Das erste Helgoländer Lesefestival (26.- 28. Oktober) war ein Erlebnis für Nestis und mich. Ins Leben gerufen hatte die zweitägige Literaturveranstaltung Kim Scheider, die mit ihrem Jugendbuch "Der rote Feuerstein" ebenfalls ihren Beitrag zur Helgoland-Literatur geleistet hat. Klar, dass ich unbedingt mit dabei sein musste. Denn mein Meermädchen Nestis ist ja auf der Insel geboren, und hier entstand in einer stürmischen Novembernacht das erste Nestis-Abenteuer: "Nestis und der Weihnachtssand".
Es begann mit einem gemütlichen Vortreffen am Donnerstagabend. Wir Autoren stießen im Restaurant "Galerie" unten im Hotel "Insulaner" (in dem ich vor zehn Jahren den Weihnachtssand verfasst hatte) mit einem Blutsekt auf die Veranstaltung an. Einige Gesichter kannte ich inzwischen aus dem Internet, von einigen Autorenkollegen hatte ich bereits Bücher gelesen. Und mit Pastor Eckhard Wallmann hatte ich vor Jahren sogar schon mal telefoniert. Damals war mein Buch "Zwischen Barrikade, Burgtheater und Beamtenpension" erschienen mit einem Artikel über die Jungdeutschen auf Helgoland, und er hatte mir einen Brief geschrieben. Interessanterweise fand er Theodor Mundts Helgoland-Briefe wesentlich toller als Ludolf Wienbargs "Tagebuch von Helgoland". Bei mir ist es gerade umgekehrt. Obwohl Mundt doch sonst mein Leib- und Magen-Autor ist. Aber Wienbarg ist einfach nicht zu toppen.
Persönlich getroffen hatte ich zuvor noch keinen der literarischen Mitstreiter. Komisch eigentlich, die anderen hatten teilweise ähnlich viele Inseljahre auf dem Buckel wie ich.
Krimilesung mit Thomas Breuer und Marion Hinz
Zum spannungsvollen Start des Festivals gab es danach Kriminelles vom roten Felsen. Thomas Breuer las aus "Leander und der Lummensprung" vor, und von Marion Hinz gab es zwei Kurzkrimis, die auf der Insel spielten. Besonders bei "Tod einer bösen Frau" konnte man den Täter ja sooo gut verstehen.
Lyrische Liebeserklärung von Chris Runge
Der Freitag bot ein volles Programm. Den Auftakt machte Chris Runge. Sie las am Fahrstuhl aus ihrem Lyrikband "Liebe, Sehnsucht, Herzheimat" vor. Ja, Buntsandsteinmangel ist eine schwere Krankheit. Und wenn man nur für ein paar Stunden nach Helgoland kommt und gleich wieder abfahren muss, das tut sicher weh. Ein sehr dünnes Gedichtbuch im Hosentaschenformat, aber prall gefüllt mit Liebeserklärungen an den roten Felsen.
Mit Kim Scheider von Helgoland nach Atlantis
Kim Scheider las auf der "MS Helgoland" aus ihrem Buch "Der rote Feuerstein" vor. Ein Junge und eine Fee, die in den Bunkeranlagen in eine Falle getappt sind und nicht das richtige Portal nach Atlantis erwischt haben, landen in einer Albtraumwelt ...
Es schloss sich die Ehrung der Preisträger an, die beim Helgoland-Schreibwettbewerb gewonnen haben. Obwohl es erst kritisch aussah mit der Fähre, konnten doch alle Preisträger auf die Insel kommen und ihr Buchpaket in Empfang nehmen. Die Siegergeschichten sind im Helgoland-Litera-Tour-Führer abgedruckt. Den habe ich bei der anschließenden Mini-Buchmesse im Rathaus natürlich erstanden, und ich habe daraus unter anderem gelernt, dass es einen Lakritz-Äquator gibt.
