Und hier das letzte Viertel meines Leserückblicks auf 2012. In den Monaten Oktober bis Dezember standen vor allem phantastische Sachen auf dem Programm. Und dank meines Herbsturlaubs auf Helgoland hatte ich auch mal wieder Muße für dickere Schinken. Viel Spaß beim Lesen.
Oktober
Ulrike und Michael Stegemann: Weihnachtsmann auf Diät
Andrea Tillmanns: Der kleine dicke Pinguin
Ludolf Wienbarg: Tagebuch von Helgoland
Der Helgolandklassiker schlechthin. Und eigentlich habe ich meine erste Helgolandreise im Jahr 1997 auch nur unternommen, um Ludolf Wienbargs Insel kennen zu lernen. Wenn ich auf dem roten Felsen bin, gehört das "Tagebuch" auf jeden Fall ins Handgepäck. Das Vorwort kann ich fast auswendig. Die Geschichte von der kolossalen steinernen Sphinx und Forsetis rotem Altar, die hohen Wellen beim Ausbooten, die Badegästin mit den zierlichen Taschenthermometern en miniature ... Wirklich Wienbargs bestes Buch. Ein Buch, durch das der Seewind weht. Wenn ich mal ins Exil gehen müsste, diese Insel wäre nicht die schlechteste Ruhestätte, und das Tagebuch müsste mit ...
Antonia Michaelis: Solange die Amsel singt
Unheimliche Geschichte um einen reisenden Handwerksburschen, der in einem seltsamen Häuschen im Wald bei drei Mädchen unterkommt. Ein alter Entführungsfall. Zwei Morde. Wahnsinn und Geister aus der Vergangenheit. Wem kann der junge Man noch trauen? Sein Leben ist in höchster Gefahr ... Antonia Michaelis mal nicht von ihrer märchenhaften, sondern von ihrer bösen Seite. Was für ein Thriller!
Michael Böhnhardt: Das Luftschiff des Doctor Nikola
Suzanne Collins: Die Tribute von Panem II: Gefährliche Liebe
Suzanne Collins: Die Tribute von Panem III: Flammender Zorn
Nicht unbedingt schlecht geschrieben, die Folgebände fallen jedoch im Vergleich zum ersten Teil etwas ab. Wieder sehr grausam. Dass Prim am Ende stirbt, fand ich etwas an den Haaren herbeigezogen. Na gut, man kann's lesen, spannend ist es allemal.
Gundula Hubrich-Messow: Sagen und Legenden von der Insel Helgoland
Auch schon mehrfach gelesen. Diesmal habe ich das schmale Bändchen für meinen Aufsatz "Geisterstunde auf Helgoland", der in der Dezember-Elfenschrift erschienen ist, als Quelle benutzt. Einiges stimmt fast wörtlich mit Wienbarg überein, nur dass der älter ist. Wienbarg ist aber nicht als Quelle angegeben. Wenn man bedenkt, dass der Jungdeutsche das Buch 1838 veröffentlichte und sich der Vorfall mit dem spukenden Offizier ein Jahr zuvor zugetragen haben soll, dann muss wohl Wienbargs Tagebuch das Original sein und eine von Hubrich-Messows Quellen den alten Wienbarg-Text übernommen haben. Ich müsste mal in die Archive steigen und nachschaun, wer da geklaut hat.
Achim Hiltrop: Gallaghers Mission
Enthält die Romane:
Gallaghers Sturm,
Gallaghers Schlacht und
Gallaghers Sieg
und die Kurzgeschichte Krise auf Smirus
Schöne dicke Hardcoverausgabe, die mir auf dem BuCon in die Hände fiel. Drei spannende Weltraumabenteuer um einen Söldner und sein eigenwilliges, sprachbegabtes Raumschiff, das zu allem seinen Senf dazugeben muss. Die Dialoge zwischen Kommandant und dickköpfiger Maschine machen Spaß, vor allem als Trigger auch noch eifersüchtig auf Clous neue Freundin wird. Manchmal passieren etwas seltsame Zufälle, zum Beispiel als Clou einen jungen Mann trifft, der ihm helfen will und sich später als Neffe eines einflussreichen Mafiabosses entpuppt. Aber alles in allem eine gute Urlaubslektüre. Ich habe mich dabei keine Sekunde gelangweilt.
