Reimer Boy Eilers: Das Helgoland, der Höllensturz
Krimis Helgoland Reimer Boy Eilers
Einen Mord auf Helgoland gilt es in Reimer Boy Eilers' Roman "Das Helgoland, der Höllensturz" aufzuklären. Allerdings: Eigentlich ist nicht der Tote oder der Ermittler der Held der Geschichte. Im Mittelpunkt seht ganz klar der legendenumwobene rote Felsen in der Nordsee mit seinen Sagen, seiner Geschichte und seiner Natur, mit den Spökenkiekereien und lokalen Besonderheiten und auch mit seinen Kochrezepten, wie die mit Rosinen zubereiteten Dreizehenmöwen im Untertitel des Buches schon andeuten.
Die Geschichte spielt im Mittelalter oder der frühen Neuzeit, das genaue Jahr erfährt der Leser nicht. Es ist die Zeit, in der Hansekaufleute mit ihren Koggen und Hulken vor der Insel auf Reede liegen. Auf der Insel glaubt man an den Christengott, aber auch an Rasmus und den Klabautermann, und vor dem spukigen Ooterbap haben alle Respekt, die heilige Ursula und ihre elftausend Jungfrauen, die ja die Insel besucht haben, stehen in hohen Ehren, wohingegen der Pastor seinen Inselkindern das Evangelium der Maria predigt, die er in der Gestalt der "Stella Maris" verehrt. Und irgendwo im Hintergrund regiert Major von Campenhausen, der Gouverneur und Frauenliebhaber.
Eine Leiche auf der Treppe zwischen Oberland und Unterland
Niemand hat gesehen, wie es passiert ist, aber plötzlich liegt er da: Mitten auf der Treppe, die das helgoländische Unterland mit dem Oberland verbindet, wird der tote Kapitän eines holländischen Handelsschiffs aufgefunden. Ermordet, wie eine Stichwunde deutlich zeigt. Pay Edel, ein junger Helgoländer und "jüngster Spross eines Urhelgoländer Geschlechts von Fischern und Schafzüchtern" nimmt die Ermittlungen auf. Unterstützt wird er dabei von seinem besten Freund, dem Grönländer Qivitoq, der auf der Suche nach seinem Vater, einem schottischen Missionar, auf Helgoland strandete. Das ungleiche Paar hat nicht viel Zeit, den Mörder zu finden. Wenn der Tote erst beerdigt ist, will der neue Kapitän mit der Amsterdamer Hulk ablegen. Und es gibt starke Indizien dafür, dass sich der Mörder an Bord befindet.
Beerdigung auf dem Friedhof der Namenlosen
Vor allem will Pay auch deshalb wissen, was es mit dem Mord auf sich hat, da er derjenige ist, der mit seinem Boot die Leiche und die Trauergemeinde zur Helgoländer Düne übersetzen muss. Denn da nicht ganz klar ist, ob der tote Kapitän auch ein ordentlicher Christ ist, soll er nicht auf dem regulären Friedhof auf dem roten Felsen bestattet werden, sondern auf dem "Friedhof der Namenslosen", dem Platz für die Ertrunkenen, die an der Küste Helgolands angespült werden. Als Pay allerdings schließlich tatsächlich den Leichenzug übersetzt, gibt es mehr als einen Toten zu bestatten ...
Krimi und Hommage an den roten Felsen
Die Geschichte ist, wie bereits bemerkt, nicht eigentlich ein Krimi, auch wenn es um die Aufklärung eines beziehungsweise mehrerer Morde geht. Reimer Boy Eilers als gebürtiger Helgoländer nutzt vielmehr die Ermittlungsarbeit Pays und Qivitoqs, um vor dem Leser die Sagenwelt, Geschichte und die Natur und Kultur der Insel auszubreiten. Da erfährt man viel über Fischerei und Robbenjagd, Lotsenwesen und Schafzucht, über die wundersame Glocke, aus der man trinken und sich dabei günstigen Wind wünschen kann, man lernt, dass der Teufel dort auf Stelzen läuft, oder hört das Märchen von der Maus und der Mettwurst, die einen gemeinsamen Hausstand gründeten. Da ist von Störtebecker und seinen Gesellen die Rede, aber auch von der Heiligen Ursula mit ihren elftausend Jungfrauen, die der fromme Landsknecht Mohrenhans ganz besonders verehrt.
Ein Lese- und Bilderbuch über Helgoland
Auch die weitere Aufmachung des Buches macht diesen "Höllensturz" mehr zu einem Helgoland-Lese- und Bilderbuch: Vor jedem einzelnen Kapitel findet sich als Motto ein meist helgoländischer, oft norddeutscher Sinnspruch, jeweils in Originalsprache und in hochdeutscher Übersetzung, und das Buch ist reich illustriert mit historischen Stichen und Gemälden aus Helgolands alter Zeit.
Eilers erzählt nicht glatt und genretypisch, seine Sprache ist literarisch, widerständig und eher im Erzähltonfall eines alten Fischers gehalten, der zwischendurch seine Pfeife stopft, abschweift und von einer Anekdote zum Kochrezept und dann wieder zurück zur Hauptgeschichte springt, dann wieder Betrachtungen über die Sprache oder die Religion der Insel anschneidet, bis sich alles zum Showdown auf der Düne zusammenbraut. Bezeichnend hierfür schon der Titel in Originallänge, für den es hiermit ein Extrasternchen gibt: "Das Helgoland, der Höllensturz oder Wie ein Esquimeaux das Glück auf der Roten Klippe findet, obwohl die Dreizehenmöwen hier mit Rosinen gegessen werden". Eine sehr vertrackte, hochartifizielle Erzählweise, auf die man sich einlassen muss wie auf einen schönen langen Inselurlaub mit sehr viel Zeit.
Das Buch ist daher eher für Liebhaber von Spökenkiekereien als für Hardcore-Thriller-Fans oder klassische Krimi-Mimis zu empfehlen, vor allem aber für Freunde der Insel Helgoland und alle, die es werden wollen. Ein unverzichtbarer Begleiter beim Rundgang über den roten Felsen.
Fazit: Helgoland-Literatur mit Mordermittlung und viel Insel-Hintergrund. Besonders geeignet zur Lektüre auf dem roten Felsen - oder zur Überbrückung der Durststrecke zwischen zwei Urlauben auf Deutschlands einziger Hochseeinsel.
Reimer Boy Eilers: Das Helgoland, der Höllensturz oder Wie ein Esquimeaux das Glück auf der Roten Klippe findet, obwohl die Dreizehenmöwen hier mit Rosinen gegessen werden. Roman und Moritat von der mittelalterlichen Insel. Kulturmaschinen Verlag, 2019. Taschenbuch: 570 S., Euro 19, eBook: Euro 6,99.
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