
Fabienne Siegmund: Moon Bird

Traurig, magisch, unverwechselbar. Einfach Fabienne Siegmund. In ihrem Romanheft "Moon Bird" zieht die Autorin erneut alle Register ihres Könnens und erzählt die Geschichte einer Frau, deren Tochter Opfer eines Sexualverbrechers wurde. Nein, Gwen zerbricht nicht daran. Nur beinahe. Die Superheldin "Moon Bird" wird geboren. Und macht sich auf, die Kinder der Stadt Corbelle zu beschützen.
Ein furchtbarer Anblick. Die junge Cassie, nur fünf Jahre alt, im Lichtkegel der Straßenlaterne auf dem Boden, den grauen Stoffelefanten umklammert. "Keine Mutter sollte ihr Kind beerdigen müssen", sagt eine Arbeitskollegin. Was man so sagt. Gwen kommt jeden Tag an der Straßenlaterne vorbei, sie steht nur 179 Schritte von ihrem Haus entfernt. Aber wenn die Kollegen schon nicht begreifen können, was in einer Mutter vor sich geht, die ihr Kind auf diese Weise verlor - mit wem könnte Gwen darüber sprechen, was sie wenige Tage später sah? Cassie, die tote Cassie, steht da, etwas durchscheinend vielleicht, aber es ist ihre Cassie.
Das Mädchen ist wieder da. Und Cassie ist sehr bestimmt, wenn sie zu ihrer Mutter sagt: "Komm mit, Mom." Immer wieder führt das Geistermädchen seine Mutter an Plätze, an denen Kinder angegriffen, verletzt, getötet oder missbraucht werden. Gwen greift ein, scheitert anfänglich, steckt viel Schläge ein, doch sie lernt zu kämpfen. Bald hat Corbelle eine eigene Superheldin. Als Moon Bird mit der Maske des Nachtschmetterlings durchstreift sie die dunklen Gassen. Nur Cassies Mörder scheint unauffindbar. Über ihn schweigt der Geist. Als Gwen ihm schließlich dennoch begegnet, kann Cassie ihr nicht zur Seite stehen ...
Fabienne Siegmund vereinigt die düster-phantastische Novellenform mit dem Genre des klassischen Superheldencomics. Ohne eine einzige Zeichnung zu sehen, hat man doch sofort Bilder einer Black Canary oder eines Batgirls vor Augen oder die dunkle Gasse, in der Batmans Eltern tot am Boden liegen. Die Autorin erzählt in ihrer unverwechselbaren, traurigschönen Sprache von so schrecklichen Dingen, dass anderen die Worte im Hals stecken bleiben würden, sie zieht den Leser in den Bann und stellt sich den dunklen Seiten hinter der Glitzerfassade der Tagwelt. Eine Geschichte, die ans Herz geht - und die jedem Leser, der etwas mehr als Prügel- und Liebessszenen von einer Erzählung erwarten, hiermit unbedingt ans Herz gelegt wird.
Das ist einfach nur ein Heft und selbst herausgebracht? Unfassbar. Unfassbar schön, unfassbar gut und optisch trotz der Schlichtheit ebenfalls ein schönes, elegantes Stück Literatur.
Eine magische, unverwechselbare Siegmund-Geschichte. Absolut einzigartig - wobei die Bezeichnung "Band 1" auf noch mehr Einzigartigkeiten hoffen lässt.
Fazit: Dunkel, magisch, traurig, schön. Fabienne Siegmund kann's einfach. Bitte mehr davon.
Fabienne Siegmund: Moon Bird. Band 1: Cassies Geist. Heft, DIN A 5, 61 S., Euro 3,99.
© Petra Hartmann
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