Walhalla: Die gesammelte Saga 3
Comics Germanische Mythologie Walhalla Peter Madsen
Die Abenteuer in Walhalla gehen weiter. Der dritte Sammelband der dänischen Comicsaga in der Edition Roter Drache enthält drei weitere Geschichten aus der germanischen Götterwelt. Diesmal ausschließlich Material, das bisher noch nicht auf Deutsch zu lesen war.
Autor Peter Madsen erzählt in diesem Band die Geschichte vom "Fischzug" Thors, der auf der Jagd nach der Midgardschlange ist, ferner geht es um das Brisingamen, den sagenhaften Halsschmuck Freyjas, und um die Ankunft Magnis in Asgard, eines Halbriesen, der behauptet, Thors Sohn zu sein.
Thors Kampf mit der Midgardschlange
Die Episode "Die Schlange in der Tiefe" hat den Verfassern einiges Kopfzerbrechen gemacht, wie ja bereits im Einleitungstext des zweiten Sammelbands zu lesen war. Denn Thor hatte ja schon in den Abenteuern eins bis sechs immer mal wieder in klassischer Anglermanier damit angegeben, wie er damals die Midgardschlange am Haken gehabt hatte. Es war typisches Männergeprahle und Anglerlatein, Erzählen der eigenen Heldentaten am Stammtisch. Aber wie packt man das Abenteuer nun in ein eigenes Album, wenn Thor es schon mehrfach als eine längst historisch gewordene Begebenheit erwähnt hat, ohne die erzählerische Kontinuität der Serie zu durchbrechen? Als Heldengesang Bragis an der Tafel der Götter? Als bierseliger Traum Thors nach einer durchzechten Nacht in Walhall?
Wettstreit zwischen Thor und Tyr
Die Erzähler lösen dies Problem schließlich recht geschickt und kommen ohne Rückblende aus: Thors Fischzug war ein Jugenderlebnis, als die Midgardschlange noch jung und noch nicht voll ausgewachsen war. Nach einem Streit mit Tyr, wer von beiden der größere Held sei, macht sich Thor auf, um die Heldentat von damals nun erneut zu vollbringen, beziehungsweise sie zu übertreffen: Nun will er als Mutprobe den vollkommen ausgewachsenen Wurm aus der Tiefe heraufholen und ihm endgültig den Garaus machen.
Undercover in Walhall
Anlass des Streites zwischen Thor und Tyr ist ein Undercover-Besuch Thors in Walhalla. Unerkannt mischt sich der Donnergott unter die neu angekommenen Rekruten, um zu hören, was man denn so über ihn redet, und muss zu seinem Verdruss hören, dass alle offenbar den Kriegsgott Tyr für den größten Helden Asgards halten. Es kommt zu einer handfesten Kneipenschlägerei, schließlich zu einer Auseinandersetzung der beiden Götter, bei der Thor die Sache ein für allemal klären will: Die Böcke werden angeschirrt, Thor und Tyr werden von Thors Diener Tjalfi zum Meer kutschiert, wo der neue Fischzug beginnen soll. Als Zeuge und unabhängiger Beobachter wird Heimdall verpflichtet, der sich vor lauter Angst beinahe in die Hose macht. Startpunkt zur Angeltour ist, wie die Edda berichtet, das Gehöft des Riesen Hymir ...
Eddasagen werden zu Comicabenteuern
Das Abenteuer integriert sehr schön die in der Edda überlieferten Informationen und Informationsschnipsel und bringt sie in einen faszinierenden, stimmigen Zusammenhang. So ist die Episode über den Krug, den niemand zerstören kann und den Thor schließlich knackt, indem er ihn Hymir über den Schädel zieht, nun mit einer völlig neuen Bedeutung aufgeladen - ein wirklicher Gewinn für Handlung und für die symbolische Ebene der Auseinandersetzung im Haus des Riesen. Besonders gefallen hat mir die psychologische Entwicklung Tyrs. Eine feinsinnige und einfühlsame Weise, einmal in den alten einarmigen Soldaten hineinzublicken.