Bartholomäus Figatowski (Hrsg.): Der Basilikumdrache
Steve Gerlach: Rage
November
Meta Schoepp: Schiff auf Strand
Historischer Roman über Jakob Andresen Siemens, der das Helgoländer Seebad gründete. Sehr anschaulich schildert Meta Schoepp das harte Leben der Insulaner, deren einzige Nahrungsquelle, das Lotsenprivileg, zu schwinden droht. Ein Roman, der die bittere Armut, den mutigen Kampf mit der See, aber auch die Schattenseiten des Insellebens, etwa den hohen Alkoholkonsum, sehr deutlich zeigt. Die Autorin hat sich auf Helgoland nicht viele Freunde gemacht mit diesem Roman, in dem die Scheelsucht und die Gehässigkeit, mit der sich die Nachbarn gegenseitig belauerten, eine große Rolle spielt. Jeder, der etwas anders macht als die anderen, jeder, der auch nur einen Millimeter vom seit Jahrhunderten gegebenen Handlungsmuster abweicht, wird gnadenlos ausgestoßen aus der Gemeinschaft. Vor diesem Hintergrund zeichnet die Autorin den eigenwilligen, etwa düsteren Charakter des Schiffsbauers Siemens, der seine Vision eines Seebades zur Ernährung der Helgoländer Bevölkerung in die Tat umsetzen will. Ein sehr harter, realistischer Roman mit vielen Ecken und Kanten. Am Ende ist das Seebad gegründet, die Helgoländer haben eine neue Erwerbsquelle und müssen nicht mehr hungern, aber für Siemens gibt es kein Happy End. Lesenswert. Und auch das sehr ausführliche Nachwort, das sich auf die Spurensuche begibt und die dürftigen Informationen über die Autorin zusammenfasst, kann sich sehen lassen. Gehört in die Reisebibliothek jedes Helgolandfahrers.
Mitch Walking Elk: There will be no surrender - Ich werde mich nie ergeben
Lebensgeschichte eines Cheyenne-Musikers, der als Kind in eine weiße Schule zur Umerziehung von Indianerkindern gesteckt wurde. Eine Abrechnung mit dem Boardingschoolsystem, die zeigt, wie ein Volk systematisch ausgerottet und seiner Kultur beraubt werden sollte. Walking Elk erzählt, wie er mehr und mehr auf die schiefe Bahn geriet, erzählt von Gefängnisaufenthalten und Drogenkarriere, aber auch, wie er schließlich durch seine Musik und durch den spirituellen indianischen Weg aus der Abwärtssprirale herausfinden konnte. Sehr eindringlich und lesenswert.
Xenophon: Anabasis (Reclam)
"Thalatta! Thalatta!" Die Geschichte vom Zug der Zehntausend in einer gut kommentierten Übersetzung. Ein paar Kernstellen kannte ich schon aus dem Griechischunterricht. War gut, das mal im Zusammenhang zu lesen.
Mick Zoch: Tiffany
Endlich mal wieder ein erotischer Roman ohne charismatische blutlose Untote mit langen Eckzähnen. ;-) Die Geschichte eines 19-jährigen Ich-Erzählers, der sich in eine 14-Jährige mit prächtigem Busen verliebt. Sehr gut getroffen der leicht arrogante Tonfall eines angehenden Philosphiestudenten, der viel gelesen hat und glaubt, schon jetzt die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Drogen, Medikamentenmissbrauch, die ersten sexuellen Erfahrungen der jungen, langsam selbstbewusster werdenden Tiffany. Das alles ist recht gelungen. Etwas unglaubwürdig, dass weder seine noch ihre Eltern jemals eine Bemerkung über das doch recht junge Alter der Titelheldin machen und den Erzähler zu etwas Verantwortungsgefühl ermahnen. Zumindest ein kumpelhaftes "Ich gehe davon aus, dass du weißt, was du tust" wäre ja wohl angebracht. Ein paar überflüssige Disco-Dialoge hätte ich gestrichen, das dramatische Ende kommt etwas plötzlich, und ein Korrekturleser hätte dem Buch gutgetan. Ansonsten: Falls ihr es in einem Antiquariat mal in die Finger bekommen solltet, greift zu.
Windfänger und andere Begegnungen
Schmale, gut in der Hand liegende Lyrik-Anthologie aus dem Sperling-Verlag. Das Coverbild und das Format gefallen mir sehr. Die Texte sind sehr unterschiedlich, ein paar echt tolle Gedichte, ein paar nicht ganz so gute und eines von mir.
