Walhalla: Die gesammelte Saga 4
Comics Walhalla germanische Myrhologie
Der vierte Sammelband der dänischen Comicserie "Walhalla" bietet drei bisher in Deutschland nicht veröffentlichte Abenteuer der germanischen Götter. Peter Madsen und Henning Kure berichten, wie die Götter ihre Attribute bekamen, woher der Dichtermet stammt und was Odin und Thor am Hof Geirröds erlebten.
Erneut erzählen die Walhalla-Macher germanische Göttersagen aus der Edda und setzen sie mit gekonnt frechem Erzählstil und beeindruckenden, durch Humor und Detailreichtum geprägte Bilderwelten in Szene. Allerdings fällt den Autoren in diesem Band eine Entscheidung aus den Anfangsbänden auf die Füße: Röskva und Tjalfi, die beiden menschlichen Diener Thors, fallen in diesem Band als Perspektiv-Figuren aus, da es sich hauptsächlich um Sagen handelt, die längst vor der Ankunft der beiden in Asgard spielten. Als Start der Serie war ja Geschichte von Thors Böcken und darüber, wie die Kinder in den Dienst des Donnergottes kamen, gesetzt worden. Ablauf und die Chronologie der Ereignisse können demnach nicht mehr eingehalten werden.
Ein Problem, das bereits im Vorgänger-Album auftrat, als es um Thors Kampf mit der Midgardschlange ging. Damals hatten die Autoren sich durch den Kniff gerettet, die alte Anglergeschichte Thors durch eine erneute Begegnung des Gottes mit dem Ungeheuer zu spiegeln. Doch nun geht es um vergangene einmalige Geschichten, bei denen Röskva und Tjalfi nun wirklich nicht dabei sein konnten. So wird die Chronologie der Serie durchbrochen, und wir befinden uns plötzlich in einem Asgard der Vorzeit. Ein Problem, das der Erzähler mal mehr und mal weniger elegant löste.
Eddalieder am Lagerfeuer
Das erste Abenteuer, "Die Gaben der Götter" ist gestaltet als eine Lagerfeuer-Erzählung bei einem gemütlichen Grillabend der Familie Thors. Röskva begeistert sich für Sifs Haar und erfährt, dass es sich tatsächlich um reines Gold handelt. Loki, der ebenfalls in der Grillrunde mit dabei ist, erzählt, halb aus Prahlsucht, halb gezwungen die ganze Geschichte, wie er Sif die Haare abschor und dafür vom wütenden Thor dazu verdonnert wurde, Ersatz zu schaffen. Röskva und Tjalfi haben in diesem Abenteuer also die Funktion des Zuhörerrs, der Veranlassung zum Erzählen geworden ist. Dabei wird die Erzählsituation ständig wieder in Erinnerung gerufen durch Unterbrechungen seitens der Betroffenen Thor und Sif, die Loki ständig korrigieren und ihn zwingen, die Wahrheit zu sagen, wenn er für ihn peinliche oder unvorteilhafte Wendungen ausliässt. So wird die Geschichte dialogisch entwickelt und polyperspektivisch erzählt.
Das ist eine nette Abwechslung, wirft den Leser aber auch immer wieder aus dem Erzählfluss raus. Man merkt einfach, wie die Walhalla-Macher sich hier winden, um ihre Geschichte doch noch durch die Augen Röskvas und Tjalfis erzählen zu können. Aber es eckt und hakt ein wenig, es ist wie ein Roman voller Rückblenden, aus dem man immer wieder zurück in die Lagerfeuerszene geworfen wird, in der aber selbst nichts passiert.
Als die Götter noch jung waren
Sehr liebenswürdig ist der Gedanke, das Ganze als eine Liebesgeschichte des jungen Thor und seiner gerade erst nach Asgard gekommenen Angebeteten aufzufassen. Wobei Sif als eine Verwandte Freyers dargestellt wird, was mythologisch nicht belegt ist. Sehenswert ist die Darstellung Thors, Sifs und einiger ihrer Altersgenossen als Jugendliche, die Geschichte spielt ja in der Vergangenheit der Götter. Ein dickes Lob verdient die Idee, Skidbladnir, das Schiff Freyers, in der zusammengefalteten Form als Zeitungspapierschiffchen darzustellen. Sehr schön. Und dass die Walhalla-Macher in der Darstellung von Trollen und Zwergen punkten können, ist ja bereits bekannt.
Ein Krimi rund um das Dichtermet
Das zweite Abenteuer trägt den Titel "Das Mysterium des Dichtermets". Es geht um die Gewinnung des sagenhaften, inspirierenden Skaldentrunks, den Odin von den Riesen gewann, und um die Vorgeschichte und die Entstehung dieses Stoffes, aus dem die Dichterträume sind. In diesem Abenteuer tauchen Röskva und Tjalfi gar nicht mehr auf. Wir haben es mit einer zeitlosen Geschichte zu tun, die als Selbstgespräch Odins daherkommt, der sich an eines seiner Erlebnisse erinnert und dabei einen Krimi erzählt.
