Tag der Niedersachsen in Hildesheim. Die Hildesheimlichen Autoren stellten "Hildesheimer Geschichte(n)" vor, und ich las erstmals aus meinem druckfrischen, soeben erschienenen Buch "Hut ab, Hödeken!" - und hätte fast Prügel bekommen ...
Was für eine Herkulesaufgabe: Ich glaube, als die Hildesheimlichen Autoren beschlossen, am Tag der Niedersachsen ihr komplettes Buch "Hildesheimer Geschichte(n)", einen "Beitrag zum 1200-jährigen Stadtjubiläum", vorzulesen, hat sich niemand so recht Gedanken darüber gemacht, wie lang unser Buch ist. Aber: Wir waren tapfer. Als wir nach rund zehn Stunden Lesearbeit unseren Platz an der Jakobikirche räumten, waren wir zwar erschöpft und teilweise blaugefroren (der Wind pfiff doch recht arg vor dem Gotteshaus), aber wir gingen mit dem Gefühl auseinander, ein gutes Stück Arbeit abgeliefert zu haben.
Sputnik wartet vor dem Fuchsbau
Da ich im Vorfeld tierische Angst vor Verkehrschaos und Parkplatznot hatte, hatte ich meine Verlegerin Monika Fuchs vorsorglich um ein Quartier für "Sputnik" gebeten. Mein kleiner blauer Panda fühlte sich vor dem Fuchsbau auch wohl und überstand die Riesenveranstaltung ohne Blessuren. Und für mich war der Abstecher in den Langen Hagen doppelt erfreulich, da ich dort die frisch erschienenen Exemplare meines neuen Buchs "Hut ab, Hödeken!" in Empfang nehmen konnte. Die erste Geschichte dieses Buches ist auch in der Vereinsanthologie "Hildesheimer Geschichte(n)" abgedruckt, und so hatte ich Gelegeheit, bei meiner anschließenden Lesung gleichzeitig das Vereinsbuch und mein eigenes vorstellen zu können. Passte gut.
Hildesheimliche Autoren an der Jakobikirche
Doch von Anfang an: Die Vereinsmitglieder trafen sich um 10.30 Uhr vor der Jakobikirche. Die Bühne, ein vielleicht 20 Zentimeter hohes Podest, stand schon. Als ich ankam wurden gerade der Regenschutz und die Mikrofonanlage installiert. Es gab noch ein paar letzte Absprachen (jeder sagt den nächsten an, Namensschilder und Bonusmeilen-Buttons anstecken, laminierte Infotafeln sortieren, Catering, wo ist das Klo?), dann war Showtime.
Im Anfang war der 1000-jährige Rosenstock
Den Auftakt machte Peter Hereld mit seiner Geschichte "Es war einmal vor 1200 Jahren", in der er die Gründungslegende der Stadt erzählte. Ein Kaiser verirrt sich, übernachtet im Wald, und plötzlich werden alle Pläne für Elze umgeschmissen, und Hildesheim erhält den Bischoffssitz. Offenbar ist es manchmal gar nicht so schlimm, wenn das Navi versagt.
Hödeken-Lesung: Zuhörer stürmt die Bühne
Danach war ich dran, ich las "Das Wagenrennen auf dem Rennstieg", die Geschichte von Hödeken und dem Hildesheimer Bischof. Dabei gab es für mich eine ... nun ja ... nennen wir es: eine Begegnung der dritten Art. Ich hatte meine Geschichte gerade beendet und sagte "Dankeschön", da sprang einer der auf den Kirchenstufen sitzenden (vermutlich) Obdachlosen, ein älterer Mann mit Rauschebart, auf, baute sich vor mir auf und begann: "Mädel, hör zu, ich will dir mal was sagen, ich bin gebürtiger ...er, die Geschichte ist ganz falsch ..." Oha. Im Hintergrund machten sich wohl schon zwei kräftigere Hildesheimliche bereit, den Mann notfalls wegzuzerren, doch ich konnte ihn überzeugen, dass ich in fünf Minuten mit ihm darüber reden würde. Ich konnte ja noch nicht runter von der Bühne, da ich gleich im Anschluss noch Karla Baiers Text "Der Ehrlicher-Park" lesen musste. "Nur noch fünf Minuten, dann können wir reden", versprach ich, das nahm er mir ab und ging zurück auf die Treppenstufen. Später, als Kollegin Uta Jakobi ihren Text über die Dominikaner in Hildesheim vorlas, schaute ich mich nach dem Mann um, sah ihn aber nicht mehr. Erst als ich einige Minuten lang in der Fußgängerzone auf und ab gegangen und Infozettel über unser Buch verteilt hatte, sah ich ihn die Straße entlangkommen. Ich hielt ihm einen der Zettel hin. "Ach nee, nee, ich les' keine Bücher", maulte er und wehrte ab, als hätte ich versucht, ihm eine Klapperschlange zu überreichen. Naja, dann eben doch kein Gespräch, ich habe es zumindest versucht. Immerhin, ich scheine mit dem Buch ins Schwarze getroffen zu haben: Wer aus der Gegend kommt, kennt Hödeken und identifiziert sich offenbar auch so stark mit ihm, dass er schon mal eine Autorin von der Bühne herunterzerren will, die etwas "falsch" erzählt.
Übrigens sprachen mich beim Zettel-Verteilen noch einge Leute daraf an, dass ich "sehr schön gelesen" hatte.
