Pia Biundo: Alle Zeit der Welt
Mein persönliches Lese-Highlight des Jahres ist "Alle Zeit der Welt" von Pia Biundo. Vordergründig ein Science-Fiction-Roman. Unter der Oberfläche eine Begegnung von Ratio und Spiritualität, eine Suche nach Wissen, Erkenntnis und Identität. Und hoffentlich schrecke ich Liebhaber von klassischen Raumschlachten nicht ab, wenn ich sage: Es ist die schönste Liebesgeschichte des Universums.
"Alle Zeit der Welt" ist zunächst einmal die Geschichte einer Gruppe, die sich von A nach B bewegt. Konkret geht es dabei um die Besatzung eines Raumschiffs, der "Bellatrix", die einem geheimnisvollen Signal folgt: Seit rund 400 Jahren wird von einem Sender irgendwo im All eine Primzahlenfolge in Richtung Erde gesendet. Das Signal scheint näher zu kommen. Die Aufgabe der Bellatrix-Crew: Dem Sender entgegenzufliegen, das Signal zu erforschen und, nach Möglichkeit, Kontakt zu den Urhebern aufzunehmen. Steht hier möglicherweise die erste Begegnung mit einer außerirdischen Intelligenz bevor?
Die wirkliche Spannung bezieht dieser Roman jedoch aus der Figurenkonstellation und aus der Begegnung von Charakteren, die eigentlich unterschiedlicher nicht sein könnten - und sich gerade dadurch berühren.
Lieutenant Tsosie, die neue Kommunikatorin, hat schon einiges gehört über "Optimaten", die sagenhaften Zöglinge der "Kolonia Optima Ratio". Eiskalte Verstandesmenschen ohne Gefühl sollen sie sein, die alles nüchtern und rational betrachten, alles besser wissen und immer Recht haben. Dr. Jan Mikkelsen ist ein solcher Hochbegabter. Ein kühler Beobachter, der niemals Fehler macht. "Fehler" im Umgang mit Mitmenschen einmal ausgenommen. Denn auf emotionale Befindlichkeiten normalsterblicher Besatzungsmitglieder nimmt er keine Rücksicht, wenn er ihre Fehler analysiert. Was zur Folge hat, dass die Mannschaft nicht allzu gern mit ihm umgeht: "Eine Wache mit Mikkelsen", fasst es eine Kollegin Tsosies zusammen, "heißt eisiges Schweigen, weil man mit ihm absolut nicht normal reden kann; jedes Wort legt er auf die Goldwaage. Und was immer man tut, er schaut einem dabei aus zehn Metern Entfernung noch so genau auf die Finger, dass er jeden Fehler bemerkt und natürlich zu jedem seine Bemerkungen macht. Und: Er hat keinen Funken Humor!"
Doch auch Tsosie hat ihre Eigenheiten. Die Indianerin vom Stamme der Navajo ist nicht nur als Kommunikationsoffizierin eine Fachfrau für Verständigung, sie ist sprachbegabt, wortgewandt und ausgesprochen empathisch im Umgang mit ihren Gesprächspartnern, ohne dabei gleich zum profillosen "Allesverstehenkönner" ohne Ecken und Kanten zu mutieren. Als Navajo steht sie in der Tradition der "Code-Talkers", die die amerikanische Armee seit dem 20. Jahrhundert zur Übermittlung von Geheimbotschaften verwendet - und diese Tradition wurde bis ins Raumfahrtzeitalter und in die Zeit der "Bellatrix-Expedition" fortgesetzt. Als Tochter eines Medizinmanns schließlich ist sie mit spirituellem Denken vertraut und bringt in die technische Raumschiffatmosphäre damit ein sehr ungewöhnliches Element ein.
Interessanterweise ist es gerade diese spirituelle Ebene, auf der zwischen ihr und dem angeblich emotionslosen Verstandesmenschen Mikkelsen sofort der Funke überspringt. Denn auch die Optimaten der "Kolonia Optima Ratio" nutzen spirituelle Praktiken, um ihren Verstand zu bündeln und ihre Gefühle zu lenken. Eine eigenwillige Beziehung entsteht, in der Telepathie, philosophische Fragen und komplizierte 3D-Schachpartien den Ton angeben.
Auch die Nebenfiguren sind überzeugend und wirken ausgesprochen authentisch. Ob das die raubeinige Kapitänin ist oder der gehässige Informatiker, der seltsame Dreifach-Klon im Maschinenaum oder die draufgängerische japanische Pilotin. Eine besonders komplexe Wesenheit ist das außerirdische Sammelbewusstsein "Diff", mit dem es die Mannschaft bald zu tun bekommt.
Bordleben, zwischenmenschliche Konflikte und ein guter Teil Raumfahrerhumor prägen den Roman, vor allem aber die philosophischen und psychologischen Betrachtungen der beiden Protagonisten. So wird der Roman, der äußerlich relativ handlungsarm ist - wie bereits gesagt: die Geschichte einiger Leute, die sich von A nach B bewegen - zu einem von großer innerer Spannung getragenen Abenteuer, das man nicht mehr aus der Hand legen kann, bis die letzte Seite verschlungen wurde.
Vielleicht ist es unangemessen, bei der Betrachtung eines Science-Fiction-Buches von Magie zu sprechen. Ich tue es trotzdem: Dieses Buch hat sie. Und zwar reichlich davon.
Fazit: Ein magischer Augenblick im Universum, für den man sich alle Zeit der Welt nehmen sollte. Unvergesslich.
Pia Biundo: Alle Zeit der Welt. Bickenbach: Saphir im Stahl, 2012. 277 S., Euro 15,95.
© Petra Hartmann

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