Der Schriftsteller Reimer Boy Eilers holt aus zu einem Groß-Epos: "Mit Magellan" nennt er seinen umfangreichen Fahrtbericht, der sich die Weltumseglung Fernando Magellans zu Thema gesetzt hat. Wobei der erste Band, "Die Ausfahrt" genannt, weit entfernt von Sevilla beginnt, in einer Gegend, die der portugiesische Kapitän in Spaniens Diensten ganz sicher nicht bereist hat: Der Ich-Erzähler Pay Edel Edlefsen erleidet Schiffbruch auf dem Weg von Helgoland zum Festland und wird durch ein eigentümliches Schicksal an Bord der Armada verschlagen.
Der Held des Buches ist den Lesern bereits aus Eilers' Buch "Das Helgoland, der Höllensturz" bekannt. Der junge Fischer Pay Edel (der helgoländische Vorname wird ausgesprochen wie "Poi", erklärte der Autor in einer Lesung) ist zusammen mit seinem Vater in seiner Schaluppe "Die kleine Liebe" von Helgoland in Richtung Elbmündung unterwegs, als ihm der Klabautermann erscheint und ihn warnt. Kurz darauf gerät das Boot in einen Sturm und wird zerschlagen, der Vater ertrinkt, einzig Pay wird rechtzeitig von der Besatzung eines Kaufmannsschiffs aus dem Wasser gezogen. Doch das Schiff ist auf dem Weg nach Amsterdam, und der Kapitän denkt gar nicht daran, wegen eines Schiffbrüchigen seinen Kurs zu ändern. In Amsterdam hat Pay noch mehr Pech, denn er wird unter Vorspiegelung falscher Tatsachen auf ein Schiff nach Sevilla gelockt. Und dort schließlich kann er dem drohenden Tod nur entrinnen, indem er sich als Matrose für Magellans nicht weniger todgefährliche Reise verschreibt. Der 522 Seiten starke Auftakt zu einem Mega-Epos. Und schon der gewaltige Untertitel macht deutlich, dass man es mit etwas Wuchtigem zu tun bekommt. Der vollständige Buchtitel lautet:
"Mit Magellan Oder wie ein friesischer Fischer ein Unglück auf See hat und anschließend für dumm verkauft wird, so dass er in Sevilla landet und gezwungen wird, sich bannig schlau zu machen und um die Welt zu segeln, wenn er sein Hilliges Eiland und die Jungfer Peerke wiedersehen will. Ein Lied der See, der Liebe und des Wissensdurstes. Reise um die Welt in drei Teilen."
Reimer Boy Eilers gibt sich nicht mit Kleinigkeiten ab.
Wiedersehen in Amsterdam
Freunde von Eilers' Roman "Das Helgoland, der Höllensturz" werden sich freuen, einen alten Bekannten wiederzutreffen: Denn Pay begegnet seinem Freund, dem "Esquimeaux" Qivitoq, in Amsterdam wieder. Der Inuit, oder besser Halb-Inuit, hatte damals Helgoland verlassen, wo er auf der Reise von Kopenhagen nach London gestrandet war. Er ist noch immer auf dem Weg nach London, wo er seinen Vater suchen will. Vorläufig ist der Seehundjäger aber ebenfalls weit entfernt davon, den Weg nach England zu finden. Auch er wird betrügerischerweise für das Schiff nach Sevilla angeheuert, das man ihm als Fahrtgelegenheit nach London verkauft hat.
Außer mit dem jungen Seehundjäger befreundet sich Pay unterwegs mit einem weiteren weitgereisten und exotischen Teilnehmer der geplanten Weltumseglung: Der Gelehrte Nureddin al Gharb ist ein getaufter Araber, hochgebildet und vor allem durch seine Fähigkeiten als Kartograph für Magellan von außerordentlichem Wert. Wobei das ungleiche Trio eigentlich ein Freundesquartett ist: Denn ein Amsterdamer Straßenhund, den Pay auf den Namen Nimmersatt tauft, hat einen Narren an dem Helgoländer gefressen und läuft ihm seit ihrer ersten Begegnung nach. Nimmersatt ist ein sehr kluges, treues Tier, das durch eine ungewöhnliche Wendung für Pays relativ gute Beziehung zu einem spanischen Komtur verantwortlich ist. Und, ebenfalls ungewöhnlich: Das Tier reist ihm bis Sevilla nach und erhält, eben Dank der guten Beziehungen, sogar die Erlaubnis, mit an Bord des Weltumseglers zu gehen.