Zeitpläne sind etwas für Weicheier
Die erste Musik-Pause, nach Utas Beitrag, war noch relativ pünktlich, schon bei Block zwei zeichnete es sich allerdings ab, dass wir die Texte an einigen Stellen zu knapp kalkuliert haben. Die Musikschüler taten mir schon ein wenig leid. Irgendwann lagen wir so weit hinten, dass wir beschlossen, Musik-Acts vorzuziehen, sowie jeweils der nächste Text zu Ende war. Die Entscheidung kam als erstes einer vierköpfigen jungen Band zugute, die ein schönes rockiges Programm hatte, allerdings gut eine Viertelstunde mit Aufbau und Technik benötigte, ziemlich lang spielte, noch eine Zugabe gab und dann sehr lange wieder abbaute. Naja, unser Zeitplan war zu dieser Zeit ohnehin nur noch ein Reihenfolge-Plan.
Mikrofon mit Klängen aus dem Diesseits
Im Gedächtnis geblieben ist mir vor allem das schreckliche Mikrofongeräusch, wenn Eckehard Haase in "Ein Mönch namens Albert" die hohe Stimme eines änglichen Klosterbruders nachmachte, und das überraschende "Hallo, ich bin das Diesseits" von Sonja Klima aus dem "Off", während der einsame Henning Reichrath auf der Bühne seinen Didrik Pining aus dem über Jenseits seine Amerikafahrt erzählen ließ.
Besuch von Ulrike Reineke
Für mich gab es zwischendurch einen Überraschungsbesuch von Ulrike Reineke, die zusammen mit ihrem Mann Michael das Niedersachsenfest besuchte. Klar, dass sie nicht wieder weiterziehen durfte, ohne einen Hödeken in der Tasche. Und ich verdanke der Begegnung zwei Schnapschüsse, die ich hier einstelle. ;-)
Hexenverbrennung und Kriminelles
Den dritten Block eröffnete Diana Krewald mit ihrer Geschichte "Auf dem Rabenstein", in der sie eine Hexenverbrennung im Jahr 1607 in Hildesheim schilderte. Sehr grausam. Anke Wogersien war leider verhindert, daher las Uta Jakobi stellvertretend die Geschichte "Catherina" vor, woraufhin Marlene Wieland Michael Hannacks Story "Das Gedicht" vortrug. Wenig später war Marlene noch einmal dran, diesmal mit ihrer eigenen Geschichte "honorem ei qui meritur oder Sei gegrüßt, Magdalena". Kriminell wurde es, als Bernward Schneider die Bühne betrat. Er las seine hildesheimliche Kriminalgeschichte "Im Dunkel" vor.
Ein Gespräch in Hildesheim
In Block fünf wurde es für mich dann noch einmal ernst. Im Anschluss an Renata Maßberg, die etwas über die Entstehung des Huckup-Denkmals erzählte, war ich mit einem für die Stimme recht anspruchsvollen Text dran. Ich las als Stellvertreterin von Altje Hornburg eine gekürzte Fassung ihres Beitrags "Ein Gespräch in Hildesheim". Hinter dem recht schlichten und harmlos daherkommenden Titel verbirgt sich die Geschichte eines geistig behinderten Mannes aus Hildesheim, der von den Nazis ermordet wurde. Einer der stärksten Beiträge zu unserer Vereinsanthologie, aber nicht ganz leicht für Vorträge, einmal wegen des Themas, dann aber auch wegen der Länge. Ich las rund eine Dreiviertelstunde. Einige Vereinskollegen meinten später, ich hätte die Geschichte gut rübergebracht.
Verwirrende Einbahnstraßen und ein Blick zur Arnekengalerie
Nach der Musik gehörte die Bühne Maria Marhauer, Hans-Jürgen Fischer und Egbart Brandt. Der Hannoveraner Hans-Jürgen, der seinen Beitrag über das "verwirrende, hilfreiche Hildesheim" mit der Schilderung einer Irrfahrt durch ein verwinkeltes, unübersichtliches Netz von Einbahnstraßen begann, erntete wissendes Gelächter der Eingeborenen und Auswärtigen. Konnte sich jeder gut vorstellen, dass da schon mal das Navi versagt. Egbert hatte für seine Geschichte der Arnekenestraße natürlich vor der Jakobikirche den denkbar größten Heimvorteil. Man konnte ja beinahe hinüberspucken zur Arnekengalerie von unserer Bühne aus.
Ein Blick in die Zukunft - und dann ein Schlusspunkt
Den Abschlussblock leitete Sonja Klima mit ihrer etwas mystischen Geschichte "Die Mehrerin" ein. Es folgte Jens Volling, der während seiner Odyssee durch das Hildesheim des Jahres 2051 beinahe vom Wind davongerissen wurde. Dafür unterstützte ich ihn als futuristische Infosprecherin, die die Inschrift des Huckup-Denkmals vorlas. Den letzten Auftritt hatte Elviera Kensche, dann sprach Peter Hereld gegen 20.40 Uhr das Schlusswort. Geschafft. Was für ein Tag!
Aufräumen. Eine letzte Portion Pommes rot, dann zurück zum Fuchsbau, wo der kleine blaue Sputnik schon auf mich wartete. Noch ein wenig Geklöne mit der Verlegerin, dann ging's heimwärts.
Fazit: Es war anstrengend, aber es hat Spaß gemacht. Bei der 2400-Jahr-Feier Hildesheims mit Niedersachsentag wäre ich gern dabei.
© Petra Hartmann