
Lilith Kirchner: Kinder der Dunkelheit

Man nennt sie "Kinder der Dunkelheit": Kinder mit ungewöhnlichen, beängstigenden Begabungen, die im Heim der ebenfalls begabten Frau Agháida Zuflucht finden. Im neunten Kurzroman der Weltenwanderer-Reihe geht es um Licht und Schatten, um die Angst vor dem Zerbrechen der alten Ordnung und um den Kampf um Macht und Einfluss. Religöser Eifer trifft auf kindliche Unschuld, Überzeugungstäter und Intriganten werden gleichermaßen zur Bedrohung für Agháidas Schützlinge.
Lilith Kirchner erzählt von dem Jungen Fhirn, der von seinen überforderten, verängstigten Eltern im Heim abgeliefert wird. Den Neunjährigen plagen schwere Träume: Ein Mann will ihn ermorden. Und die Bedrohung durch den Fremden, der sich in seine Träume stiehlt, ist nicht der Phantasie entsprungen, sondern durchaus real. Denn der fromme Pater Athray, der in einer Vision den Untergang seines Ordens sah, begreift das Kind als den "Propheten der Dunkelheit", der für das Ende der religiösen Vereinigung verantwortlich sein wird.
Mit "Kinder der Dunkelheit" gelang Lilith Kirchner ein ungewöhnlicher, eingängiger Roman. Die Autorin schildert einfühlsam und doch in herben, schlichten Tönen das Leben eines Kindes, das nur durch seine Existenz die herrschende Macht bedroht. Der Roman, der in zwei Erzählsträngen von Fhirns Heimaufenthalt und Flucht und von Vater Athrays Kampf gegen den gefürchteten Propheten berichtet, ist geradlinig erzählt und schafft es trotz seines geringen Umfangs, die Welt des Ordens und des Heims vor dem inneren Auge des Leser plastisch erstehen zu lassen.
Sehr gelungen ist auch die Ausstattung des Büchleins: Das Titelbild, das sich mit seinem kirchenartigen Mauerwerk sehr schön in das gotische Spitzbogenfenster des Reihen-Designs einfügt, wird im Innenteil ergänzt durch drei Porträtzeichnungen der handelnden Personen.
Fazit: Ein berührender Roman, den man nicht wieder aus der Hand legen kann. Ein kleines Juwel der Erzählkunst. Und ein sehr weises Buch, das dem Leser ins Gedächtnis ruft, dass Licht nicht ohne Schatten existieren kann und dass kein Zweck die Mittel heiligt.
Lilith Kirchner: Kinder der Dunkelheit. Weltenwanderer IX. Fantasy-Kurzroman. Dortmund: Arcanum Fantasy Verlag, 2010. 60 S., Euro 4,95.
Die Autorin
Lilith Kirchner wurde 1981 in Waldbröl geboren und wuchs in einem verschlafenen Dorf inmitten von Wäldern und Wiesen auf. Nach dem Abitur begann sie zu studieren. Nach einigen experimentellen Einblicken in verschiedene Studienfächer blieb sie beim Lehramtsstudium für die Fächer Biologie und Geschichte. Zurzeit lebt sie in Bonn und arbeitet als Referendarin an einer Integrierten Gesamtschule.
Ihr Kopf ist ein ständiger Tummelplatz von Bildern und Fragmenten von Geschichten, die sich mal mehr mal weniger gut schriftlich fixieren lassen wollen. Wenn die Sprache sie nicht weiterbringt, greift sie auch gerne zu Zeichenstift, Farbe und Pinsel. Inspiriert wird sie in erster Linie durch Mythologien, aber auch durch Gedankenspiele der Physik. Ihr erstes längeres und vor allem vollendetes Werk ist der 2010 im Arcanum Fantasy Verlag erschienene Kurzroman "Kinder der Dunkelheit".
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© Petra Hartmann