Reimer Boy Eilers spricht mit Seezungen
Nach der Messe las Reimer Boy Eilers aus seinem Erzählband "Goethe, Glück und Helgoland" und der Gedichtsammlung "Sprechen mit Seezungen" vor. Das Prosa-Werk kannte ich schon in der eBook-Fassung, den Gedichtband habe ich mir angeschafft. Der Autor ist gebürtiger Helgoländer und machte aus seinem Ärger keinen Hehl, dass die Bewohner der Insel nicht mehr unten am Felsen entlang zur Langen Anna gehen dürfen. Und dann erzählte er noch von einer versteckten Höhle im Fels, in der er und seine Freunde in ihrer Kindheit gespielt haben. Die Höhle sei wohl noch da ...
Am Abend stellte der ehemalige Pastor Eckhard Wallmann sein Buch "Helgoland - eine deutsche Kulturgeschichte" vor. Die Nordseehalle war rappelvoll. Die Lesung beziehungsweise das Erzählen ging bis spät in den Abend hinein. Ausnahmsweise fuhren aber die die Dünenfähre und der Fahrstuhl an diesem Tag bis 22 Uhr.
Von Vitalienbrüdern und Meerjungkindern
Der Sonnabend war der Tag der Kinderbücher. Und des Sturms. Die Fähre musste frühzeitig zum Festland zurück, die Dünenfähre fuhr gar nicht. Daher wurde auch meine geplante Nestis-Lesung, die ja im Bungalowdorf auf der Düne stattfinden sollte, auf die Insel verlegt, sodass wir vier Autoren allesamt in der James-Krüss-Schule unsere Werke vorstellten. Keine schlechte Alternative.
Den Anfang machte heldenmütig Michael Stoffers, der sich dem quasi-mitternächtlichen Lesungsbeginn um 9.30 Uhr stellte. Er las aus seinem Buch "Unheimliche Freunde" vor, in dem Seeräubergeister, aber auch einen freche und furchtlose Mitschülerin einen zwölfjährigen Neu-Helgoländer in Angst und Schrecken versetzen. Das Buch hatte ich schon im vergangenen Jahr gelesen, nun schaffte ich mir Michaels Möwenbuch "Waldemar hat einen Traum" an.
Es folgte ein Mutter-Tochter-Duett: Elke Brachtendorf und ihre Tochter Antonella Lendi haben gemeinsam das Kinderbuch "Meerjungkind" verfasst, aus dem sie mit verteilten Rollen vorlasen. Sehr lebendig und gut aufeinander abgestimmt, dieses Team. Entstanden ist das Buch, oder zumindest die ersten Steiten, während einer stürmischen Überfahr nach Helgoland. Als Ablenkung von der Seekrankheit, wie die beiden erzählten. Eine sehr sinnvolle Therapie offenbar.
Nestis-Lesung mit Weihnachtssand und verbotener Welle
Ich war danach dran und begann erstmal ganz artig mit dem Mini-Buch "Nestis und der Weihnachtssand". Im zweiten Teil habe ich dann losgerockt und ließ die verbotene Welle durch die James-Krüss-Schule rollen. Hat Spaß gemacht. Dem Publikum auch, denke ich. Und die James-Krüss-Schule war ein perfekter Ort für die Lesung über die verrückte Mathestunde mit Haifischmusik.
Autorinnen-Auto im Parkhaus abgesoffen
Tja, das war dann auch schon der Tag, an dem ich von vielen Autorenkollegen Abschied nehmen musste, denn die meisten mussten schon wieder abfahren. Auf dem Festland hat der Sturm offenbar auch ganz schön getobt. Wie ich ein paar Tage später per SMS erfuhr, war eine Autoren-Kollegin mitbetroffen von der Parkhaus-Katastrophe in Cuxhaven: Das Parkhaus war mit Wasser vollgelaufen, und ihr Auto hat es auch erwischt. Wie gut, dass mein Wagen in Hildesheim stand ...
