Vierter Teil meines Jahresrückblicks auf 2020. Diesmal ausnahmsweise nicht der letzte. Da ich im November einen exzessiven Leseurlaub gefeiert und es dabei wohl etwas übertrieben habe, hat das vierte Quartal mein Blog gesprengt, und ich musste den Dezember in einem separaten Eintrag unterbringen.
Hier also meine Lesefrüchte der Monate Oktober und November. Diesmal sind eine Menge Kinderbuch-Klassiker und Abenteuer-Bücher dabei. Ich habe mich der Abenteuer-Serie von Enid Blyton gewidmet, mehrere Bände der Oz-Serie von L. Frank Baum gelesen, drei Taucher-Abenteuer im Mittelmeer von Nikolai von Michalewsky bestanden und mich mit Horatio Hornblower und der britischen Marine befasst. Dazu Science Fiction, düstere Phantastik, etwas Belletristik und ein paar weitere Werke zur Haskala. Schaut mal rein, ob etwas für euch dabei ist.
Hinweis:
Etwaige blau markierte Texte sind herausragende Spitzenbücher, rot steht für absoluten Mist, ein (e) hinter dem Titel bedeutet, dass ich den betreffenden Text in der eBook-Version gelesen habe, und hinter den Links verbergen sich ausführlichere Besprechungen innerhalb dieses Blogs.
Oktober
L. Frank Baum: OZ - The Complete Edition (e)
- Teil 2: The marvellous land of Oz
Kostenloses Kindle-eBook mit allen 14 Oz-Folgen, ein Schnäppchen. Ende September hatte ich den ersten Teil gelesen, ab Oktober ging es dann durch weitgehend unbekanntes Terrain. Okay, ich kannte den Disney-Film. Aber bislang dachte ich, der Film sei einfach die Umsetzung von Teil zwei. Weit gefehlt: Disney bastelte sich seinen Stoff aus Teil zwei und Teil drei zusammen. Aus Stücken, die gar nicht so richtig zusammen passen.
In Teil zwei geht es um Tipetarius, genannt Tip, einen Jungen, der im Dienst der Hexe Mombi steht. Um seine Herrin zu erschrecken und sich für die miese Behandlung zu rächen, baut er in ihrer Abwesenheit eine Horrorgestalt mit einem Kürbiskopf. Die Hexe erschreckt sich allerdings nicht. Im Gegenteil: Als sie nach Hause zurückkehrt, kommt ihr die Figur gerade recht als Versuchskaninchen. Sie hat nämlich von einem zwielichtigen Zauberer eine Dose Lebenspulver erworben. Damit bestreut sie den Kürbismenschen, und Jack Pumpkinhead wird lebendig. Die Hexe Mombi ist erfreut über ihr gelungenes Experiment, aber trotzdem sauer auf Tip. Sie beschließt, ihn für seinen Streich zu bestrafen und in eine Statue zu verzaubern. Tip haut aber rechtzeitig ab. Er nimmt Jack und die Dose mit dem Lebenspulver mit. Und da beide irgendwann nicht mehr laufen können, bestreut Tip ein "Säge-Pferd" (wir würden sagen: Sägebock) mit dem Pulver und erhält so ein sehr schnelles Reittier, das obendrein auch denken und sprechen kann.
Tip beschließt, in die Smaragdstadt zu reiten und sich dort beim König Hilfe gegen die böse Hexe zu holen. Dort herrscht aktuell die weise Vogelscheuche, die der Zauberer von Oz zu seinem Nachfolger ernannt hat. Allerdings herrscht sie dort nicht mehr lange, denn Tip ist gerade eingetroffen und hat sich vorgestellt, als im Palast eine Revolution losbricht. Die Generalin Jinjur und ihre aus Frauen bestehende Gefolgschaft wollen die Männerherrschaft in Oz brechen und eine Art Amazonenstaat ausrufen. Oha, Feminismus in Oz? Allerdings ist es eher eine ziemlich alberne Frauen-Revolution. Zum einen, da Frauen wie Männer im Land sowieso gleich frei und gleich berechtigt sind, zum anderen, weil es den tussigen Frauentruppen vor allem darum geht, sich die Edelsteine der Smaragdstadt unter den Nagel zu reißen und sich damit zu schmücken.
