Vor einiger Zeit habe ich hier das alte ossianische Epos, das Grundlage meines Romans "Darthula" war, vorgestellt. Es gibt aber noch einige weitere Bearbeitungen des Stoffs, denen ich mich durchaus verpflichtet fühle. Darum möchte ich die Gelegenheit nutzen und in loser Folge noch ein paar weiteren Bearbeitungen des Stoffs meine Reverenz erweisen. Den Anfang soll eine Verbeugung vor Karoline von Günderrode (1780-1806) machen.
Die erste Darthula meines Lebens
Tatsächlich war Karolines Gedicht die erste "Darthula", die ich je zu Gesicht bekam. Ich hatte die junge Frau, die sich im Alter von 26 Jahren erstach, durch den Briefroman "Die Günderode" von Bettina von Arnim kennen gelernt. Übrigens ein sehr lesenswertes Buch. Bettina, der funkensprühende Koboldsgeist (heutzutage würde man wahrscheinlich von einem ADHS-Kind sprechen) und die eher tiefsinnige und doch zu überschwänglichem Pathos neigende hochgebildete Stiftsdame, das gab einen ganz eigentümlichen Kontrast ab. Eine junge Frau, die davon träumte, in Männerkleidern durchzubrennen und große Taten zu vollbringen, während sie in ihrer klösterlichen Bewahranstalt für unverheiratete adlige Frauenzimmer hockte.
Kein Wunder, dass diese Dichterin sich an der Geschichte von Darthula entzündete. Die Art, wie sie sich später am Fluss das Messer ins Herz jagte, hätte gut auch in einem der ossianischen Gesänge vorkommen können.
Angesichts der Tatsache, dass sich auch der gute Werther kurz nach seiner Ossian-Lesung eine Kugel in den Kopf jagte, sollte ich wohl einigermaßen besorgt um mich sein. Tröstlich immerhin, dass sein Verfasser Goethe steinalt geworden ist.
Karoline von Günderrode: Eine doppelt depresssive Gesamtausgabe
Ich lieh mir kurz nach der Bettina-Lektüre aus der Germanisten-Bibliothek meiner Uni die - ziemlich schmale - Gesamtausgabe Karolines aus. Es war scheußlich. Nicht unbedingt wegen der Texte. Sondern weil ein superkluger Vorbenutzer der drei Bücher jedesmal, wenn im Text das Wort "Tod" vorkam, einen dicken Strich darunter gezogen und ein Ausrufungszeichen an den Rand gemalt hatte. Danke, ich hätte es allein nicht bemerkt. Kurz und gut: Das ohnehin schon hochgradig depressive schmale Oevre der Günderrode wirkte in dieser Ausgabe noch düsterer und depressiver.
Immerhin: Hängengeblieben ist bei mir doch die Erinnerung an ihr Gedicht. Die "Dar-Thula nach Ossian" steht an sehr prominenter Stelle. Der Text eröffnet den Band "Gedichte und Phantasien" (1804), ihr einziges zu Lebzeiten publiziertes Buch, das sie unter dem Pseudonym "Tian" veröffentlichte.
Ein Brief an Bettina von Arnims Schwester
In einem Brief an Bettinas Schwester Gunda schrieb sie (Rechtschreibung und Zeichensetzung original):
"Es ist ein häßlicher Fehler von mir daß ich so leicht in einen Zustand des Nichtempfindens verfallen kann, und ich freue mich über iede Sache die mich aus demselben reißt. Gestern las ich Ossians Darthula, und es wirkte so angenehm auf mich; der alte Wunsch einen Heldentod zu sterben ergrif mich mit groser Heftigkeit; unleidlich war es mir noch zu leben, unleidlicher ruhig und gemein zu sterben. Schon oft hatte ich den unweiblichen Wunsch mich in ein wildes Schlachtgetümmel zu werfen, zu sterben, Warum ward ich kein Mann! ich habe keinen Sinn für weibliche Tugenden, für Weiberglückseligkeit. Nur das Wilde Grose, Glänzende gefällt mir. Es ist ein unseliges aber unverbesserliches Misverhältnis in meiner Seele; und es wird und muß so bleiben, denn ich bin ein Weib, und habe Begierden wie ein Mann, ohne Männerkraft. Darum bin ich so uneins mit mir."
Ein Brief, der zum Psychologisieren herausfordert. Ich möchte es als Nicht-Fachfrau aber lieber bleiben lassen. Jedenfalls liefert er uns ein sehr anschauliches Bild vom Zustand der Erregtheit, in der ihr Gedicht entstand.
Hier nun also der Text - meine erste Begegnung mit dem Darthula-Stoff:
Darthula nach Ossian
Nathos schiffet durch den Strom der Woogen
Ardan, Althos, seine Brüder mit,
Erins König, Caibars Zorn zu meiden,
In geheimnißvolle Schatten kleiden
Dunkle Wolken ihren fliehnden Schritt.
Wer? o Nathos! ist an deiner Seite!
Traurig seufzt im Wind ihr braunes Haar
Lieblich ist sie, wie der Geist der Lüfte,
Eingehüllt in leichte Nebeldüfte;
Schön vor allen Collas Tochter war.
