Erika Mann: Zehn jagen Mr. X
Bücher - Abenteuer Erika Mann
Die Ich-Erzählerin der Geschichte ist eine Journalistin, die von den Kindern mit ihrem Spitznamen "Depeche" angesprochen wird, einmal nennt sie einer der Erwachsenen auch "Miss Gutinformiert", ihren wirklichen Namen erfährt man nicht. Depeche schreibt für eine Washingtoner Zeitung. Allerdings ist in der fiktiven kalifornischen Kleinstadt El Peso gerade nicht viel los, das sie berichten könnte. Es ist kurz nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbour, die USA befinden sich im Krieg mit Deutschland, doch davon ist nicht viel zu spüren. Bis in der Schule "Die neue Welt" plötzlich eine Menge Kinder aus aller Herren Länder eintreffen. Die meisten sind Flüchtlinge aus Europa, doch auch eine junge Chinesin ist dabei.
Geschichten von der Bombardierung Rotterdams und vom Krieg in Russland
Die Geschichten, die die Jungen und Mädchen mitbringen, sind erschütternd. Rombout, der junge Holländer erzählt von der deutschen Invasion in seinem Land und davon, wie seine Mutter und sein kleiner Bruder bei der Bombardierung Rotterdams umkamen. Iwan, der junge Russe, konnte mit seiner Mutter über Finnland vor den Deutschen fliehen. Er liest den Kindern einen Brief seines Vaters vor, der in Russland als Soldat gegen die Angreifer kämpft, und erzählt, wie sein Heimatdorf in Flammen aufging. Die Bewohner selbst hatten es auf ihrer Flucht angesteckt, um den Deutschen nichts, was sie gebrauchen konnten, in die Hände fallen zu lassen. George, der junge Brite, berichtet, wie das Passagierschiff, in dem er nach Amerika fahren sollte, von einem deutschen U-Boot angegriffen und versenkt wurde. Er überlebte nur, weil eine Krankenschwester ihm ihren Platz in einem Rettungsboot abtrat.
Langsam raufen sich die Schüler zusammen und beschließen, auf ihre Weise die USA im Krieg zu unterstützen. Beispielsweise dadurch, dass sie Gummi sammeln oder Sonderbriefmarken (eine Art Kriegsanleihen) verkaufen.
Als "feindlicher Ausländer" unter Verdacht
Einen schweren Stand hat dabei Franz, der erst verspätet zu der Gruppe stößt: Franz ist zusammen mit seinern Eltern aus Deutschland geflüchtet und als als "feindlicher Ausländer" verdächtig. Doch er kann schnell zeigen, dass er ein Herz auf dem rechten Fleck und viele gute Ideen hat. Und spätestens als er eine besonders laute Pfeife erfindet, die begeistert von der Polizei übernommen wird, ist der deutsche Ingenieurssohn voll integriert in die Kindergruppe.
Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Ein Saboteur im Dienst der Nazis versucht, die neu eröffnete Fabrik, in der Kampfflugzeuge gebaut werden sollen, in die Luft zu sprengen. Klar, dass die zehn Kinder das nicht zulassen. Eine aufregende und gefährliche Verfolgungsjagd beginnt.
Erinnerung an "Emil und die Detektive"
Die Geschichte der zehn Kinder, die ihr neues Heimatland verteidigen, erinnert ein wenig an Erich Kästners "Emil und die Detektive" und den ebenfalls aus dieser Zeit stammenden Kinderbuchklassiker "Timpetill" von Henry Winterfeld. Es ist dabei aber ein noch wesentlich politischeres Buch als letzteres, das mit den "Vereinten Kindern" bereits die Gründung der Vereinten Nationen vorwegnimmt und deutlich Partei ergreift. Erika Mann, selbst zu dieser Zeit Flüchtling in den USA, beteiligt sich mit der Feder am Zweiten Weltkrieg. Die Erzählungen der Kinder über ihre Erfahrungen mit den deutschen Soldaten und Bomben gehen unter die Haut und machen der amerikanischen Öffentlichkeit klar, warum die USA in diesen Krieg eintreten und Nazi-Deutschland bekämpfen mussten.
Ein wenig altertümlich kommt der Stil freilich daher. Trotz der modernen Übersetzung ist der Tonfall der 40er Jahre deutlich herauszuhören, und es steht zu befürchten, dass viele heutige Kinder von der betulichen, etwas umständlichen Erzählweise überfordert und abgeschreckt werden. Das wäre allerdings ausgesprochen schade. Denn das Buch hat durchaus seinen besonderen Charme, und gerade für junge Leser bietet es einen guten Einstieg in die Geschichte des Zweiten Weltkriegs, lebendiger, als es der Schulunterricht vermitteln könnte.
Fazit: Bemerkenswerter Jugendroman, dem eine große Leserschaft zu wünschen ist. Vielleicht etwas betulich und altväterlich, aber ein kleines Juwel, das es neu zu entdecken gilt.
Erika Mann: Zehn jagen Mr. X. Hamburg bei Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2019. 270 S., Euro 15.
© Petra Hartmann