Sternmetall - neue Phantastik aus Bulgarien
Bücher - phantastisch Bulgarien
Der Band enthält Geschichten, die in den Jahren seit 1990 erschienen sind. Eine Zäsur, die laut den Herausgebern Juri Ilkow und Erik Simon nicht zufällig gewählt wurde. Zum einen hätten sich mit dem Ende des Sozialismus in Bulgarien ganz neue Möglichkeiten in der Phantastik ergeben, zum anderen sei aber zu diesem Zeitpunkt auch der literarische Austausch abgebrochen, denn bis dahin sei die bulgarische Phantastik in der DDR recht gut präsentiert gewesen, und auch in der alten Bundesrepublik habe es einige Veröffentlichungen bulgarischer Autoren gegeben, zu einem guten Teil Nachdrucke der DDR-Veröffentlichungen, aber auch eigene Übersetzungen. Eine Lücke, die die nun vorliegende Anthologie sicher nicht komplett schließen kann und will, aber sie bietet neue Anknüpfungspunkte und eine neue Einladung zum Lesen und dazu, einmal über den Tellerand zu schauen und sich auf die Literatur der osteuropäischen "Terra incognita" einmal einzulassen.
Abgründige Abenteuerreise von Georgi Malinow
Sehr beeindruckend, mit hintergründigem Humor und einer ganz eigenen Abgründigkeit kommt die Geschichte "Magie für Rayeed" von Georgi Malinow daher. Sie beginnt wie eine klassische Abenteuer-Queste, in der ein widerwilliger Magier von einem sehr durchsetzungsstarken Helden engagiert wird, um dessen Geliebte und ihren gesamten Hofstaat zu erlösen. Aber 2000 Personen, die zu ewiger Hässlichkleit verflucht wurden, zu erlösen ist nicht ganz einfach. Und liegt nicht Schönheit ohnehin im Auge des Betrachters? Eine Geschichte, die erst mit scheinbar banalen Reiseabenteuern sehr langsam vor sich hin plätschert und den Leser in Sicherheit wiegt und am Ende eine fiese Pointe zündet, wahrhaft tragisch.
Swetla Damjanowskas Geschichte "Die Lampe" beginnt wie eine klassische Krimi-Kurzgeschichte. Eine Ermittlerin wird in ein Dorf gerufen, in dem sich ein alter Mann mit einem Elektrokabel erhängt hat. Allerdings: Das andere Ende des Elektrokabels, an dem die Leiche baumelt, hängt im luftleeren Raum ...
Phantastik zwischen Regentropfen und Brazil
In "Paris, Paris, Kairo" liefert Welko Miloew eine Art impressionistisches Bild aus einer verregneten Stadt. Tropfender Regen, eine Unterführung, nur jede dritte Lampe brennt, irgendwo spielt jemand "Brazil" auf der Gitarre. So sieht wohl die Postapokalypse in Bulgarien aus.
Elfen als Shadowrunner
Wie leben eigentlich Elfen heutzutage? Elena Pawlowa hat in "Elfenlied" eine ganz fantastische Möglichkeit der Tarnung gefunden, die gleichzeitig ein schönes und standesgemäßes Hobby ist. Ihr jugendlicher Held ist begeisterter Rollenspieler, bekannt unter dem Namen "Der Elf". Als eine neue Schülerin an die Schule kommt, wie er Shadowrun-Fan, funkt es gewaltig, und ihr gemeinsamer Erstlingsroman kann sogar einen Verlag überzeugen. Aber das Mädchen, das gern Orkin wäre, ist unheilbar krank ...
Unter dem sperrigen Titel "Jenes Etwas, das mit den Vögeln davonflog: ich habe es gesehen, wusste aber nicht, was es ist", berichtet Val Todorow von zwei Frauen, Monika und Frau Sch., von einer gefundenen Visitenkarte des verschollenen Herrn Sch., der sich in einen Ballon verwandelte, von einer Schokoladenbestellung über drei Tonnen ... etwas surreal, etwas kafkaesk, ziemlich skurril.
Weltschöpfung und Wunderglaube
In "Halbmythische, uralte Dinge" liefert Maria Spirowa eine interessante Theorie darüber, wie es einmal angefangen hat mit dem Leben auf der Erde. Jedenfalls eine Theorie, die Vogel, Rossmann und Schamane sehr überzeugend finden - und die mit einem Irrtum bei der Saat von Keimlingen und einem Riesenskandal zu tun hat.
Andon Staikow stellt in "Jeder einzelne Ungläubige" ein kosmisches Religions-PR-Programm vor. Einsiedler Klas erhält plötzlich Besuch von Missionaren, die ihn von der Existenz Gottes überzeugen wollen. Und da der Herrgott auf ihrer Seite ist, können die Besucher jedes nur erdenkliche Wunder vollbringen, um ihre Behauptungen zu beweisen. Doch der letzendgültige Beweis, den Klas fordert, verlangt selbst dem Allmächtigen einen verdammt hohen Einsatz ab. Eher eine theologische Parabel als Fantasy. Oder ist Theologie nicht immer Fantastik?
Magie und Sternmetall
"Und nur die Erinnerung wird bleiben" schreibt Nikolai Todorow und entführt seine Leser in eine eisige, von grausamer Magie erfüllte Welt, in der sich der junge Eduard und sein Begleiter Manolo zu einem besonderen Schloss durchkämpfen müssen. Böse Träume und Visionen quälen Manolo. Dann erreichen die Helden das Schloss und finden ein wunderschönes Mädchen ...
Iwailo P. Iwanow schließlich steuerte "Die Sängerin, der Schmied und der Märchenerzähler" bei. Es geht um ein seltsames Sternmetall, auf das auch der Titel der Sammlung anspielt, ein außerirdisches Metall, das von einem Parasiten gebildet wird und für Menschen todgefährlich ist. Es gibt eine besondere Art Sänger, die von diesem gefährlichen Metall nicht verletzt werden können, die ihm im Gegenteil, eine Richtung vorgeben und mit ihm kommunizieren können. Doch diese Sänger sind selten. Elina hat die Gabe, schon von frühester Kindheit an ist sie auf seltsame Weise mit dem Sternmetall verbunden. Nun ist sie auf der Suche nach ihrem Bruder ...
Ein breites Spektrum bulgarischer Phantastik
Die Sammlung ist, wie bereits gesagt, sehr vielseitig und deckt ein breites Spektrum ab. Trotzdem scheint ein gewisser schwermütiger, eher nachdenklicher Tonfall, auch bei den humorvollen Geschichten, allen Beiträgen gemeinsam zu sein. Auch eine eher kantige, manchmal etwas voraussetzunglose und verkürzende Darstellung oder ein etwa schwerfälliger Start finden sich häufiger. Es ist sicher keine gefällige, schnell konsumierbare Popcornlektüre, sondern erfordert schon einen Leser, der sich einlassen und einlesen mag. Insgesamt eine hochinteressante Sammlung mit neuen, überraschenden Ideen und ungewohntem Klang. Ein paar neue Autorentipps enthält diese Neunerpackung durchaus.
Fazit: Interessanter und lesenswerter Blick über den Tellerrand, der neue literarische Perspektiven aufzeigt. Empfohlen für alle, die Lust auf Entdeckungen und Ungewöhnliches haben.
Sternmetall. Neue Phantastik aus Bulgarien. Hrsg. v. Juri Ilkow und Erik Simon. Meitingen/Etlingen: Verlag Torsten Low, 2018. 213 S., Euro 13,90.
© Petra Hartmann