Da habe ich ja eine wahrhaft prophetische Gabe an den Tag gelegt: Als ich vor fünf Jahren die ersten Seiten zum Roman "Der Fels der schwarzen Götter" zu Papier brachte, stand ziemlich schnell fest, dass der Dachs eine zentrale Rolle darin spielen würde. Ich mag die etwas plumpen, wehrhaften Marder sehr gern, und der Sommer des vergangenen Jahres, den ich für ausgiebige Dachsbeobachtungen genutzt habe, gehört zu den schönsten meines Leben. Jetzt ist die letzte Seite geschrieben, die Geschichte des Volkes der Jaran-Dem und ihres Totemtieres mit dem schwarzweißen Gesicht wird demnächst im Wurdackverlag erscheinen - und prompt wird der Dachs zum "Wildtier des Jahres" ernannt. Ich gönn's ihm und stelle hier ein kurzes Porträt aus meinem Fundus für Meister Grimbart ein:
Der Dachs - Wildtier des Jahres 2010
Grimbart ist ein friedlicher, plumper Marder mit lautem Liebesspiel
Gemütlicher Allesfresser, kunstvoller Tunnelbauer, ordnungsliebender Putzteufel und mutiger "Frechdachs": Porträt eines bemerkenswerten einheimischen Waldbewohners.
Das unverwechselbare schwarzweiße Gesicht ist jedem Naturfreund vertraut: Wer einem Dachs in freier Wildbahn begegnet, wem der etwas pummelige Marder gar mit lautem, tappendem Zockeltrab auf einem Feldweg oder im Wald begegnet, braucht kein Bestimmungsbuch, um zu wissen, dass ihm „Meister Grimbart“ gegenübersteht. Die markante Zeichnung des weißen Kopfes mit den beiden schwarzen Längsstreifen, die sich von den Ohren über die Augen bis hin zur Nasenspitze ziehen, ist Ausweis genug, Verwechslungen sind ausgeschlossen.
Dachse rumoren wie eine Rotte Wildschweine
War der Dachs in den 1990er Jahren noch vom Aussterben bedroht, so ist er jetzt wieder häufiger anzutreffen. In ländlichen Gegenden lässt sich der nachtaktive Marder manchmal in der Dämmerung entlang von einsameren Spazierwegen beobachten. Im Sommer, wenn die Tiere in Feldern und unter Obstbäumen einen reich gedeckten Tisch vorfinden und ihre Ranzzeit (Paarungszeit) haben, lassen sie Menschen sogar recht nahe heran, bevor sie mit beleidigten, aufgeregten Grunzlauten flüchten. Wer bei Dunkelheit die lautstark rumorenden Dachse im Feld rascheln, quieken und grunzen hört, erhält beinahe den Eindruck, eine Rotte Wildschweine würde sich über die Ernte hermachen und den Acker verwüsten.
Schutzgemeinschaft Deutsches Wild ruft Dachs zum "Wildtier des Jahres 2010" aus
Jetzt hat die „Schutzgemeinschaft Deutsches Wild“ den Dachs als „Wildtier des Jahres 2010“ ausgerufen. Gleichzeitig macht die Post mit einer 55-Cent-Briefmarke auf den gemütlichen Allesfresser aufmerksam. "Meister Grimbart steht unter Naturschutz und ist anders als in den 90er Jahren kein Rote-Liste-Tier mehr", umreißt die Schutzgemeinschaft die derzeitige Situation der Dachsbestände in Deutschland. "Was auch daran zu erkennen ist, dass in der Jagdsaison 2007 / 2008 in Deutschland 49.794 Dachse von Jägern erlegt wurden."
Der größte Marder Mitteleuropas
Der europäische Dachs (meles meles), der auch in weiten Teilen Asiens zu Hause ist, ist der größte Marder Mitteleuropas. Sind Vertreter dieser Familie der Raubtiere sonst gewöhnlich schlank und wendig, wirkt dieser Zeitgenosse eher plump und pummelig. Er kann 10 bis 20 Kilo auf die Waage bringen. Von der Nasen- bis zur Schwanzspitze misst er 65 bis 85 Zentimeter, wobei der unverhältnismäßig kurze Schwanz nur 15 bis 20 Zentimeter ausmacht. Das dichte Fell ist auf dem Rücken und an den Seiten gelblich grau, am Bauch jedoch schwarz. Damit ist der Dachs eines der wenigen Säugetiere, die am Bauch dunkler sind als an der Oberseite (ein anderes Beispiel: der Kleine Panda). Während die meisten Angehörigen der Ordnung der Raubtiere Zehengänger sind, also behände und möglichst lautlos auftreten, handelt es sich beim Dachs um einen Sohlengänger, der den gesamten Fuß aufsetzt und beim Laufen ein deutliches Tappen hören lässt. Die Vordertatzen weisen lange, kräftige Grabkrallen auf, die zum Scharren und Buddeln dienen.
