
Kathi Wallace: Assiniboin Girl

"Assiniboin Girl" ist ein moderner Indianer-Roman für Jugendliche. Erzählt wird die Geschichte der jungen Mary Two Dog, einer Assiniboin-Indianerin, die fern von Stammesriten und Traditionen in New York aufwuchs. Doch nun muss sie zu ihrer Großmutter in ein Indianerreservat ziehen, in einen einsamen Wohnwagen am Ende der Welt.
Mary ist vollkommen amerikanisch erzogen worden, einzig die Welt der Großstadt ist ihr vertraut. Als ihre Eltern in einem Verkehrsunfall sterben, kommt sie zunächst bei einer Tante unter, auch diese hat die traditionellen und spirituellen Pfade der Assiniboin verlassen und arbeitet als FBI-Agentin. Mary zieht mit ihr in eine fremde Kleinstadt, wo die Tante undercover einen rassistischen Polizeichef beobachten soll. In der Schule hat sie einen schweren Stand, Mitschülerinnen hänseln sie. Gerade hat sie den Nachbarsjungen Steve als Freund gewonnen, als die Ermittlungen ihrer Tante eine brandgefährliche Wendung nehmen. Die Entscheidung der Tante ist knallhart: Mary muss sofort weg, in Sicherheit. Und Sicherheit bedeutet: die Assinoboin-Reservation, in der ihre unbekannte Großmutter lebt ...
Krimi-Plot und Geschichte der Assiniboin
Der Roman verbindet einen Krimi-Plot mit einer Reise in die Spiritualität und Geschichte eines indianischen Volks. Der Leser erfährt etwas über traditionelle und noch heute durchgeführte Zeremonien wie Schwitzhütten und die Suche nach einer Vision. Mary, deren Großmutter nicht nur eine weise, sondern in ihrem Volk auch eine Heilige Frau ist, lernt die Traditionen der Assiniboin kennen und hat immer wieder Visionen von einem etwa gleichaltrigen Mädchen namens Mahpiya, das in der alten Zeit gelebt hat, als die Assiniboin noch frei waren und mit den Weißen Handel trieben.
Zu viele Themen auf zu engem Raum
Der Roman ist flüssig geschrieben und lässt sich zügig lesen. Für jugendliche Leser ist er gut geeignet und bietet einen Einstieg in die Welt der Assiniboin. Etwas unschön ist allerdings, dass der Roman einfach zu "voll" ist. Es sind zu viele Themen und Handlungsfäden auf zu engem Raum angerissen und nicht vollkommen ausgesponnen. Auf nur 200 Seiten erzählt Kathi Wallace vom Unfalltod der Eltern, von den Ermittlungen der Tante, von gewalttätigen, indianerhassenden Mitschülerinnen und der aufkeimenden Freundschaft zwischen Mary und Steve, aus der vielleicht eine Liebe werden könnte, sie schildert das aktuelle Leben im Reservat, Marys "Selbstfindung" in den alten Riten, breitet eine weitere Handlungsebene mit dem Blick in Machpiyas Welt der alten Assiniboin des 19. Jahrhunderts aus, schildert deren Begegnung mit Weißen und die Pockenepidemie, die viele Stammesmitglieder ihr Leben kostete, lässt dann Marys Tante, nachdem sie zusammengeschlagen wurde, im Krankenhaus zwischen Leben und Tod schweben und nur durch eine Heilzeremonie der Großmutter wieder gesund werden, schließlich Achtung, Spoiler, folgen die Ermordung Steves und die Gerichtsverhandlung gegen den rassistischen Polizeichef - all das hätte locker zwei oder drei umfangreichere Romane füllen können.
So bleibt vieles notgedrungen an der Oberfläche, vieles wird einfach zu kurz abgehandelt, die vielen Themen neutralisieren sich gegenseitig in ihrer Wirkung. Schon dass die Erzählerin ihre Heldin mitten aus den Ermittlungen in einem spannenden und gefährlichen Kriminalfall einfach aus der Handlung herausreißt und in die Abgeschiedenheit und Zeitlosigkeit eines Reservats versetzt, während die Tante, die sich in Lebensgefahr begibt, vollkommen von der Bildfläche verschwindet, ist für den Leser ziemlich unbefriedigend.
Vielversprechendes Debüt von Kathi Wallace
"Assiniboin Girl" ist der Debütroman der Autorin. Kathi Wallace hat mit diesem Buch bewiesen, dass sie schreiben und gut und spannend erzählen kann. Für die nächsten Werke wünsche ich mir ein wenig mehr Ausführlichkeit und dickere Bücher.
Fazit: Spannendes und informatives Jugendbuch, gut erzählt, etwas zu viele Themen auf zu wenig Raum. Vielversprechend.
Kathi Wallace: Assiniboin Girl. Übersetzung: Elena Müller. Machandel Verlag, 2014. 206 S., Euro 8,90.
© Petra Hartmann