Trotzdem: Der Vogelscheuche soll es an den Kragen gehen, die Situation ist brenzlig, doch die Vogelscheuche kann mit Hilfe seiner neuen Freunde flüchten. Er, Tip, Jack und das Sägepferd flüchten ins Land des zinnernen Holzfällers. Von dort aus kehren sie schließlich mit Verstärkung durch den Zinnmann und einen riesigen gelehrten Käfer zurück, können dank der Hilfe der verbündeten Mäuse ungesehen ins Schloss gelangen und wollen nun die Stadt zurückerobern. Doch was erst aussieht wie ein guter Plan, erweist sich als Falle. Sie werden von den Truppen Jinjurs und ihrer Verbündeten Mombi in die Enge getrieben, können aber in letzter Sekunde noch vom Turm aus flüchten, da sie sich ein besonderes Fluggerät bauen: Aus zwei Sofas, einem Besenstiel, einem Elchkopf und ein paar Palmwedeln als Flügeln entsteht der Gump, der sie durch die Lüfte ins Reich der guten Hexe Glinda trägt.
Glinda erobert zwar mit ihrer Armee die Smaragdstadt zurück und schafft Frieden zwischen Männern und Frauen, die ohnehin keine Lust mehr auf Revolution haben. Aber Glinda stellt auch klar, dass die Vogelscheuche nicht rechtmäßiger Herrscher von Oz ist. Der Zauberer habe damals den wahren Herrscher von Oz besiegt. Es gebe aber noch eine Tochter des alten Königs Oz, Prinzessin Ozma, der die Krone zustehe. Damit hat die weise Vogelscheuche kein Problem, sie ist zur Übergabe der Krone an Ozma bereit, wenn sich die Prinzessin nur findet.
Durch Drohungen schafft es Glinda schließlich, aus der bösen Mombi, die die Prinzessin damals verschwinden lassen sollte, den Aufenthaltsort Ozmas herauszubekommen. Mombi versteckte die Prinzessin auf geradezu geniale Weise: Sie verwandelte sie in einen Jungen. Es ist Tip, der auf die Information, dass er eigentlich ein Mädchen ist, nicht gerade begeistert reagiert. Doch als Glinda Ozma zurückverwandelt, erweist sich die junge Frau als hervorragende Herrscherin und wird neue Regentin von Oz.
Eine ziemlich interessante Geschichte. Es ist der bislang erste Kinderbuch-Klassiker, in dem ich von einer transsexuellen Heldin las. Außerdem interessant: Zwischen Teil 1 und Teil 2 gibt es auffallende Widersprüche: In Teil 1 hieß es noch, der Zauberer sei ins Land gekommen, habe es ohne Herrscher vorgefunden und den Bau der Smaragdstadt befohlen. Nun also soll er den Vater Ozmas vertrieben haben, der in der damals schon bestehenden Smaragdstadt herrschte. Außerdem weiß offenbar jeder in Oz, dass er ein Schwindler war. Trotzdem soll Mombi einige Zaubertricks bei ihm gelernt haben ... Seltsam.
- L. Frank Baum: Oz, Teil 3: Ozma of Oz
Der dritte Oz-Band bringt ein Wiedersehen mit Dorothy. Sie ist mit ihrem Onkel auf einem Schiff unterwegs, gerät in ein Unwetter und geht über Bord, zusammen mit einem Hühnerstall und einer Henne. Der Hühnerstall landet schließlich an einer fremden Küste, und da die Henne, Billina, plötzlich sprechen kann, weiß Dorothy, dass sie sich in einem Zauberland befindet.
Am Strand finden sie eine Warnung. Sie sollen sich vor den "Wheelers", den Radmenschen, hüten. Diese Leute, eine Art Rockerbande auf körpereigenen Motorrädern bzw. Rocker und Bike in einem Wesen, bedrohen Dorothy und Billina tatsächlich, als Dorothy einen gefüllten Picknickkorb von einem Picknickbaum pflückt. Doch die beiden flüchten in die Dünen, wohin die Räder der Radmenschen nicht rollen können. Hier finden sie den aufziehbaren Kupfermann Tik-Tok, der die Radmenschen tüchtig verprügelt und Dorothy erzählt, dass sie im Land Ev gelandet ist. Ev liegt an der Wüste, hinter der das Land Oz liegt.
