Reimer Boy Eilers: Die Schiffbrüchigen von Tumbatu
Lyrik Reimer Boy Eilers
Ein "Langgedicht" nennt Reimer Boy Eilers sein neues Werk "Die Schiffbrüchigen von Tumbatu". Das ist eine redliche Bezeichnung für eine rund 200 Seiten starke in Verse gegossene Dichtung, wenn man nicht gerade mit so wuchtigen Titeln wie "Epos" hantieren möchte. Eilers erzählt vom Schiffbruch eines Sklavenschiffs, der sich vor der Küste der Insel Tumbatu nahe Sansibar zugetragen hat, und vom Schicksal der Sklaven, die an Bord gefangen waren.
In 31 Kapiteln - Eilers bezeichnet sie als "Stremel", ein Wort, das ich bislang nur in Verbindung mit Lachs kannte - erzählt der Autor von einer offenbar zum Teil autobiografischen Erfahrung, einer Reise nach Sansibar, und verbindet dies mit einer Art Vision oder mystischen Zeitreise.
Der Ich-Erzähler ist zur Zeit des Ramadan auf der Insel Sansibar unterwegs. Hier lernt er den Heiler Salumba kennen. Als er von der nahegelegen Insel Tumbatu hört, an deren Küste einst ein Sklavenschiff verunglückte, wird er neugierig und macht sich auf, den Ort zu besuchen. Im Einbaum, begleitet von einigen Einheimischen, setzt er über. Im Ramadan keine ganz einfache Fahrt, da die moslemischen Begleiter wegen des Fastenmonats tagsüber weder Speisen noch Getränke zu sich nehmen dürfen, und auch der Ich-Erzähler wird an Bord von Durst und Hitze in einen seltsamen, überwirklich-halluzinatorischen Zustand versetzt. Es sind nicht nur die Stimme und das Bild Salumbas, die ihn auf dieser Fahrt als mystische Helfer begleiten, an der Unglücksstelle angelangt wird der dehydrierte deutsche Tourist einer Vision teilhaftig und erlebt das Schicksal der Sklaven hautnah mit.
Sklavenschiff verunglückt vor Tumbatu
Es ist keine schöne Geschichte. Ein Schiff voller Sklaven, dem Untergang geweiht. Die Menschen unter erbärmlichsten Bedingungen unter Deck zusammengepfercht und angekettet. Kenyatta, der Held der Geschichte, wird von seiner Frau und seiner Tochter getrennt, muss sogar mit ansehen, wie seine Tochter Sabahate, Morgenröte, die auf der Fahrt erkrankt, über Bord geworfen und von einem Tigerhai davongerissen wird.
Als das Schiff vom Sturm vor der Küste Tumbatus zerschlagen wird, kann Kenyatta sich retten. Doch der Traum von der Freiheit ist kurz und trügerisch. Er währt nur wenige Tage, dann werden die letzten Überlebenden von Sklavenjägern erneut gefangen und nach Sansibar auf den Sklavenmarkt gebracht.
Reimer Boy Eilers schreibt keine "schöne" Lyrik
Es ist keine schöne Geschichte, und es ist kein "schönes" Gedicht. Blümchenlyrik wäre angesichts des Themas auch unangemessen gewesen. Eilers verwendet einfache Verse mit schlichten Reimen, oft Knittelverse, oft auch Takte und Reime, die irgendwie "haken". Geschmeidig und elegant geht anders, dieses hier hakt und öst und eckt und kantet, und das soll wohl auch so sein. Interessant ist die Sprache gleichwohl. Da werden immer wieder arabische Ausdrücke und Swahili-Wörter eingeflochten, aber gleichzeitig scheut der Helgoländer Autor nicht davor zurück, norddeutsche Ausdrücke einzustreuen, vor allem Seemannssprachliches, was an Bord eines sansibarischen Einbaums einen ganz eigenen Effekt macht. Wenn der Freund mit "Rafiki" ("Freund") oder "Muzungu" (rote Banane = Weißer mit Sonnenbrand) angeredet wird, dann ist die Antwort des Norddeutschen darauf, dass er die Fahrt einer südlichen Sklaven-Dhau mit seinem eigenen Vokabular schildert. Das Schiff trifft auf "Rasmus' Wasserhose", da schreit der Rudergänger: "Wahrschau!", die Dhau treibt "blank vor Top und Takel", und schon ist die gefährliche Küste nur noch eine halbe Kabellänge voraus. "All hands on deck!", schallt es. Der Erzähler selbst "wie der Klabautermann vorn im Bug", fordert: "Butter bei die Fische" und bekommt von seinem Kapitän den Rat: "Schau zur Kimm".
Und was hat der Reisende nun mitgenommen von seiner Expedition? Das lapidare "Na, is auch wurscht./ Mann, hab ich nen Durscht." ist nicht ganz das letzte Wort des Langgedichts. Der Schamane Salumba hatte seinem Freund ja angekündigt, er werde nicht so zurückkommen, wie er aufgebrochen war. Ein neugieriger, naseweiser Tourist ist er wohl doch geblieben, wie der Heiler diagnostiziert. Nichts, was nicht auch irgendwie in Ordnung wäre. Aber ein wenig nachdenklich geworden ist er schon, als er von dannen geht.
Fazit: Ein spannendes sprachliches und erzählerisches Experiment zwischen Sansibar und Helgoland. Eine Zeitreise zurück in die düstere Zeit, versehen mit einem kleinen Fragezeichen an die Gegenwart. Keine schöne Geschichte, aber eine notwendige. Lesenswert.
Reimer Boy Eilers: Die Schiffbrüchigen von Tumbatu. Langgedicht. Hamburg: Kulturmaschinen Verlag, 2020. 203 S., Euro 18.
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© Petra Hartmann