Asen zeigen Größe
Letzten Endes zeigen sich beide Kontrahenten als Helden der jeweils eigenen Art und beweisen asengöttliche Größe. Auch wenn die Prüfung für Tyr um eine Zehnerpotenz härter ist als für den ruppigen Hammergott Thor, der in jeder Situation und Auseinandersetzung einfach immer nur er selbst ist - nicht mehr und nicht weniger.
Freyja - ein Blumenkind in Asgard
"Freyjas Halsschmuck", das zweite Abenteuer dieses Sammelbandes, kommt daher als das komplette Gegenbild zu diesem von eher "männlichen" Themen geprägten Heldenlied. Statt Kampf und Jagd, Mut- und Kraftproben geht es hier um Liebe, Frühling, Fruchtbarkeit, Schmuck und alles, was das Leben angenehm macht. Freyja, die Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit, streift wie ein warmer Frühlingswind durch Asgard und verteilt aus vollen Händen ihre Gaben: Liebe, Lebensfreude und Frühlingsgefühle. Ein nordisches Blumenkind, das von allen geliebt wird. Leider von dem einen oder anderen etwas zu sehr, wie sich herausstellen soll, denn auch Götterkönig Odin hat sein eines Auge auf die schöne Vanengöttin geworfen. Und das schlüpfrige, von Loki eifrig kolportierte Gerücht, Freyja habe seinerzeit den Zwergen, die ihr den wundersamen Halsschmuck Brisingamen schmiedeten, ihre Dienste durch Beischlaf vergolten, lässt einen Plan entstehen, der des listigen und zwielichtigen Gottes nicht unwürdig ist: Wenn Odin sich in den Besitz des Brisingamens setzen könnte, dann würde er auch die schöne Freyja ins Bett bekommen.
Heimdall als naiver Helfer
Die Geschichte ist reich an Verwicklungen und komischen Situationen, vor allem da Loki den unschuldigen und extrem naiven Heimdall als Helfershelfer für die Diebestour anwirbt. Optisch sehr reizvoll sind auch Lokis zahlreiche Maskeraden - vom Floh bis zum in der Sage verbürgten Seehund, was den zusätzlichen Niedlichkeitseffekt mit sich bringt. Dass am Ende nicht nur die Asen, sondern auch die Vanin und zuständige Göttin eine ganze Menge über die Liebe lernen, verleiht der Geschichte trotz ihrer teilweise sehr expliziten Sexualdarstellungen auch eine liebenswerte Moral.
Thors Sohn Magni
"Die Herausforderung des Riesen" schließlich beleuchtet ein Kapitel aus Thors Familiengeschichte: Plötzlich tauch ein junger Riese, beziehungsweise Halbriese in Asgard auf und behauptet, Thors Sohn zu sein. Magni ist rothaarig, spitzohrig und durch sehr selbstbewusstes Auftreten gekennzeichnet. Ein klassischer Pubertierender, der hinter seiner großen Klappe allerdings auch die Sehnsucht verbirgt, von seinem Vater anerkannt zu werde. Optisch ist er sehr ansprechend, beinahe elfenhaft dargestellt und erinnert ein wenig an die Riesin Skadi, die ja kurz zuvor ihren Einstand in Asgard gegeben hatte. Im Gegensatz zu den gewöhnlich extrem hässlich gezeichneten Riesen, sind die beiden einfach zum Verlieben. Vor allem zwischen Magni und Tjalfi gibt es haufenweise Spannungen und Eifersüchteleien, immerhin hatte der junge menschliche Diener Thors inzwischen Hoffnung gehegt, vom Donnergott einmal auf Trolljagd mitgenommen und als Quasi-Sohn anerkannt zu werden. Auch Sif ist begreiflicherweise nicht begeistert von dem riesenhaften Seitensprung ihres Göttergatten.
Magni in der Edda
Über Magni gibt es, abgesehen von seiner Abstammung, in der Edda eigentlich nur zwei Informationen: Zum einen soll er - im Alter von nur drei Tagen - den erschlagenen Riesen Hrungnir, der nach einem Zweikampf unglücklich auf Thor gefallen war, von seinem Vater heruntergezogen haben, was alle anderen Asen nicht vermochten. Zum anderen heißt es, dass er und sein Bruder Modi nach dem Weltuntergang und Thors Tod den Hammer Mjöllnir erben sollen. (Übrigens ist in der Comicversion Modi ein Sohn Sifs, während der klassischen Sagenüberlieferung sowohl Magni als auch Modi Söhne der Riesin Jarnsaxa sind).