Reineke Fuchs als Untermieter
Dachse sind große Tunnelbauer. Ihre Baue werden über Generationen hinweg erweitert und ausgebaut. Es sind Dachsbauten gefunden worden, die sich über eine Fläche mit einen Durchmesser von 30 Metern erstreckten. Oft bleiben weibliche Nachkommen im elterlichen Bau wohnen. Auch kommt es vor, dass sich Kaninchen oder Füchse bei Dachsen mit einquartieren. Das Zusammenleben funktioniert meist friedlich, allerdings hat der Dachs die „Gastfreundschaft“ gegenüber Reineke oft teuer bezahlt: Auf der Fuchsjagd wurden solche Baue von Jägern oft begast, und während der schlaue Rotrock nicht selten rechtzeitig das Weite gesucht hatte, starb die Dachsfamilie im Bau.
Penible Sauberkeit
Anders als etwaige Mitbewohner sind die Dachse ausgesprochen sauberkeitsliebend und achten penibel auf die Reinlichkeit im Bau. Als „Toiletten“ richten sie sich außerhalb der Wohnung so genannte „Dachsabtritte“ ein, die die Nähe ihres Baus verraten. Auch misten sie im Frühjahr nach der Winterruhe ihre Wohnung sorgsam aus und werfen das alte Polstermaterial hinaus.
Allesfresser mit vollem Speiseplan
Dachse halten keinen Winterschlaf, sie ruhen zwar während der kalten Jahreszeit, doch erwachen sie auch im Winter und durchstreifen von Zeit zu Zeit ihr Revier. Ein großer Jäger ist der Dachs nicht, eher ein Sammler. Er ernährt sich von dem, was er am Boden findet oder hervorscharrt: Regenwürmer, Schnecken und kleine Säuger gehören ebenso auf seinen Speisezettel wie Früchte, Aas, Wurzeln, Pilze oder Eier.
Junge Dachse werden blind und mit weißem Fell geboren
Seine Ranzzeit feiert der Marder im Juni - August. Die Jungen kommen im Februar - April zur Welt. Der Dachs hat eine verhaltene Tragzeit: Je nach Zeitpunkt der Ranz wird eine unterschiedlich lange Eiruhe eingelegt, sodass die Jungen immer in diesem Zeitraum geboren werden. Die Fähe wirft drei bis fünf Jungen, die blind und mit weißem Fell zur Welt kommen. Sie sind zunächst völlig hilflos, öffnen erst nach 28 bis 25 Tagen die Augen und können erst ab der zehnten Woche selbstständig Nahrung aufnehmen.
Wappentier der Grafen von Thurn und Taxis
In der Postkutschenzeit gehörten Dachsschwarten zum alltäglichen Anblick. Der Dachs war Wappentier der Grafen von Thurn und Taxis, die seinerzeit das Postmonopol hatten. Daher führte das linksgehende Vorderpferd am Kummet eine Dachsschwarte. Der Brauch lebte, obwohl der Ursprung in Vergessenheit geraten war, bis ins frühe 20. Jahrhundert fort, in dem schwere Gespanne wie Brauereifahrzeuge noch immer Dachsschwarten am Geschirr trugen.
Grimbart und Reineke Fuchs
In der Tierfabel heißt der Dachs „Grimbart“. Hier ist er derjenige, der nach dem Tod des Wolfs das Grab für Isegrim schaufelt. Im alten niederdeutschen Epos „Reynke de Vos“ tritt er als Vermittler auf und bemüht sich um eine Verteidigung für Reineke Fuchs. Er ist es auch, der Reineke die Beichte abnimmt und ihn zum anständigen Leben ermahnt.
Frechdachs verteidigt seinen Bau
Beeindruckt hat die Menschen seit jeher der Mut, mit dem der sonst recht verträgliche Dachs sich gegen größere Raubtiere und Jagdhunde zur Wehr setzte und seinen Bau verteidigte. Das Wort „Frechdachs“ hat hier seinen Ursprung. Der Dachs kann mit seinen Grabklauen kräftig austeilen, ist im Kampf für sein plumpes Aussehen recht wendig und bringt es Berichten zufolge durchaus fertig, in seinen Bau eingedrungene Hunde zu verschütten, indem er einen Gang einstürzen lässt.
Möglicherweise dachte Goethe an diesen Mut des Dachses, als er in seinem „Reineke Fuchs“ Grimbart folgendermaßen einführt: „Reinekens Neffe, der Dachs, nahm jetzt die Rede, und mutig/Sprach er zu Reinekens Bestem, so falsch auch dieser bekannt war.“ Als einziger Fürsprecher für einem Verfemten am Hofe des Königs der aufgebrachten Menge entgegenzutreten, dazu bedurfte es tatsächlich eines dächsischen Mutes.
© Petra Hartmann