Ein dicker Reisebrief nach Helgoland
Pay erzählt umständlich, ein bisschen püttjerig, spinnt einen sehr langen Faden in seinem Reisebericht. Das Ganze kommt daher als ein dicker Brief, den der Helgoländer an seine Braut, Jungfer Peerke auf dem roten Felsen, schreibt. Was es damals im Jahr 1519 an Porto gekostet haben mag, einen solchen Ziegelstein, der ja auch erst der erste Band der Reiseabenteuer ist, davon hat der Held offenbar noch keine Vorstellung. Es ist der Tonfall eines Menschen, der im Erzählen noch ungeübt ist, aber gleichwohl viel erlebt hat. Und Pay muss im Vorfeld so einiges erklären. So sind dem eigentlichen Reisebericht, der erst auf Seite 103 beginnt, zahlreiche Überlegungen Pays zu der Frage vorgeschaltet, was einen Menschen überhaupt in die Welt hinauszieht, was Malakka, Thule, die Dominikaner oder die Herkunft von einer Insel überhaupt bedeuten. Pay greift bereits voraus auf die Zeit, als er als Gefangener, der Meuterei beschuldigt, am Strand in Ketten sitzt und seine Memoiren in den Sand schreibt. Ereignisse, die im ersten Band noch gar nicht berichtet werden. Und Pay erklärt, wieso er überhaupt schreiben kann. Denn als er seine vertrackten drei Kreuze unter den Heuer-Kontrakt zur Fahrt nach Sevilla setzte, befand er sich noch im ahnungslosen Stand des Analphabetentums. Immer wieder erzählt er, wie er bei Nureddin al Gharb das Schreiben und auch viele andere Wissenschaften erlernte. Wenn er im Verlauf seines Berichts schwierige Wörter benutzt oder komplizierte Hintergründe und Zusammenhänge schildert, so erklärt er stets, damals habe er das alles noch nicht gewusst, sein Lehrer hätte ihm dies beigebracht.
Detailreich und gründlich recherchiert
Reimers hat für seinen Roman offenbar ausgiebig und gründlich recherchiert. Viele kleine Details führen den Leser ein in die Welt des 16. Jahrhunderts und in die Gepflogenheiten der unterschiedlichen Stände und Stadtbürgerschaften. Das unrühmliche Gerberhandwerk, zu dem Pay in Amsterdam seine Zuflucht nimmt, kitzelt den Leser geradezu mit seinem Uringestank in der Nase. Man lernt Seemannsbrauch und Heiligenverehrung jener Zeit kennen, erfährt etwas über den Stand der Karthografie und das Wissen der Welt. Einzelheiten wie die brennende Insel Madeira, auf der die Portugiesen Brandrodung betrieben, machen das Buch zu einer schönen Fundgrube historischer Details. Ein bisschen daneben gelegen hat der auf Helgoland aufgewachsene Autor allerdings, als er Pay von der Cuxhavener Kugelbake schreiben lässt. Denn die erste Kugelbake wurde erst 1703 errichtet.
Langgedicht als Schlusskapitel
Das Buch ist alles andere als ein schnell und oberflächlich konsumierbarer Abenteuerroman. Auf die etwas umständlich, bewusst verlangsamende und auch manchmal abschweifende Art Pays und den die Sprache der frühen Neuzeit spiegelnden Tonfall muss man sich schon einlassen. Und auch das Schlusskapitel, in dem Pay einen Text seines Freundes al Gharb präsentiert, verlangt dem Leser einiges ab. Unter dem Titel "Die Abschiedsmesse" hat der maurische Gelehrte nämlich ein kleines Versepos oder ein Langgedicht über die kirchliche Zeremonie zum Aufbruch der Schiffe" verfasst. Zitate, die jeweils unter den Kapitelüberschriften stehen, runden die Vielstimmigkeit dieses Reisebriefes ab. Und wenn dann auch noch der Esquimeaux Qivitoq hinzukommt, für den jedes größere Säugetier ein "Hund" ist und der an jedes Substantiv ein -mik anhängt wird der bunte Tonfall des Buchs perfekt.
Fazit: Umfangreicher, gründlich recherchierter Auftaktband eines noch umfangreicheren Reise-Epos. Detailreich, vielstimmig und lehrreich. Lesenswert, macht Lust auf Teil II.
Reimer Boy Eilers: Mit Magellan. Band 1: Die Ausfahrt. Von Hilligen Eiland nach Sevilla. Freiburg: Kulturmaschinen Verlag, 2022. 522 S., Euro 19,50.
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© Petra Hartmann