Mark Brandis: Der Pandora-Zwischenfall
Eine Neuauflage für den "Homo Factus": Die Menschheit greift nach den Sternen, doch da der Weg so weit ist und der Flug so lange dauert, soll als "Stellvertreter" des Homo sapiens ein neues humanoides Kunstwesen auf die Reise gehen und die Expansion des Erdenvolkes vorantreiben. Mark Brandis ist als Ausbilder der "Muster" mit im Team und soll seine Schützlinge zu perfekten Piloten machen. Erst läuft alles großartig. Eine Freude für jeden Lehrer, so gelehrige Schüler zu haben. Doch bald stellt sich heraus, dass beim Konstruieren der Kunstmenschen einige angeblich unwichtige und schwächende DInge weggelassen worden sind, die den Menschen erst zum Menschen machen: Gefühle und Ethik sind im Programm dieser überlegenen Wesen nicht vorgesehen. Der Versuch, die Reißleine zu ziehen, bevor sich die neue Rasse ins All verbreitet, führt zur bewaffneten Auseinandersetzung im Weltall ...
Der Roman ist spannend und mitreißend geschrieben, wird erneut getragen von der Mark-Brandis-Ethik und vom humanistischen Weltbild der "Windjammerzeit" des Menschseins ... Etwas unglaubwürdig und ärgerlich allerdings, wie blauäugig Brandis auf zwei der Kunstmenschen vertraut, weil er bei ihnen die menschliche Regung der Dankbarkeit voraussetzt. Als ob man es nicht hätte kommen sehen.
Storm IV: Die grüne Hölle
Storm und Rothaar in einer Dschungelwelt und auf den Spuren einer darunter liegenden, hochentwickelten Zivilisation. Erneut ein beeindruckend gezeichneter und erzählter Comic-Klassiker in einer exquisiten Aufmachung.
Valerian & Veronique 11 (7): Das Monster in der Metro
Valerian & Veronique 12 (8): Endstation Brooklin
Valerian & Veronique 13 (9): Die Geister von Inverloch
Valerian & Veronique 14 (10): Die Blitze von Hypsis
Die Raumzeitagenten sind in der Gegenwart, also auf der Erde der 1980er Jahre, unterwegs. Herrlich humorvoll und dabei nachdenkliche Geschichten, die ihren besonderen Reiz durch die realen Hintergründe erhalten. Sehr erhellend die Gegenüberstellung von Fotos aus Paris und der Comicfassung der Schauplätze. Einfach zauberhaft.
Dezember
Mark Brandis: Metropolis-Konvoi
Der letzte Streich des Diamant-Asteroiden Ikarus: Beim erneuten Versuch, den Himmelskörper in Erdnähe zu schleppen, ereignet sich ein Unfall, und die Erde wird von einer undurchlässigen Wolke aus Weltraumschutt umgeben. Kein Sonnenlicht dringt mehr durch, die Landwirtschaft liegt darnieder, Ernten werden vernichtet, und der Kampf um die letzten Lebensmittel beginnt. Dabei zeigt sich auch, wie brüchig das Kunstgebilde EAAU ist: Der Staatenverband der Europäisch-Amerikanisch-Afrikanischen Union fällt auseinander, vor allem bricht die Versorgung der Hauptstadt Metropolis zusammen. Auf den Kontinenten ist sich jeder selbst der Nächste, und auch Lebensmitteltransporte aus dem All - immerhin gibt es noch die Kolonie auf der Venus und einen Außenposten auf dem Mars - sind allenfalls spärlich. Da bekommt Mark Brandis eine geheime Nachricht vom Uranus. Er soll einen Lebensmittelkonvoi leiten. Allerdings sind auch die Raumpiraten auf den Transport scharf ... Spannendes Abenteuer in bewährter Brandis-Qualität, lesenswert.
Ingeborg Bachmann: Anrufung des großen Bären
Einer ihrer beiden bedeutendsten Gedichtbände. Herb, zurückhaltend und trotzdem sehr ausdrucksstark. Das Ganze in einer schön aufgemachten Taschenbuchausgabe. Hat sich gelohnt.