Das Herrschergeschlecht von Ev wurde vom Nomenkönig verzaubert, der sie als Schmuck- und Kunstgegenstände in seinem Felsenreich unter der Erde gefangen hält. Einzig eine entfernter verwandte Prinzessin namens Langwidere ist noch frei und beherrscht das Land, allerdings interessiert sich die verwöhnte, gelangweilte Göre nur dafür, ihre zahllosen Köpfe zu wechseln, wie andere Leute ihre Hutcollection. So will sie nun auch Dorothys Kopf haben. Doch bevor es zum Showdown um den Kopf kommt, sieht Dorothy durchs Fenster etwas Merkwürdiges: Prinzessin Ozma und ihr Gefolge überqueren auf einem rollenden Teppich die Wüste. Ozma hat von der Südhexe Glinda dieses Transportmittel zur Reise durch die tödliche Wüste erhalten und will nun den Mitgliedern der Königsfamilie von Ev helfen.
Zusamen gelangen sie ins Land des Nomenkönigs. Der hatte mithilfe seines magischen Gürtels die elf Mitglieder der Königsfamilie von Ev in Krimskrams verwandelt, der nun zwischen dem gesamten Nippeszeug in seiner Schatzkammer herumliegt. Er bietet den Oz-Leuten ein Wettspiel an: Alle dürfen nacheinander in die Schatzkammer eintreten und versuchen, einen Gegenstand zu finden, der ursprünglich ein Mitglied der Königsfamilie war. Wenn der Rater das Wort "Ev" ausspricht und richtig geraten hat, wird der Zauber rückgängig gemacht, und der Mensch ist frei. Jeder darf so oft raten, wie verzauberte Personen im Raum sind. Schafft er es jedoch nicht, wird er selbst ebenfalls verzaubert. Die Ozianer willigen ein, Ozma rät zuerst, hat jedoch keinen Erfolg. Nach und nach werden alle ihre Begleiter in Schmuckstücke verwandelt und verschwinden in der Schatzkammer. Einzig Dorothy schafft es einmal, einen Ozianer zu erlösen, nämlich die Vogelscheuche, aber das nur zufällig, Dann rät sie das letzte Mal falsch und wird auch verzaubert.
Schließlich rettet die Henne Billina die Situation: Sie hat die Nacht heimlich unter dem Thron des Nomenkönigs geschlafen und dabei ein Gespräch belauscht, in dem der König erzählte, dass man die Verzauberten an der Farbe erkennen kann, sie haben nämlich die Nationalfarben ihres Landes. So erkennt und erlöst Billina unfehlbar alle Evianer und Ozianer in der Schatzkammer.
Mehr noch: Sie legt Eier, und vor Eiern haben die Nomen und ihr König eine wahre Todesangst. Dadurch wird der König erpressbar und muss die Gruppe ziehen lassen. Dorothy schafft es außerdem, dem König seinen magischen Gürtel abzunehmen, mit dem fortan Ozma zaubern kann.
Die Leute von Ev sind befreit, die Leute von Oz und Dorothy kehren zurück in die Smaragdstadt. Doch irgendwann sieht Dorothy in einem magischen Spiegel, wie ihr Onkel sich grämt, weil er denkt, sie sei ertrunken. Daraufhin bittet sie Ozma, sie mithilfe des magischen Gürtels zurückzuschicken. Dorothy selbst kann den Gürtel nicht mitnehmen, da er außerhalb des Zauberlandes in der realen Welt seine Magie verlieren würde. Ozma verspricht aber, regelmäßig in den magischen Spiegel zu schauen und Dorothy nach Oz zu zaubern, wenn sie dies wünscht.
Auffallend ist, dass sich nach Tip/Ozma nun ein zweites Wesen in Oz befindet, das eine Art transsexuelle Geschichte hinter sich hat: Die Henne Billina war nämlich in ihrer Kindheit für einen Jungen gehalten worden. Damals hieß sie Bill. Erst als sie irgendwann begann, Eier zu legen, wurde sie umgetauft in Billina.
