Thorgal 37: Der Eremit von Skellingar
Sternensohn Thorgal muss sich in seinem neuen Abenteuer mit einer geheimnisvollen Sekte, einem Herrscher und dessen unterdrücktem Volk, aber vor allem mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandersetzen. "Der Eremit von Skellingar" lautet der Titel des 37. Albums der Comicserie, und der Band hat so ziemlich alles, was ein Thorgal-Abenteuer braucht.
Thorgal ist im Vorgänger-Band "Aniel" von seiner Orientreise zur Befreiung seines jüngsten Sohnes zurückgekehrt. Nun könnte er sich zusammen mit seiner Frau Aaricia und den gemeinsamen Kindern Jolan und Lupine in dem kleinen Wikingerdorf endlich ein gemütliches Leben einrichten. Aber es kommt anders. Eine junge Frau, deren Familie Thorgal auf dem Gewissen hat, taucht im Dorf auf und fordert Wiedergutmachung für die Taten des Räubers Shaigan. Shaigan war, für alle, die noch nicht so lange dabei sind, der Name, unter dem Thorgal an der Seite Kriss de Valnors geraubt und gemordet hat. Zwar hatte Thorgal zu dieser Zeit sein Gedächtnis und seine Identität verloren und war den Einflüsterungen der gewissenlosen Kriss erlegen, doch erkennt der Sternensohn dennoch die Verantwortung für seine Taten in dieser Zeit an. Er gelobt der sterbenden jungen Frau (auch für ihren Tod ist er verantwortlich), den Rest ihrer Familie zu befreien. Diese hängen einem seltenen Vogel-Kult an, dessen Symbol ein Albatros ist, und werden in einem nordischen Reich wegen ihrer Religion unterdrückt und wie Sklaven gehalten. Thorgal macht sich also auf die Reise zum Felsen von Skellingar, wo ein geheimnisvoller Vogelmann die Gläubigen zum großen Ritual der Sekte erwartet ...
Gute Gründe für Unterdrückung der Sekte
Allerdings: Als Thorgal dem dortigen Herrscher, dem Jarl Ivarr, begegnet, stellt sich heraus, dass dieser durchaus gute Gründe hat, die Sekte wo nicht zu verbieten, so doch kleinhalten zu wollen. Schließlich ist das Hauptritual dieser Religion ein selbstmörderischer Akt: Die Gläubigen erklimmen den Felsen im Meer, auf dem der Einsiedler haust, stellen sich dort einer Prüfung und stürzen sich anschließend vom Felsen, um sich in Seevögel, vornehmlich Albatrosse, zu verwandeln. Wenn der Jarl die Sektenangehörigen in seine Kerker wirft, rettet er ihnen sozusagen das Leben, wenn auch nicht aus uneigennützigen Motiven: Kein Herrscher hat Interesse daran, wenn sich seine Arbeitssklaven wie Lemminge von der Klippe stürzen.
Thorgal tritt für Freiheit und Toleranz ein
Die Diskussion mit Ivarr gibt Thorgal Gelegenheit, viele seiner bekannten pathetischen Lebensmaximen zum Thema Freiheit, Toleranz und Unverletzlichkeit des Lebens von sich zu geben. Dabei gelingt es ihm nicht unbedingt, den Jarl von seinen humanistischen Grundsätzen zu überzeugen, aber schließlich kommt es zu einem Pakt: Thorgal schaltet den Eremiten aus (ihn zu töten weigert er sich), und dafür erhalten die Albatros-Jünger ihre Freiheit.
Kampf um Werte und mit den eigenen inneren Dämonen
Der Band ist abenteuerlich und spannend, zugleich aber auch eine sehr interessante Auseinandersetzung mit Thorgals Werten und seiner Vergangenheit. Der Sternensohn muss sich nämlich nicht nur seinem physischen Gegner, dem Eremiten, und der herausfordernden Kletterpartie an der Steilwand stellen, sondern auch seinen eigenen inneren Dämonen. Es gilt nicht nur, jene verhängnisvolle Fehlentscheidung in der "Unsichtbaren Festung" (Band 19) wieder aus der Welt zu schaffen, mit der Thorgal seinen Namen aus dem Gedächtnis der Götter tilgte, sondern auch seiner früheren Existenz ins Auge zu blicken. Thorgal begegnet Shaigan und damit einem anderen, oft verdrängten Teil seiner Persönlichkeit - ähnlich wie Kriss in den Alben "Der Berg der Zeit" und "Der Herr der Gerechtigkeit" mit sich selbst und ihren möglichen anderen Entwicklungen ins Gericht ging oder wie Thorgals Tochter Lupine, die in eine wilde und eine zahme Lupine gespalten wurde. So erscheint es stimmig, dass Thorgal nach überstandener Prüfung seine Tochter, die ihm optisch immer ähnlicher wird, bittet, ihm nun doch etwas mehr über ihre beiden Persönlichkeiten zu erzählen.
Stoff für eine Trilogie
Das Abenteuer ist gut und stimmig erzählt, und auch die optische Darstellung gefällt. Ein wenig hätte man sich gewünscht, dass Yann und Fred Vignaux sich etwas mehr Raum und Zeit genommen hätten. Die Geschichte des Eremiten von Skellingar hätte ausreichend Stoff für eine Trilogie gehabt und hätte sich in mehreren Alben sicher auch besser entfalten können. Mag sein, dass Thorgals Freiheits- und Toleranzpathos an einigen Stellen etwas hohl schallt, aber ... so ist er nun einmal. Es ist auf jeden Fall ein Album, das sich gelohnt hat und das um einiges besser ist, als die groß angelegten Orient-Verwickelungen und weit ausgebreiteten Erzählungen über Aniels Herkunft, Vorgeschichte, Entwicklung und Rettung.
Fazit: Ein gutes bis sehr gutes Thorgal-Album, das nach den orientalischen Verwirrungen wieder mit der Serie versöhnt. Vielleicht wäre eine Trilogie für dieses Abenteuer besser gewesen, aber als Einzelband ist es auch durchaus gelungen. Sehr erfreulich.
Thorgal 37: Der Eremit von Skellingar. Text: Yann, Zeichnungen: Fred Vignaux. Bielefeld: Splitter. 2020. 48 S., Euro 15.
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© Petra Hartmann