
Fabienne Siegmund: Die Papierprinzessin

Ein melancholisches Märchen über die Macht des Erzählens: In "Die Papierprinzessin" schildert Fabienne Siegmund, welche Verantwortung ein Geschichtenerfinder auf sich nimmt, und erzählt von einem Schwesternpaar, dessen gemeinsame Geschichte gefährliche Folgen nach sich zieht. Aber sie zeigt auch, wie wichtig Märchen und Geschichten sind und dass es besser ist, sich ihnen zu stellen.
"Die Papierprinzessin" handelt von einer nicht mehr ganz jungen Frau namens Amelia, die alle Geschichten aus ihrem Leben verbannt hat. Amelia ist eine herbe, fast verbitterte Person geworden, sie scheut vor allem zurück, was auch nur entfernt nach einer Geschichte oder Erzählung riecht. Ihr Leben ist der Realität gewidmet, dem Pragmatismus, dem Hier und Jetzt, fern von aller Phantasie. Aber dann erreicht sie ein Anruf. Ihre kleine Schwester Matilda liegt im Koma. Nach einem Selbstmordversuch. In ihren Händen fand man einen Zettel mit dem Anfang einer Geschichte, die Amelia einst geschrieben hatte. Das Märchen über die Papierprinzessin entstand in einer Zeit, als die beiden Mädchen noch fest daran glaubten, dass eine Geschichte die Welt verändern, dass ein Märchen heilen kann. Und nun ist das alte Kindermädchen Clara überzeugt, dass nur eines Matilda aus dem Koma zurückholen kann: wenn Amelia die vollständige Geschichte wiederfindet ...
Auf der Suche nach dem verdrängten Märchen
Gegen ihre eigene Überzeugung macht sich Amelia auf die Suche nach den verstreuten Teilen ihres Märchens. Und es wird eine Reise in die eigenen Abgründe zu den eigenen Fehlern und Verletzungen. Das Märchen von der Papierprinzessin hätte die Großmutter wieder gesundmachen müssen, waren die Kinder damals überzeugt. Die Großmutter, die eine berühmte Schriftstellerin war, überlebte die Krankheit aber nicht. Kein Wunder, dass Amelie für alle Zeiten dem Geschichtenerzählen abgeschworen hat. Nur widerwillig und voller bis dahin verdrängter Angst stellt sie sich in dem Haus voller Bücher dem alten Zauber der großen Kinderabenteuer erneut. Eine Spurensuche, die sehr schmerzhaft wird. Vor allem, als Amelia klar wird, dass gerade ihr Papierprinzessinnenmärchen ihre Schwester zu ihrem Selbstmordversuch getrieben hat.
Berührendes Märchen, beeindruckend gestaltet
Fabienne Siegmund hat erneut ein traurigschönes, melancholisches Märchen über Tod und Zauber und die Liebe zum Geschichtenerzählen geschrieben. "Die Papierprinzessin" gehört zu den bezauberndsten und berührendsten Büchern, die diese Autorin der jüngsten Zeit veröffentlicht hat. Und der Art Skript Phantastik Verlag hat alles getan, um die Magie dieses modernen Märchens durch die Gestaltung zu unterstreichen. Das Buch enthält Illustrationen von Jana Damaris Reich, in denen Zeichnungen und Textcollagen das Zusammenspiel von Figuren und Druckwerk widerspiegeln. In der Geschichte selbst sind Erzähltext und Märchenmanuskript sowie Briefe und Notizen unterschiedlich gestaltet und hinterlegt. Und eine kleine Kostbarkeit sind die immer wieder ins Buch eingestreuten Zitate von Autorinnen und Autoren über die Bedeutung des Erzählens. So verwandelt sich die Suche nach dem verschollenen Märchen und die abenteuerliche Märchenreise der Papierprinzessin in eine kleine Philosophie der Erzählkunst und das gesamte Büchlein in eine inhaltlich und optisch zauberhafte Liebeserklärung an das Geschichtenerfinden. Es wäre furchtbar gewesen, wenn Amelia sich nicht auf die Suche gemacht hätte und diese Papierprinzessin verschollen geblieben wäre.
Fazit: Zauberhaftes traurigschönes Märchen über den Wert des Geschichtenerzählens und die Verantwortung des Märchenerfinders. Hintergründig, berührend und poetisch – und mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Unbedingt empfehlenswert.
Fabienne Siegmund: Die Papierprinzessin. Salach: Art Script Phantastik Verlag, 2024. 222 S., Euro 14.
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© Petra Hartmann