn mit dem Falkner verbindet, ärgerlich wieder herangezogen und dabei über den Boden geschleift. Anstatt ihn mit Fleisch und sanften Worten zu locken.
Habicht fliegt davon
Nein, dieser Versuch, ein Tier zu zähmen, musste gründlich scheitern. Er wäre wohl auch gescheitert, wenn der Habicht nicht, wie gegen Ende des Buches berichtet, eine Möglichkeit zum Entkommen gehabt hätte. Gos fliegt erschrocken davon, die Fessel hinter sich herschleifend. Ob und wie der Vogel verendete, ob er tatsächlich mit dem Riemen irgendwo in einem Baum hängen blieb und qualvoll verreckte, wie der Autor annimmt, bleibt offen.
Spiegelbilder: Helen Macdonald gegen T.H. White
Dass das Buch jetzt in Deutschland veröffentlicht wurde, ist dem großen Erfolg des Romans "H wie Habicht" von Helen Macdonald geschuldet. In diesem Buch erzählt die Autorin von ihrem Versuch, beziehungsweise dem Versuch ihrer Ich-Erzählerin, ebenfalls eine Habicht-Dame abzutragen. Die erfahrene Falknerin, die bereits mehrere Falken "geflogen" hat, schildert ihre Beziehung zu dem Habicht-Weibchen Mabel und hält Erfolge und Rückschläge fest, und im Hintergrund läuft immer der Erinnerungsfilm an White und seinen Gos mit. Ein Buch, an dem sich die Falknerin abgearbeteit hat wie an sonst keinem. Das sie schon als Jugendliche mit Empörung gelesen hat und bei dem sie immer wieder ärgerlich aufzeigt, wie hier ein Habicht zerstört wurde. Ein Buch auch, in dem sie Spuren der Falknerei in anderen Romanen Whites aufzeigt und dessen sadistische Neigungen, entstanden wohl aus schlimmen Erfahrungen in der Kindheit, sehr deutlich offenlegt. Und wie beim Lesen von Macdonalds Habichtroman und beim langsamen Wachsen der Beziehung zwischen Falknerin und Habichtin immer wieder als Negativ-Spiegel White und Gos auftauchen, so werden wohl nun viele neue Leser beim neu aufgelegten White-Buch unweigerlich an Mabels Geschichte als Spiegel denken. So ist es nur folgerichtig, dass Helen Macdonald nun das Vorwort zu der neuen Ausgabe schrieb. Außerdem gibt es ein Nachwort von Cord Riechelman, der etwas zur Geschichte des nature writings beiträgt.
Für Falkner und Ornithologen
Insgesamt ist es ein schönes, geschmackvoll gestaltetes Hardcover-Büchlein, mit Habicht-Zeichnungen illustriert und mit einem Lesebändchen versehen, also nicht nur ein interessantes Stück Literaturgeschichte, sondern auch ein hübsches Präsent für einen Liebhaber der Falknerei. Literarisch betrachtet ist es hochinteressant und auch nicht schlecht geschrieben. Der Leser sollte sich allerdings schon vor Augen führen, dass es sich hier nicht um einen belletristischen und zur Veröffentlichung bestimmten Text handelt, sondern um - zunächst - private Tagebuchaufzeichnungen. Auch wenn White auf Fragen schon Auskunft gab, er schreibe an einem Buch "über Falknerei und den Versuch, einen Habicht abzutragen", wie Macdoalds Einführung verrät. Der Autor wollte das Manuskript lange Zeit nicht herausgeben, er gab schließlich dem Drängen seines Verlegers nach, allerdings unter der Bedingung, das er ein Nachwort schreiben dürfe, "in dem er erklärte, wie man einen Habicht hätte abtragen sollen", verrät Macdonald. Es ist also kein Buch, das sich nahtlos in die Reihe der Artus-Romane einreiht. Kein Roman, keine Novelle, sondern etwas weniger eingängig. Dafür aber ein eigener Erlebnisbericht und sehr interessant für alle, die nach den Artus-Romanen weiterlesen möchten. Für Ornithologen und Falkner sowieso.
Fazit: Geschichte eines Scheiterns und eines Greifvogels, der durch unsachgemäße Abrichting zerstört wird. Interessantes und sehr lehrreiches Schriftstück, ansprechend präsentiert und mit viel Hintergrund-Infos. Trauriger Inhalt, vorbildliche Aufmachung. Lesenswert.
T.H. White: Der Habicht. Berlin: Matthes & Seitz, Naturkunden, 2019. 188 S., Euro 30.
© Petra Hartmann