Odin als Privatschnüffler im Hardboiled-Stil
Interessant ist das Setting: Odin kommt daher als Ich-Erzähler eines Hardboiled-Krimis im Chandler-Stil, sein Herrschersitz in Walhall wird vorübergehend zum versifften Büro eines mehr oder weniger erfolgreichen Privatschnüfflers - inklusive Streifenlichtfall durch die halb heruntergelassenen Jalousien. Und natürlich gehört auch der tief ins Gesicht gezogene dunkle Schlapphut mit dazu, unter dem der verdeckte Ermittler einäugig hervorlugt. Die am Film noir orientierte Bildästhetik hat etwas, ganz klar. Auch wenn nicht ganz klar wird, wieso sich der sonst so erhabene und auf seine Würde bedachte Obergott von zwei rotzfrechen Zwergen so herumkommandieren lässt. Zahlende Klienten sind diese beiden windigen Typen, die ihn zur Wiederbeschaffung ihres Metfasses auffordern, ja nicht.
Kvasir entsteht aus Götterspeichel
Die Geschichte des aus Götterspeichel geborenen weisen Kvasir wurde sehr geschickt in der Erschaffung des Pseudo-Asen Höner gespiegelt - mythologisch sehr eigenwillig und sehr frei interpretiert, aber nicht ungeschickt. Sehr interessant auch der Gedanke, dass die Wanen eine matriarchale Gesellschaft sind und als Geisel gar keinen "weisesten Mann" stellen konnten, wie die Asen verlangten. So kam Kvasir als Götter-Attrappe zum Einsatz. Schön auch, dass Nerthus als oberste Herrscherin der Wanen fungierte.
Mythologische Neuschöpfung
Insgesamt eine sehr spannende Neu-Interpretation, ja geradezu Neuschöpfung des Mythos vom Wanenkrieg und vom Friedensschluss. Wer sich in der alten Sagenwelt auskennt, wird diese Version als sehr freie Neu-Dichtung sicher zu schätzen wissen. Als "Aufklärungsmaterial" für junge Leser und Einsteiger, die sich mit der germanischen Mythologie vertraut machen wollen, ist dieses Abenteuer aber eher ungeeignet.
Röskva und Tjalfi verschwinden
Auch das dritte Abenteuer kommt ohne Röskva und Tjalfi aus. Die beiden und Thors Sohn Magni nutzen die Chance, als Thor mit seinen Gedanken anderswo ist, und erhalten von ihm die Erlaubnis, einen Ausflug mit dem "Ziegenwagen" zu machen. Offenbar hat das Geschwisterpaar als Identifikationsfiguren-Doppel ausgedient, zumal die Leserschaft im Laufe der Zeit ja auch schon älter geworden sein dürfte.
Zwei Eddasagen um Geirröd
Das Abenteuer verknüpft sehr geschickt zwei Edda-Sagen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Einzige Verbindung ist, dass der Antagonist den Namen Geirröd trägt. Doch handelt es sich eigentlich um zwei verschiedene Figuren, denn der Geirröd der Odinssage ist ein schlechter Menschen-König, der Geirröd aus der Thorssage ist ein Riese. Daraus wurde nun in der Verbindung beider Geschichten ein böser König, der sich mit Riesen eingelassen und mit einer Riesin zwei Töchter gezeugt hat.
Odins Fahrt wird Ursache für Thors Abenteuer
Interessant wird die Kombination dadurch, dass nun Odins Fahrt an Geirröds Hof und seine Gefangennahme die Veranlassung für Thors Aufbruch zu Geirröd wird. Und tatsächlich wird so aus zwei kleineren Sagen ein albenfüllendes Abenteuer. Auch hier wird aber sehr frei mit dem Stoff umgegangen, besonders in der Odin-Handlung. Dass Odin Ziehvater und "Karriereberater" Geirröds war und dafür verantwortlich, dass dieser seinen eigentlich erbberechtigten älteren Bruder Agnar beseitigte, wird genauso unter den Tisch fallen gelassen wie Friggs Engagement für den Bruder. Dass der Nachfolger Geirröds im Comic dann nicht Geirröds, sondern Ragnars Sohn wird, ist gleichfalls eine Abweichung, aber vertretbar.
Auch hier wieder großartige Zeichnungen und ein humorvoller Blick auf das Riesenvolk. Die Unholde liegen der Walhalla-Crew einfach ganz besonders.
Großzügig mit Zusatzmaterial ausgestattet
Erneut ist der Sammelband sehr großzügig mit Zusatzmaterial ausgestattet, darunter Zeichnungen und Skizzen aus der Entstehungsgeschichte des Comics, aber auch Dokumente zur Wirkungsgeschichte und zum Eingang in die vor allem dänische Populär-Kultur. In den jeweiligen Einleitungen erfährt der Leser, worüber sich die Walhalla-Macher die Köpfe zerbrochen haben und welche Knackpunkte es beim Erzählen gab. Außerdem sind wieder die Originaltexte der verwendeten Eddalieder und Prosaerzählungen abgedruckt. So kann jeder nachlesen, wie es "wirklich" war.
Fazit: Eine reich ausgestattete, opulent bebilderte Sicht auf die germanische Mythologie, spannend, humorvoll, sehr eigenwillig und hochgradig inspirierend. Hier wird nickt sklavisch nacherzählt, sondern kongenial neugeschaffen. Die Macher müssen einen tüchtigen Zug Götterspucke getrunken haben.
Walhalla. Die gesammelte Saga 4. Illustriert und erzählt von Peter Madsen. Nach Geschichten von Henning Kure, Hans Rancke und Per Vadmand. Aus dem Dänischen von Inga Esseling. Meschede: Edition Roter Drache, 2021. 193 S., Euro 40.
Weitere Walhalla-Bände
Walhalla. Die gesammelte Saga 1
Walhalla. Die gesammelte Saga 2
Walhalla. Die gesammelte Saga 3
Walhalla. Die gesammelte Saga 5
© Petra Hartmann