"Zumeist komische Gedichte" verspricht der Lyriker Jan-Eike Hornauer seinen Lesern im Gedichtband "Das Objekt ist beschädigt", der jetzt im Münchner Muc-Verlag erschien. Das will nicht unbedingt heißen, dass nun jedes Gedicht in dem gut 200 Seiten starken Band ein Schenkelklopfer ist, aber wer nicht wenigstens alle paar Seiten einmal zum Grinsen oder zumindest zum Schmunzeln bereit ist, sollte das Buch lieber nicht zur Hand nehmen.
Hornauers Themenspektrum ist breit: Von Liebe und Geschlechtsverkehr geht die Reise über Kunst, Philosophie und Politik bis hin zum Fußball. Wobei letzteres zweifellos eine Paradedisziplin des Autors ist. Mit Lust und Wortwitz entstanden Betrachtungen zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien, humorvolle Verse, die im
"DasGedichtBlog" zu lesen besonders damals, direkt nach den jeweiligen Spielen, sehr viel Spaß gemacht hat. Ein wenig geht nun mit dem zeitlichen Abstand verloren, denn diese spontanen, schnell und unter dem Eindruck der Begegnungen hervorgesprudelten Gedichte bezogen einen Großteil ihrer Kraft eben daraus, dass Zuschauer wie Autor gerade das gleiche Fernsehprogramm sahen und das gemeinsame Erlebnis noch frisch war. Ob manche Spiele und die dazugehörigen Gedichte nun dem "Ewigkeitsanspruch" eines gedruckten Gedichtbandes genügen, scheint zweifelhaft, etwa angesichts des spanischen Auftaktspiels, das mit einem einfachen "Macht nichts. / Spanien / war eben / eine Turniermannschaft" abgehandelt wird. Zeitlos und in seiner erhabenen Knappheit unvergesslich aber der Kommentar zum deutschen 1:0-Sieg gegen die USA:
"Ein Mal kräftig reingemüllert,
und schon ist die Pflicht erfüllert."
Überhaupt sind es gerade die kürzeren Gedichte, die am Ende im Gedächtnis hängen bleiben. Rekordverdächtig: das Gedicht "Kurze Anbahnungsphase", dessen Titel sogar um drei Silben länger ist als der darunterstehende Zweizeiler:
"Ficken?"
Nicken.
Ansonsten vor allem längere, balladenhafte Schilderungen des Geschlechtsverkehrs in artig geformten Kreuzreimen, Betrachtungen über die Wetterlage, die Tätigkeit eines Klosteins, die Wohnsituation in einem Schneckenhaus. Aber auch Gedanken über Bayern, Deutschland und Europa (in dieser Reihenfolge) oder über das Erwachsensein. Mal ein Buchstabensalat, zumeist jedoch ganz traditionelle Formen. Ein "Kleines Tier-ABC", in dem man ungewöhnliche Lebewesen wie den Albino-Lurch und den Zerberus findet. Schade, dass es beim Y dann doch wieder beim Yak bleibt ...
Dazwischen Verneigungen vor großen Vorbildern, mit der entsprechenden humorvollen Aktualisierung, versteht sich. Schwitters' "Anna Blume" und Hebbels "Herbstbild" finden sich, verfremdet und erneuert, wieder, es gibt Grüße an Mörike, Gernhardt, Rilke. Gleich zweimal gilt es der Lorelei, einmal in umarmenden Reimen und klassischer Balladenform, ganz im Sinne Heines und Brentanos, einmal als "Kurze Plauderei zweier junger Männer, aufgeschnappt bei Bacherach":
"Auf nem Fels wohnt Loreley."
"Sag warum!"
"Nirgendwo ein Zimmer frei!"
"Nein, wie dumm."
"Und beim Waschen hat's ihr Hemd ..."
"Sprich nur zu!"
"... gestern auch noch fortgeschwemmt!"
"So? Nanu."
"Nackt und einsam sitzt sie da."
"Ach herrje!"
"Schau's Dir an, ist wunderbar!"
"Ja, ich geh!"
Vieles ist Gelegenheitslyrik, und die meisten Texte kann man sich sehr gut laut vorgetragen vorstellen, ob auf Poetry-Slams, in Kneipen, in geselliger Runde mit Freunden, vielleicht gar beim "Public Viewing" nach einem Fußball-Ereignis. Dazu passt auch, dass die gewählten Formen meist recht traditionell sind, Knittelverse, in denen man mit einiger Übung ganz gut improvisieren kann, klassische Paar- und Kreuzreime, auch das Sonett und das ABC-Darium finden sich.
Ein seltsames und widersprüchliches Werk ist das jedenfalls. Hornauer will laut Untertitel von einer "brüchigen Welt" erzählen. Dazu passt recht gut die Covergestaltung des Buches, ein tiefer Riss geht durch die rote Umschlagfront und offenbart bereits Zeilen aus dem ersten Gedicht, "Duschbad". Der Klappentext verspricht eine "wilde Lyrikreise" und "ordentlich Chuzpe", der Dichter schreibt über Ficken, Philosophie und Fußball. Aber, um Himmelswillen, wie solide ist dieses Buch! Unter dem aufgedruckten Riss-Bild lauert ein stabiles Hardcover ordentlichster Handwerkskunst. Im Inneren sind die Gedichte fein säuberlich sortiert in die Kapitel "Liebe & Frauen", "Menschliches & Zwischenmenschliches", "Kunst & Dichtung", "Philosophisches & Politisches", "Tierisches & Alltägliches" sowie "Fuß & Ball", kein städtischer Haushaltsplan kann ordentlicher daherkommen. Es gibt sogar ein zweites detaillierteres Inhaltsverzeichnis am Ende des Buches, damit sich wirklich jeder darin zurecht findet. Und nun gar die Gedichte selbst! Ich habe lange keinen Lyrikband mehr gelesen, in dem die Verse so akkurat dem Metrum folgten und in dem Geschlechtsakte in so sauberen Reimen und ordentlichen Metren beschrieben sind. Ein bisschen "wilder" wäre nun auch nicht schlimm gewesen.
Fazit: Humorvolle, handwerklich tadellose Gedichte, vereinigt zu einem gediegenen Lyrikband, der Spaß macht. Frech im Inhalt, solide in der Form. Zerrissenheit und Brüche im Weltgefüge sollte man anderswo suchen, hier wird gedichtet.
Jan-Eike Hornauer: Das Objekt ist beschädigt. Zumeist komische Gedichte aus einer brüchigen Welt. München: Muc-Verlag, 2016. 207 S. Euro 17,95.
Weiterer Lyrikaband von Jan-Eike Hornauer:
Wenn Liebe schwant© Petra Hartmann