Ewiges Leben, ewige Jugend: Doctor Nikola ist auf der Spur eines der größten Rätsel der Menschheit. In "Das Experiment des Doctor Nikola" lässt der Autor Guy Boothby seinen sinistren Wissenschaftler einen riskanten Versuch unternehmen. Ein 98-Jähriger ist sein Versuchskaninchen ...
Das neue Abenteuer Nikolas wird erzählt aus der Perspektive eines ausgebildeten Arztes. Ähnlich wie Wilfred Bruce, der Begleiter Nikolas im chinesischen Abenteuer "Die Expedition des Doctor Nikola", ist dieser Douglas Ingleby eine gestrandete Existenz, qualifiziert, gebildet und mit ausgezeichneten Kenntnissen auf seinem Gebiet, ähnlich wie Bruce auch ein Mensch in existenzbedrohender finanzieller Not. Aber dieser Mediziner hat nichts von dem Format des zupackenden Weltenbummlers Bruce, der sich zusammen mit Nikola als nahezu gleichberechtigter Partner in die Gefahren einer Expedition stürzt und den Naturgewalten und den chinesischen Mördern, Banditen und Mönchen trotzen kann. Er hat auch wenig gemein mit dem schlichten aber redlichen Australier Hatteras, der zum unfreiwilligen Gegenspieler Nikolas im ersten Teil, "Die Rache des Doctor Nikola", wurde. Ingleby ist eine relativ schwache Persönlichkeit, ein befristet Angestellter, der Nikola mit einer gewissen Ergebenheit folgt, weil er für den Assistentenjob bezahlt wird. Einen Kinnhaken oder gar eine richtige Schlägerei mit Nikolas Feinden würde man diesem Mediziner sicher nicht abkaufen. Aber dazu ist er auch nicht gemacht.
Doctor Nikola auf der Suche nach der ewigen Jugend
Die Ereignisse des dritten Nikola-Romans setzen dort an, wo der zweite Band endete: Nikola hat sich in den Besitz gewisser Geheimnisse eines chinesischen Klosters gesetzt, besitzt nun einen Großteil des Wissens, dessen man bedarf, um einen steinalten Menschen zu verjüngen, und möchte nun die Probe aufs Exempel machen. Es ist nicht sein erster Versuch. Berichtet wird von einigen fehlgeschlagenen Experimenten, vermutlich verschuldet von ungeeigneten Helfern des Wissenschaftlers.
Nun soll Ingleby den Part des Assistenten übernehmen. Er steht einer jungen, hübschen Frau bei der Überführung ihres 98-jährigen Großvaters zu Nikolas Schloss bei, begleitet beide auf einer Seereise und assistiert Nikola bei seiner mehrere Wochen währenden Behandlung. Aber auch Ingleby erweist sich nicht unbedingt als ein Muster an Zuverlässigkeit, gleich zweimal missachtet er die Anweisungen Nikolas, verpasst dem Patienten eine Überdosis an Medikamenten, kostbare Mittelchen, die er sich später sogar stehlen lässt, versäumt einmal gar die Überwachung der Instrumente und gefährdet das gesamte Experiment. Dennoch ist es am Ende nicht Inglebys Schuld, dass Nikolas Behandlung auf entsetzliche Weise fehlschlägt.
Zwischen chinesischer Tradition und Apparatemedizin
Dabei beschreibt Boothby Nikolas Vorgehen nicht unbedingt als der "traditionellen chinesischen Medizin" verwandt, eher schildert er die Behandlung als hochwissenschaftlich und technikorientiert und auf der Höhe seiner Zeit: Zwar benutzt er uralte Geheimnisse aus einem uralten Lamakloster, doch spielt auch die Elektrizität eine sehr wichtige Rolle, und die Maschinen, die am Bett des Patienten stehen und Strom durch den Körper des alten Mannes fließen lassen, lassen den Leser einen Blick in die Frühzeit der Apparatemedizin tun.
Chinesischer Killer schleicht ums Schloss
Ein geheimnisvoller chinesischer Killer, der ums Schloss schleicht und auf die Gelegenheit zum Zuschlagen wartet, die Kulisse des Schlosses am Meer, die seltsame Menagerie aus Behinderten, die Nikola dort hält (Versuchskaninchen? Gescheiterte Experimente?), und die wunderschöne Enkelin des Patienten, die für die schrillen Angstschreie und die nötige Romantik gebraucht wird, geben dem Roman eine typische Gruselroman-Atmosphäre im "victorianischen" Ambiente.
Erneut zieht Boothby alle Register seiner Erzähkunst und hält den Leser über rund 130 Seiten in Atem. Die Geschichte ist schnell und spannend erzählt und lässt sich nicht wieder aus der Hand legen, bis das letzte Kapitel zu Ende ist. Vielleicht keine ganz große Literatur, aber gute Unterhaltung und Spannung für ein paar Stunden, auf jeden Fall ein Roman, der an keiner Stelle langweilig ist und den Leser nicht wieder loslässt.
Kurzgeschichte von Guy Newell Boothby als Beigabe
Etwas schwach dagegen wirkt die Beigabe am Ende des Buches: Die Kurzgeschichte "Eine Geschichte in Ägypten", die dem recht kurzen Nikola-Abenteuer vermutlich als Füller angehängt ist, ist sicher keiner Sternstunde in Boothbys Erzählunst entsprungen. Die Story handelt von einer jungen Engländerin in Ägypten, die sich als die Wiedergeburt einer antiken Ägypterin entpuppt. Die Geschichte ist ein klassischer Novellenstoff, doch auf eine eher pennälerhafte Weise erzählt, sie hat einen unbeholfenen, geschraubten Satzbau voller Realtivsätze, eine nicht eben originelle Pointe und einen übermotivierten auktorialen Erzähler, der sich in Schwafeleien und überflüssigen Erklärungen ergeht, anstatt Handlung zu bringen.
Vorwort mit Infos zu "The Lust of Hate"
Sehr gelungen und informativ dagegen ist das kurze Vorwort des Übersetzers Michael Böhnhardt, der ein wenig zum Hintergrund der Serie erzählt und vor allem darüber aufklärt, was in dem "fünften Doctor Nikola-Band" passiert: "The Lust of Hate" ist nicht Teil der im Wurdack Verlag erscheinenden Nikola-Reihe, da Nikola hier nur eine Nebenrolle spielt. Böhnhardt verrät, was in dem Roman vor sich geht und warum der Nikola-Leser auf diesen Band durchaus verzichten kann. Vielleicht wäre es für das Buch besser gewesen, die Kurzgeschichte wegzulassen und stattdessen ein etwas umfangreicheres Vorwort oder weitere Informationen zu Boothby und seinem Werk zu bringen.
Fazit: Ein spannender Abenteuerroman mit einem Schuss Grusel, schnell, gut erzählt und ausgesprochen eingängig. Lesenswert.
Guy Newell Boothby: Das Experiment des Doctor Nikola. Nittendorf: Wurdack Verlag, 2011. 158 S., Euro 11,95.
Guy N. Boothby: Die Rache des Doctor Nikola
Guy N. Boothby: Die Expedition des Doctor Nikola
Guy N. Boothby: Der Palazzo des Doctor Nikola
© Petra Hartmann