Ach Darthula! deine irren Segel
Eilen nicht dem wald'gen Etha zu.
Seine Berge heben nicht die Rükken
Und die Seeumwogten Küsten bükken
Turas Felsen schon dem Meere zu.
Wo verweiltet ihr des Südes Winde?
Schwelltet Nathos weiße Segel nicht?
Trugt ihn nicht zum heimathlichen Strande?
Lange blieb er in dem fremden Lande
Und der Tag der Rückkehr glänzt ihm nicht.
Schön, o König Ethas! warst du in der Fremde;
Wie des Morgens Strahl dein Angesicht.
Deine Lokken, gleich dem Raben, düster
Deine Stimme, wie des Schilfs Geflüster
Wenn der Mittagswind sich leise wiegt.
Deine Seele glich der Sonne Scheiden,
Doch im Kampfe warst du fürchterlich.
Brausend wie die ungestümen Woogen
Wenn vom Nord die stürm'schen Winde zogen
Stürztest du auf Caibars Krieger dich.
Auf Selamas grau bemoosten Mauern
Sah dich Collas Tochter, und sie sprach:
Warum eilst du so zum Kampf der Speere!
Zahlreich sind des düstern Caibars Heere,
Ach! und meiner Liebe Furcht ist wach.
Freuen wollt ich dein mich, deiner Siege
Aber Caibars Liebe läßt mich nicht.
So sprachst du. Jetzt haben dich die Woogen
Mädchen! und die Stürme dich betrogen,
Nacht umringt dein schönes Angesicht.
Aber schweiget noch ein wenig, Winde!
Ueberbraust Darthulas Stimme nicht!
Fürst von Etha! sind dies Usnoths Hallen?
Jene Ströme die von Felsen fallen
Sind es Ethas blaue Ströme nicht?
Hier empöret Erin seine Berge,
Ethas Felsenströme brüllen nicht.
Dennoch ruh hier an des Ufers Hügel
Denn mein Schwerd umgiebt wie Blitzes Flügel
Dich du Liebliche, du schönes Licht.
Nathos: sagt das braun gelockte Mädchen,
Niemand hat Darthula außer dich,
Denn die Freunde sind mir früh gefallen,
Las um sie noch meine Klage schallen
Hör der Trauer Stimme, höre mich.
Abend ward einst, in der Wehmuth Schatten
Bargen meines Landes Eb'nen sich,
Ueber hoher Wälder Wipfel schritten,
Einzle Lüfte, die aus Wolken glitten,
Da umgaben Trauerschatten mich.
Die Gestalten meiner Freunde gingen,
Traurig, Geistern gleich, an mir dahin.
Da kam Colla mit gesenktem Schwerdte
Seinen Blick geheftet an die Erde,
Brennend glühte noch die Schlacht darin.
»Collas letzte einzige Hoffnung sprach er;
Braungeloktes Mädchen! Truthil fiel.
Siegreich kehrt dir nicht der Bruder wieder,
Zu Selama naht Erins Gebieter,
Mit ihm Tausende im Schlachtgewühl.«
Ist des Kampfes Sohn gefallen? seufzt' ich!
Hat der lange Schlaf sein Aug verhüllt?
O! so schütze mich der Jagden Bogen
Glücklich oftmahls meine Pfeile flogen,
Tödlich für das dunkelbraune Wild.
Freud umstrahlt den Greisen. Ja Darthula!
Deine Seele brennt in Truthils Glut
Geh', ergreif das Schwerdt vergangner Schlachten!
Also Colla: seine Worte fachten,
Höher noch in mir des Kampfes Muth.
Wehmutsvoll vergieng die Nacht; am Morgen
Schimmerte im Stahl der Schlachten ich. -
Caibar saß zum Mahl in Lonas Wüste,
Als Selamas Waffengang ihn grüßte;
Seine Führer rief er da zum Krieg.
Warum soll ich Nathos! dir erzählen
Von des Kampfes schwankendem Geschick?
Ach! umsonst bedeckt von meinem Schilde,
Sank der Vater mir im Schlachtgefilde,
Und in heißen Thränen schwamm mein Blick.
Treulos zeigte da des Mädchens Busen,
Caibar mein zerrissenes Gewand;
Freundlich naht er, sprach der Liebe Worte,
Führte mich zu meiner Väter Pforte,
Aber Trauer meine Stirn umwand.
Da erschienst du, Nathos! meinen Augen,
Freundlich wie ein Abendlich Gestirn.
Caibar schwand vor deines Stahles Sprühen
Wie der Nachtgeist vor des Morgens Glühen,
Doch es wölbte Trauer deine Stirn?
Meine Seele glänzte in Gefahren,
Eh' ich dich, du schönes Licht! gesehn.
Aber unsre Segel sind betrogen,
Wolken, kommen gegen dich gezogen.
Und du wirst in ihrer Nacht vergehn.
Oscar weilest noch an Selmas Küste!
Oscar schiffe durch das dunkle Meer!