Drei Wochen Schreiburlaub und 30 Kegelrobben-Babys
Für mich schlossen sich noch drei Wochen Schreiburlaub und Leseurlaub auf Helgoland an. Ich habe einiges abzutippen, die Ergebnisse werdet ihr dann vielleicht irgendwann in gedruckter Form sehen. Ansonsten: Viel Sonne, viel Sturm, ein paar Möwen und andere Vögel. Knapp 30 Kegelrobben-Babys auf der Düne. Stellt euch einfach vor, dass ihr über einen wellenumtosten Strand stiefelt und dabei verdammt gut aufpassen müsst, dass ihr nicht versehentlich über schneeweiße, zweilitercolaflaschengroße Plüschtiere stolpert. 30 Meter Abstand halten ist natürlich Ehrensache, wenn man sie entdeckt. Mütter sind Raubtiere.
Stürmische Rückfahrt mit der "Funny Girl" und ganz viel Bahn-Chaos
Und falls es euch interessiert, wie ich wieder von der Insel zurückgekommen bin ...? Aaalso, am Freitag entdeckte ich den Aushang am Schreibwarenladen, dass die Sonnabendfähre nicht kommen würde. Ob am Sonntag eine Fahrt zum Festland möglich sei, könne man erst Samstag um 13 Uhr sagen. Oha, das klang nicht gut. Und am Samstag hieß es dann auch tatsächlich: Morgen gibt's keine Fahrt nach Cuxhaven. Meine Wirtin hatte zum Glück nichts dagegen, mir das Zimmer noch eine Nacht länger zu lassen. Am Montag konnte ich dann endlich meinen schweren Koffer auf die gute alte "Funny Girl" schleppen. Ein treues, braves Schiff, das ich viel lieber mag als die große "MS Helgoland". Allerdings war die Abfahrtszeit am Montag - 16 Uhr - drei Stunden später als am Sonntag. Was bedeutete, dass sich auch der Rest der Reise nach hinten verschob.
Ankunft in Cuxhaven gegen 18.30 Uhr. Kein Taxi zu bekommen, schließlich nahm mich ein freundliches Helgoländer Paar in seinem Taxi mit, ich erreichte den Bahnhof und schaffte es dank einer stuntverdächtigen Hechtrolle tatsächlich im letzten Augenblick noch in den Zug zu springen.
Die kleine Regiobahn brachte mich irgendwie nach Hamburg, was ziemlich lange dauerte. In Hamburg hatte ich rund eine Stunde Aufenthalt, den ich für den ersten Asia-Imbiss seit über vier Wochen nutzte. Die anschließende Fahrt nach Hannover war abenteuerlich. Eine durch Sturmschaden beschädigte Oberleitung vor Eschede und eine halbe Stunde Warten auf einen neuen Zugführer in Uelzen sorgten für eine Riesenverspätung. Ankunft in Hannover: 1.37 Uhr. Abfahrt des letzten Zuges nach Hildesheim: 1.34 Uhr. Und: Nein, es ist natürlich niemand auf die Idee gekommen, auf uns zu warten. Immerhin: So kam ich auch nicht in den Genuss des zwischen Algermissen und Hildesheim eingerichteten baustellenbedingten Schienenersatzverkehrs.
Ein freundlicher Taxifahrer brachte mich schließlich nach Hildesheim, wo mein kleiner Panda unversehrt und tatendurstig auf mich wartete.
Eine halbe Stunde später war ich in Sillium. Schob schnell ein paar Kilo schmutzige Wäsche in die Waschmaschine. Sichtete in der Zwischenzeit meine Emails. Dann wieder ins Auto, ostwärts, noch knapp anderthalb Stunden bis Gardelegen. Ankunft in der Hansestadt: 5.30 Uhr. Weckerklingeln: 9 Uhr. Dienstantritt in der Redaktion der Volksstimme: 10 Uhr. Punktlandung. Die Altmark hat mich wieder.
© Petra Hartmann