Sandra Pfitzner: Maria Sibylla Merian - Expedition zu den Schmetterlingen
Sach-Hörbücher Sandra Pfitzner Maria Sibylla Merian Schmetterlinge
Erstaunlich, diese Maria Sibylla Merian. 102 Jahre vor Alexander von Humboldt geboren, eine Entdeckerin, die im biblischen Alter von 52 Jahren ohne Riesenvermögen und nur von ihrer Tochter begleitet über den Atlantik fuhr bis nach Surinam, um dort Schmetterlinge zu erforschen. Hörspiel-Macherin Sandra Pfitzer hat der ungewöhnlichen Naturwissenschaftlerin nachgespürt und ihr bewegtes Leben als Hör-Abenteuer in der Reihe "Abenteuer und Wissen" vorgestellt.
Das Hörspiel setzt ein mit einer dramatischen Situation: Maria Sibylla Merian und ihre zweitälteste Tocher sind an Bord eines Schiffs mit nicht allzu vertrauenerweckender Mannschaft, um sie her tosen Sturm und Wellen, und gerade ist eines der kostbaren Mikroskope heruntergefallen, eines der Geräte, für die die 51-jährige Forscherin fast ihr gesamtes Geld ausgegeben hat. Die beiden Frauen sind auf dem Weg nach Surinam, um Schmetterlinge zu erforschen. Das Unwetter wird immer stärker. Die Passagierinnen versenken sich schließlich ins Gebet, das ihnen Kraft geben soll. Ihre Gedanken gleiten zurück nach Europa, dahin, wo alles angefangen hat, zu dem kleinen Mädchen, das von einem Onkel ein paar Seidenraupen geschenkt bekommen hat und nun fasziniert und mit kindlichem Staunen deren Verpuppung und spätere Verwandlung in "Sommervögel" beobachtet.
Die Tochter des großen Matthäus Merian
Sandra Pfitzner hat mit dem Umstand zu kämpfen, dass von der jungen Maria Sibylla keine Briefe und andere Schriftzeugnisse überliefert sind. So lässt sie zunächst ein staunendes Mädchen mit sich selbst sprechen und ihre Gedanken beim Anblick der Puppen äußern. Möglich, dass die junge Forscherin so gedacht und gesprochen hat. So viel ist sicher: Die Tochter des großen Matthäus Merian, die ihren Vater schon als Dreijährige verlor, hatte Glück mit ihren männlichen Bezugspersonen. Ihr Stiefvater, der Maler Marrel, erkannte ihr Talent, förderte sie von Anfang an und bildete sie in der Malerei aus, was ihr beim Malen von Raupen und Schmetterlingen sehr zugute kam. Ihr Mann, der Maler Graff, hatte keine Probleme damit, sie ihre Kunst und Wissenschaft ausüben zu lassen - und ihr großes Talent als Geschäftsfrau, denn sie verstand sich nicht nur auf Haushaltsführung, sondern auch auf Vermarktung ihrer Bilder und Bücher und entwickelte völlig neue Geschäftsideen. So gründete sie etwa eine "Jungfern-Compagnie" und bildete junge Frauen in der Malerei, aber auch in allen anderen lebenspraktischen Fragen aus - und verkaufte ihnen gleich noch die Farben und Malgeräte für den Unterricht. Und natürlich konnte sie mit dem ererbten Pfunde wuchern: Sie trug einen großen Namen, sie war eine Merian.
Unternehmerin und zugleich staunendes Kind
Gezeigt wird das Bild einer Frau, die in Wirtschaftsdingen ausgesprochen energisch und zupackend ist. die sich aber beim Blick auf Raupen und Schmetterlinge und das Wunder der Metamorphose die Kindliche Fähigkeit des Staunens und der Begeisterung bewahrt hat. Auch eine Frau, die in Kunst und Wissenschaft höchste Anerkennung fand und mit natürlichem, selbstverständlichem Selbstbewusstsein ihren Platz zwischen den männlichen Koryphäen beider Disziplinen einnahm.
Calvinistische Frömmigkeit prägt die Familie Merian
Aber es gibt noch eine dritte, sehr starke Kraft, die den Lebensweg der Merian bestimmt: Es ist die ausgeprägte calvinistische Frömmigkeit, die die Familie Merian prägt. Eine Lehre, die zwar von der Prädestinationslehre ausgeht, aber dennoch ihre Anhänger auffordert, Höchstleistungen zu bringen. Und eine Lehre, die der Wissenschaft gegenüber außerordentlich aufgeschlossen ist.
Dass sich Maria Sibylla Merian nach langjähriger Ehe dazu entschließt, ihren Mann sitzen zu lassen und zusammen mit ihrer Mutter und den beiden Töchtern in eine Kolonie der Labadisten zu ziehen, bleibt eines der großen Rätsel ihrer Biografie. Auch Hörspielmacherin Pfitzner versucht keine Erklärung für diesen Schritt, für den Merian keine schriftliche Begründung hinterlassen hat. Nur, dass der verlassene Maler Graff seiner Familie ins holländische Friesland nachreiste und vor den Toren der Sekten-Ansiedlung lange ausharrte und um die Rückkehr seiner Frau warb, erzählt sie.
Vielleicht sind diese sechs Jahre unter dem strengen Regiment der Labadisten tatsächlich so etwas wie eine Überwinterung als Puppe. Fest steht, dass Merian danach die Ansiedlung wieder verließ, also quasi als neuer, schöner Schmetterling auf die Reise ging. Nach Sunirinam, ins Wunderland der Schmetterlinge.
Der herbe Charme einer Geschäftsfrau
Pfitzner macht die Biografie der Künstlerin und Wissenschaftlerin erlebbar, hat die Stationen ihres Lebens plastisch ausgearbeitet und interpoliert an den Leerstellen sehr geschickt Gedanken, Gefühle und Selbstgespräche. An einigen Stellen mag ihr die Frau aus der Barockzeit ein wenig zu naiv oder auch etwas zu modern geraten sein, doch meist ist der herbe Charme einer Geschäftsfrau, die weiß, was sie will, tonangebend. Eine begeisterte Schnetterlingsnärrin - aber immer eine mit Bodenhaftung.
Moderner Wissenschaftler als Gesprächspartner
Sehr interessant sind auch die immer wieder eingestreuten Dialoge mit dem modernen Schmetterlings-Forscher Prof. Thomas Schmitt, der im Interview nicht nur über die auch heute noch große Bedeutung der Forscherin für die Insektenkunde spricht, sondern auch über seine eigene Liebe zu den Schmetterlingen. Eine dreieinhalb Jahrhunderte überbrückende gemeinsame Leidenschaft, die dem Hörer zeig, wie Insektenforscher eben so ticken. Und auch ein Zeugnis darüber, dass Merians Forschungen auch heute noch Bestand haben. Sie habe sich auffallend selten geirrt, sei selten widerlegt worden, so der moderne Wissenschaftler.
So entsteht ein schönes, rundes und zugleich spannendes Bild einer ungewöhlichen Frau, die Wissenschaftsgeschichte geschrieben hat und von der man unbedingt mehr hören und lesen sollte.
Fazit: Spannende und gut gemachte Hör-Biografie einer beeindruckenden Frau. Ein sehr lebendiges Werk, das Spaß und Lust auf mehr macht. Empfehlenswert.
Sandra Pfitzner: Abenteuer & Wissen: Maria Sibylla Merian. Expedition zu den Schmetterlingen. Headroom, 2021. 1 CD, 86 Minuten.
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© Petra Hartmann