Thors Kampf gegen Hrungnir
Erzählt wird die Geschichte von Thors Kampf gegen den Riesen Hrungnir. Ausgelöst durch ein Wettrennen, bei dem Odin und Hrungnir auf ihren Pferden Sleipnir und Gullfaxi antreten, kommt es erst zum Besäufnis in Asgard, dann zum Streit zwischen Thor und Hrungnir. Ein Zweikampf soll die Sache klären. Wobei die Riesen, als Hrungnir von der bevorstehenden Begegnung erzählt, kalte Füße bekommen und auf magische Unterstützung sinnen: Sie erschaffen aus Erde den gewaltigen Mökkurkalfi, eine Art Golem, der Hrungnir unterstützen soll.
Naturgewalten treffen aufeinander
Die Begegnung ist ein Aufeinandertreffen zweier Naturgewalten. Sehr schön wird im Nachwort die Spiegelbildlichkeit der Gegner herausgearbeitet: Thor, der Donner, trifft auf Hrungnir, dessen Name so viel wie "Lärmer" bedeutet, zwei Urgewalten, der eine mit dem Donnerhammer bewaffnet, der andere schleudert einen Schleifstein, der ähnliche Eigenschaften wie Mjöllnir hat. Beide Kontrahenten sind kräftig, trinkfest und - mit Verlaub gesagt - von eher schlichtem Verstand, sodass schließlich Tjalfis List Hrungnir zu Fall bringt. Aber eine Parallelität gibt es auch auf der anderen Seite: Ist es wirklich Zufall, dass sich der Name Mökkurkalfi auf Tjalfi reimt? "Nebelwade", so lautet die Übersetzung. Der passende Gegner für den Jungen, der bereits bei Utgardloki als flinker Läufer hervorgetan hat. Und so hat Madsen auch eine Lösung parat, wie der schmächtige Tjalfi das Riesen-Lehm-Monster besiegt. Die Sage weiß nur zu erzählen, dass Tjalfi gewann, Madsen zeigt uns wie: durch Schnelligkeit.
Optisch überwältigend
Wie Thors Fischzug lebt auch die Auseinandersetzung mit dem Riesen optisch von den überwältigenden Kampfschilderungen und den düster-grotesken Bildern aus der Welt Utgard. Etwas befremdlich wirkt freilich das sehr präsente Hakenkreuz-Symbol. In den 90ern musste ein Superhelden-Comic-Heft eingestampft werden, weil an einer Stelle ein weniger als fünf Millimeter großes halbes Hakenkreuz beim Retuschieren übersehen worden war ... Das scheint heutzutage kein Problem mehr zu sein.
Skizzen und viele Hintergrund-Informationen
Sehr schön und ein absoluter Gewinn sind erneut die umfangreichen Beigaben an Skizzen und zusätzlichen Comics aus dem Walhalla-Universum. Geradezu vorbildlich auch die Art, wie die Macher der Serie ihre Quellen offenlegen und die alten Edda-Texte und weitere Sagen vorstellen. Eine wahre Fundgrube für den Mythologie-Fan - und für den Fan guter Comics ohnehin. Sehr schön.
Fazit: Eigenwillige, kreative und gleichzeitig sehr schlüssige Bearbeitung der alten germanischen Sagen, die überraschende Entdeckungen bietet. Unverständlich, warum diese geniale Serie damals nach Teil sechs in Deutschland abgebrochen wurde. Schön, dass die Folgebände jetzt erscheinen. Und die Saga hat seit den 90ern keinen Tropfen ihres Charmes verloren.
Walhalla. Die gesammelte Saga 3. Illustriert und erzählt von Peter Madsen. Nach Geschichten von Henning Kure. Aus dem Dänischen von Inga Esseling. Meschede: Edition Roter Drache, 2021. 195 S., Euro 40.
Weitere Walhalla-Bände
Walhalla. Die gesammelte Saga 1
Walhalla. Die gesammelte Saga 2
Walhalla. Die gesammelte Saga 4
Walhalla. Die gesammelte Saga 5
© Petra Hartmann