Dietrich von Bern, Hrsg. v. Erik Schreiber
Bücher - phantastisch Dietrich von Bern Saphir im Stahl
Dietrich zeigt sich schon als junger Recke kühn und ehrgeizig, er erringt einen unzerstörbaren Helm und ein sagenhaftes Schwert, erschlägt Unholde, überlistet Tarnkappen tragende Zwerge und erweist sich als Kämpfer ersten Ranges. Anders als Siegfried jedoch wird der junge Königssohn und spätere König fast immer als soziales Wesen, das heißt: im Kreis seiner Freunde und Gefolgsleute gezeigt, die mit ihren eigenen Geschichten und Nebenhandlungen zur Vielschichtigkeit der Sage beitragen. Eine bedeutende Rolle spielt hierbei der alte Waffenmeister Hildebrand, der zunächst sein Lehrer und Mentor, später auch väterlicher Freund ist. So ist gerade das Abenteuer mit dem Riesen-Ehepaar Grim und Hilde sowie mit ihrem Neffen und Rächer Sigenot ein Beispiel dafür, dass selbst ein erfahrener Kämpfer wie Hildebrand einmal die Hilfe seines jungen Schülers benötigt, dass später aber auch ein heldenhafter Recke wie Dietrich ohne die Unterstützung des Älteren beinahe ums Leben gekommen wäre.
Auch Dietrichs Gefolgschaft aus Helden spielt eine große Rolle in dem Buch. Unterschiedliche Charaktere und sehr individuelle Abenteuer finden hier Platz, und vor allem die Rivalität zwischen den beiden "Emporkömmlingen" Wittich und Heime stellt die Gesellschaft immer wieder vor Bewährungsproben. Heime, Sohn eines Pferdezüchters, und Wittich, Sohn des legendären Schmiedes Wieland, wetteifern immer wieder um die Gunst des Königs, am Ende verraten beide ihn. Dass der Berner auch ausgerechnet dem mehrfach als heimtückisch und unritterlich entlarvten Heime sein kostbares Schwert Nagelring schenkt, wirkt auf den heutigen Leser vollkommen widersinnig, ist jedoch so überliefert. Der Abfall Wittichs, der durch seine Gefolgschaftstreue gegenüber dem König Ermenrich eigentlich eher unfreiwillig auf die Seite der Gegner Dietrichs gerät, ist eigentlich tragisch zu nennen, immerhin erlebt der Held auf seiner etwas seltsam anmutenden Flucht eine Art Apotheose beziehungsweise Versetzung in die Feenwelt, die Dietrichs Ende, das Davonreiten und Verschwinden auf einen unheimlichen schwarzen Pferd, spiegelt.
Das Buch ist ein schönes, handliches Taschenbuch geworden, das gut in der Hand liegt und sich angenehm lesen lässt. Sehenswert ist das Titelbild von Franziska Wenzel, das zusammen mit den Covern der beiden zeitgleich erschienenen Bücher über die Nibelungensage sowie über Beowulf und die Kudrun-Geschichte ein Triptychon ergibt. Auch die Innenillustrationen, schöne alte Zeichnungen und Stiche aus der Welt der Ritter und Sagengestalten, sind ansprechend und werten das Buch auf.
Ein wenig seltsam mutet allerdings der Versuch an, die drei Bücher zusammen unter dem Schlagwort "Nibelungen" anzubieten. Beowulf und Kudrun haben mit den Nibelungen absolut nichts zu tun, abgesehen davon, dass bei Kudrun ein Namensvetter des üblen Hagen eine Rolle spielt. Und Dietrich spielt zwar in den Schlusskapiteln des Nibelungenlieds eine Rolle, die taucht aber im vorliegenden Sagenbuch überhaupt nicht auf. Lediglich im Vorwort wird versucht, einen losen Zusammenhang herzustellen. Dort heißt es, wer beide Sagen, also Nibelungen und Dietrich von Berrn, lese, werde Dietrich aus zweierlei Sicht erleben: "Dies gilt im gleichen Maße für seine innere Zerrissenheit. Auf der einen Seite der Vasall von König Etzel, auf der anderen Seite mit einem Schwur an Königinwitwe Kriemhild gebunden. Seine Entscheidung fällt, aber wie sie ausfällt, sie kann nur mit seinem Tod enden." Wo ist in beiden Büchern von einer Entscheidung Dietrichs die Rede, die seinen Tod zur Folge hat? Ebenfalls verwirrend ist die Behauptung des Klappentextes: "Die Dietrich von Bern Sage gehört unmittelbar zum Sagenkreis um die Nibelungen, fand Dietrich doch an Etzels Hof den Tod durch die Nibelungen." Nö, fand er nicht.
Gleichfalls schade ist, dass das Taschenbuch seine Quelle nicht offenlegt. Es wäre für die Einordnung des Textes und eine eventuelle Arbeit damit sehr hilfreich, den Verfasser (so weit bekannt) und das Erscheinungsjahr zu kennen. So kann man sich bloß denken, dass der Autor seit über 70 Jahren tot ist und der Text vom Verlag somit rechtefrei genutzt werden darf.
Fazit: Schönes, ansprechend gestaltetes Sagenbuch mit sehenswertem Cover und zahlreichen Innenillustrationen. Sprachlich etwas altertümlich, aber noch gut zu lesen. Eine spannende und gut kombinierte Sagenerzählung rund um einen der faszinierendsten mittelalterlichen Helden. Nicht unbedingt für Germanistenhände gedacht, aber wer einfach nur ein paar schöne alte Sagen lesen möchte, ist hier bestens bedient.
Erik Schreiber (Hrsg.): Dietrich von Bern. Bickenbach: Saphir im Stahl, 2015. 202 S., Euro 9,95.
© Petra Hartmann