Joachim Ringelnatz: Die Schnupftabackdose
Joachim Ringelnatz: Turnergedichte
Joachim Ringelnatz: Kuttel Daddeldu oder Das schlüpfrige Leid
Joachim Ringelnatz: Die gebatikte Schusterpastete
Joachim Ringelnatz: Taschen-Krümel
Joachim Ringelnatz: Geheimes Kinder-Spiel-Buch
Joachim Ringelnatz: Kinder-Verwirr-Buch
Schöne Hardcover-Ausgabe im Anaconda-Verlag, da konnte ich nicht gut dran vorbeigehen. Weiß gar nicht, wo meine alte Ringelnatzausgabe geblieben ist ... Jedenfalls war es ein schönes Wiedersehen mit der Schnupftabackdose und dem Briefmark, und natürlich passte das Weihnachtsfest des Seemanns Kuttel Daddeldu sehr gut in die Jahreszeit. Hat mir Spaß gemacht.
Voltaire: Candid (Reclam)
O weh, der arme Leibniz, was hat man hier aus seiner besten aller möglichen Welten gemacht. Candids Abenteuer sind schröcklich, aber dabei sehr amüsant zu lesen. Der Roman gehört völlig zu Recht ins Klassikerregal, wenn mir persönlich auch der Tonfall manchmal etwas zu selbstgefällig und gewollt witzig erschien. Aber auf alle Fälle lesenswert.
Antje Babendererde: Starlight Blues. In der Kälte der Nacht
Kriminalroman um einen indianischen Detektiv, der ein über zehn Jahre zurückliegendes Verbrechen aufklären muss. Ein junger Cree-Indianer wurde damals weitab jeder Siedlung erfroren im Schnee gefunden. Bei den neuen Ermittlungen wird schnell klar, dass damals einiges nicht mit rechten Dingen zuging. Eine oberflächliche Obduktion, verschwundene Fotos, keine Spurensuche am Fundort der Leiche, Polizisten, die nicht reden wollen. Und das Schicksal des erfrorenen Jungen scheint kein Enzelfal zu sein.
Sehr spannender, sachkundiger und gut recherchierter Roman nach einer wahren Begebenheit. Empfehlenswert.
Sonja Klima: Beziehungskisten. schonungslos und hoffnungsvoll
Ein schmales aber gehaltvolles Heft einer Hildesheimer Autorin, das ich kürzlich auf einer sehr gelungenen Lesung mitnahm. Liebevoll illustriertes Bändchen mit Lyrik und Kurzprosa rund um das Thema "Beziehungen", eine schöne Lektüre, auch wenn es natürlich noch schöner ist, sich die Texte von Sonja Klima selbst vorlesen zu lassen ...
Detlev von Liliencron: Gedichte (Reclam)
Nicht ganz mein Fall. Ich fand ein paar seiner Balladen wie "Trutz, Blanke Hans" oder "Pidder Lüng" sehr schön und dachte, in dem Reclamheft gäbe es mehr davon. Aber der Mann verbreitet sich für meinen Geschmack beim Dichten zu sehr über das Dichten selbst, mault über Leute, die ein bestimmtes Versmaß erwarten, kommentiert ständig, was er da schreibt, und dichtet sehr privat an andere Autoren. Einfach zu viel Metalyrik. Und der Rest hat mich auch nicht gepackt. Das mag lesen wer will, mir hats nicht gefallen.
Martha Schlinkert: Maxis erstes Jahr im Internat
Altes Kinderbuch, das mir auf einem Flohmarkt in die Hände gefallen ist. Ich hatte vor ca. 30 Jahren die Geschichte "Maxi kämpft um Niki" gelesen und fand's damals gar nicht so schlecht. Hier also die Vorgeschichte dazu. Nun ja, man hat sich inzwischen weiterentwickelt. ;-)
Erin Hunter: Warrior Cats I: In die Wildnis
Geschichte einer Hauskatze, die in die Welt des Waldes und der wilden Katzenclans gerät und sich schließlich als Krieger beweisen muss. Schönes, spannendes Jugendbuch, das einmal mehr beweist, dass sich ein Leser auch mit nicht-menschlichen Helden problemlos identifizieren kann. War gut.
Hörbücher
Linda Budinger: Herz aus Stein
Meine aktuelle Lektüre:
Storyolympiade: Masken
Große Geschichten vom kleinen Volk
Gunnar Kunz: Ruf der Walküren
Dazu nächstes Jahr mehr ...
Jahresrückblick I: Januar bis März 2012
Jahresrückblick II: April bis Juni 2012
Jahresrückblick III: Juli bis September 2012
© Petra Hartmann