Hinterland
"Hinterland", inspiriert von der Musik David Bowies, ist eine literarische Hommage der besonderen Art. Spacig, düster, bizarr, abgründig-humorvoll, absurd, verspielt und getragen von der Liebe zur Musik eines absoluten Ausnahmekünstlers: Wer dieses Buch gelesen hat, fragt sich unwillkürlich, warum noch niemand zuvor auf die Idee gekommen ist. Eine Sammlung von Science-Fiction-Kurzgeschichten, die in Story und Stimmung jeweils einem oder mehreren Bowie-Songs verpflichtet sind - offenbar fand hier zusammen, was schon längst zusammen gehörte.
Das Buch vereinigt sehr unterschiedliche Texte in sich. Darin begegnet man so rührend naiven und dabei absurd komischen belebten Maschinen wie der marsianischen Roboterzivilisation in "Life on Earth?" (Anna Janas, inspiriert von "Live on Mars?") oder einem nostalgischen öffentlichen Münzfernsprecher der alten Deutschen Bundespost in "Die letzte Telefonzelle" (Tobias Bachmann, inspiriert von "No-one Calls").
Die Zombie-Apokalypse beschwört Alexandr Voinov in "Nicht Amerika" ("This ist not America"), und Markolf Hoffmann schildert in "Triptychon" (nach "The Hearts filthy Lesson") eine Zukunftswelt, in der ein Mörder straffrei ausgeht, wenn ein Gutachter die Tat als "Kunstwerk" anerkennt. Eine Geschichte mit ausgesprochen makaberen Tatort-Details, deren schrecklich-absurder Dramatik man sich schwer entziehen kann.
Ausgesprochen melodisch kommt Ernst-Eberhard Manskis Erzählung "Der Saxophonist vom Rathaus Neukölln" daher. Man hört die einsamen Saxophonklänge förmlich durch die Ruinen schweben, während der Erzähler darüber nachdenkt, warum ihm der Song "Neukölln" im Gegensatz zu "Warszawa" nie so ganz stimmig erschien, jedenfalls damals nicht, als Neukölln noch nicht in Schutt und Asche lag ...
Sehr viele Zukunftswelten der schreibenden Bowie-Fans haben einen ausgesprochen miltärischen Hintergrund. Da ist der ausgebrannte Angehörige eines Außenpostens auf einem Planeten, ein Mann, der plötzlich Katzen sieht und das Bedürfnis verspürt, das gesamte Lager niederzubrennen ("P.O.S." von Tobias Lagemann, nach "Putting out Fire"). Da ist die Geschichte eines Soldaten, der zum Attentäter wird (Nadine Boos: "Kamera(d), Action!", nach The Man who sold the World" und "Running Gun Blues"). Und, sehr gefühlvoll: "Der Anfänger" von Valérie Kreifelts (nach "Absolute Beginners"), die Geschichte eines jungen, zierlichen Mannes, der in eine raubeinige Killer-Kompanie gerät, eine Geschichte von Kampf, Töten und der beginnenden Liebe zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern.
Insgesamt ist es eine sehr musikalische und sehr persönliche Anthologie geworden. Man spürt auf jeder Seite die Liebe der Autoren zu ihrem "Inspirator". Die Geschichten sind sehr gut auf einander abgestimmt, so dass sich trotz der unterschiedlichen Stile und Stoffe eine Einheit ergibt. Ein weiterer Pluspunkt ist die großzügige Gestaltung und Ausstattung des Werks. Es gibt nicht nur biographische Informationen zu den Autoren, sondern auch zu jeder Erzählung einen kurzen Text des Verfassers, der erklärt, wann und warum ihn welches Bowie-Stück so angesprochen hat und wie es zu der Story kam.
Fazit: Eine sehr überraschende, ungewöhnliche und überzeugende Anthologie, die mit sehr viel Herzblut geschrieben wurde - und die auch noch gut gelungen ist. Auf jeden Fall lesenswert. Nicht nur für Bowie-Fans.
Karla Schmidt (Hrsg.): Hinterland. 20 Erzählungen, inspiriert von der Musik David Bowies. Nittendorf: Wurdack, 2010. 384 S., Euro 14,95.
© Petra Hartmann