O daß Winde deine Segel schwellten!
Zittern würden dann Temoras Helden.
Friede wäre um Darthula her.
Wo wird Nathos deinen Frieden finden?
Wo Darthula! wo ist für dich Ruh?
Geister der Gefallnen! sprach Darthula;
Truthil! Colla! Führer von Selama!
Winkt ihr mir aus euren Wolken zu!
Nathos! reiche mir das Schwerdt der Tapfern,
Vater! ich will deiner würdig seyn,
In des Stahles Treffen werd' ich gehen,
Nimmer Caibars düstre Hallen sehen,
Nein! ihr Geister meiner Liebe! nein!
Freude glänzt in Nathos bei den Worten,
Die das schöngelokte Mädchen sprach:
Caibar, meine Stärke kehret wieder!
Komm mit Tausenden, Erins Gebieter!
Komm zum Kampfe! Meine Kraft ist wach!
Ja er kömmt mit Tausenden! rief Ardan;
Schreckbar tönet ihrer Schwerdter Schall. -
»Laß zehntausend Schwerter sich empören:
Usnoth soll von Nathos Flucht nicht hören,
Ardan! sag ihm; rühmlich war mein Fall.
Winde! warum brausen eure Flügel?
Woogen! warum rauscht ihr so dahin?
Wellen! Stürme! denkt ihr mich zu halten?
Nein, ihr könnts nicht, stürmische Gewalten
Meine Seele läßt mich nicht entfliehn.
Wenn des Herbstes Schatten wiederkehren,
Mädchen! und du bist in Sicherheit,
Dann versammle um dich Ethas Schönen,
Las für Nathos deine Harfe tönen,
Meinem Ruhme sey dein Lied geweiht. -
Nathos blieb gestüzt auf seinem Speere;
Schaurig pfiff der Nachtwind um ihn her
Aber bei des Morgens erstem Strahle,
Drang er vorwärts mit gezücktem Stahle,
Mit dem Führer eilt Darthula her.
Komm zum Zweikampf! ruft er Fürst Temoras!
Für Selamas Mädchen! - Caibar spricht:
Stolzer, du entflohst mir mit der Schönen,
Wähnst du, Caibar kämpft mit Usnoths Söhnen?
Nein, er kämpft mit Unberühmten nicht.
In des königlichen Nathos Augen
Glänzen Thränen; und er wendet sich
Zu den Brüdern, ihre Speere fliegen
Rache dürstend und gewiß zu siegen
Erins Reihn verwirren schwankend sich.
Da ergrimmet Caibars finstre Seele,
Und er winket, tausend Speere fliehn,
Usnoths Söhne sinken wie drei Eichen,
Die zur Erde ihre Wipfel neigen,
Wenn des Nordens Stürme sie umziehn.
Gestern sah sie noch der Wandrer blühen
Ihre stolze Schönheit freute ihn,
Heute beugte sie der Sturm der Wüste,
Sie, die gestern noch die Sonne grüßte,
Sprachlos starret Collas Tochter hin.
Höhnend naht ihr Caibar, Mädchen sahst du
Nathos Land, in fernes Blau gehüllt?
Oder Fingals dunkelbraune Hügel?
Ha! Entrannst du auch des Sturmes Flügel,
Ueber Selma hätte meine Schlacht gebrüllt.
Caibar sprachs. Da rauscht ein Pfeil, getroffen
Sinkt sie, und ihr Schild stürzt vor sie hin.
Wie des Schnees Säule sank sie nieder,
Ueber Ethas schlummernden Gebieter,
Spreiten sich die dunklen Lokken hin.
Da versammelten die hundert Barden
Caibars, um Darthulas Grabmal sich
Ihre Harfen rauschten um den Hügel,
Und es schwang sich des Gesanges Flügel,
Für der Mädchen Erins Schönste! dich!
Trauer schreitet an Selamas Strömen,
Schweigen wohnet in den Hallen nun.
Collas Tochter sank zum Schlafe nieder
O! wann grüßest du den Morgen wieder?
Schöngelockte! wirst du lange ruhn?
Weit entfernet ist dein Morgen, nimmer!
Stehst du mehr in deiner Schönheit auf;
Ach! die Sonne tritt nicht an dein Bette,
Spricht, erwach aus deiner Ruhestätte!
Collas schöne Tochter! steig herauf!
Junges Grün entkeimet schon dem Hügel,
Frühlingslüfte fliegen drüber her.
Sonne birg in Wolken deinen Schimmer!
Denn sie schläft, der Frauen Erste! nimmer
Kehret sie in ihrer Schönheit mehr.
Weitere "Fußstapfen"-Einträge:
Selim Palmgen: Darthulas gravsång / Darthulan hautalaulu
Heinrich Heine: Die Harzreise
Arnold Schönberg: Darthulas Grabgesang
Thomas Linley junior: Darthula
Franz Schubert: Ossians Lied nach dem Falle Nathos'
Johannes Brahms: Darthulas Grabgesang
Herders "Stimmen der Völker in Liedern"
Ossian/James Macpherson: Darthula
© Petra Hartmann