Es gibt erneut einige Widersprüche zu den Vorgängerbänden. So ist der Löwe jetzt wieder ein Feigling, obwohl er doch damals vom Zauberer geheilt wurde. Sehr sympathisch übrigens sein neuer Freund, der hungrige Tiger. Der Holzfäller wurde nicht mehr durch die böse Hexe immer wieder so schwer verletzt, dass seine Körperteile durch zinnerne Ersatzteile ausgetauscht werden mussten, sondern nun ist es pures Ungeschick des Mannes gewesen, das zu den Arbeitsunfällen geführt hatte. Die Rückverwandlung Ozmas in ein Mädchen soll nun durch eine gute Fee bewirkt worden sein, nicht durch die dazu gezwungene Hexe Mombi. Glinda hatte in Band 2 noch gesagt, dass nur Leute mit ganz schlechtem Charakter solche Verwandlungen durchführen.
- Teil 4: Dorothy and the wizzard in Oz
Diesmal gerät Dorothy durch ein Erdbeben in ein Zauberland: Sie ist eigentlich unterwegs, um einen Onkel zu besuchen, und gerade zusammen mit ihrer Katze Eureka am Bahnhof angekommen. Ihr Cousin Zeb soll sie mit der Kutsche abholen. Plötzlich tut sich die Erde auf, und Dorothy, Eureka, Zeb und Kutschpferd Jim stürzen in die Tiefe.
Sie landen allerdings recht sanft auf einem gläsernen Hausdach. Die Bewohner der Stadt, die ganz aus Glas besteht, heißen Mangabus. Sie sind nicht gerade freundlich zu den Fremden, da sie sie für die aufgrund des Erdbebens herabprasselnden Steine verantwortlich machen. Was in einer Glasstadt ja ziemlich ärgerlich ist. Der örtliche Zauberer soll entscheiden, ob sie schuldig sind und was mit ihnen geschehen soll. Justament in diesem Augenblick kommt ein Ballon angeschwebt. An Bord: Der Zauberer von Oz, der ja am Ende von Teil 1 versehentlich mit dem losgerissenen Fesselballon davongetrieben wurde.
Der Zauberer Oz tritt mit dem örtlichen Zauberer (wizzard gegen sorcerer, die englische Sprache ist da erstaunlich vielseitig. Keiner ist ein magician) in einen Wettstreit und gewinnt diesen durch einen Trick mit neun kleinen dressierten Schweinchen und einem vergrößerten Schwert, woraufhin Oz der Scharlatan neuer Zauberer des Glaslandes wird. Allerdings soll jetzt noch der Herrscher über die Neulinge entscheiden. Der ist sehr freundlich zu ihnen, beschließt aber ihren Tod.
Die Fremden erfahren, dass die Bewohner des Glaslandes als Gartenfrüchte wachsen, so wird ihnen auch die Knolle gezeigt, aus der ein neuer Zauberer wachsen soll. Auch der Nachfolger des Herrschers, eine Herrscherin diesmal, ist schon erkennbar und eigentlich schon vollreif, sogar überreif, aber der aktuelle König will sie noch nicht pflücken lassen, da dann auch sein Leben endet. Dorothy pflückt kurzentschlossen die Königin, und tatsächlich: Die neue Herrscherin ist netter zu den Fremden und will sie nicht töten lassen.
Allerdings sollen ihre Tiere entfernt und in die "schwarze Grube" geworfen werden. Als die Katze, das Pferd und die Schweine in ein Loch im Berg getrieben werden, folgen Dorothy, Zeb und Oz ihnen. Währenddessen mauern die Magabus von außen das Loch im Berg zu. Dorothy und ihre Freunde fahren in der Kutsche durch den Berg und kommen ins Tal Voe, in dem die Bewohner sich durch das Verspeisen einer seltsamen Knolle unsichtbar gemacht haben, damit die gefährlichen Bären sie nicht finden können. Allerdings haben die Bären inzwischen auch die Knolle gefressen ...
Die Fahrt geht weiter zum Pyramidenberg, in dem ein Weg immer weiter nach oben führt. Hier werden sie von Gargoyles mit hölzernen Flügeln angegriffen und können nur mit Mühe entkommen, außerdem treffen sie einen verrückten Erfinder, der Flatterer und Knisterer erfunden hat. Flatterer kann man zum Beispiel an Flaggen befestigen, die dann trotz Windstille sehr eindrucksvoll auswehen und flattern, Knisterer dienen dazu, teure, edle Seidenkleider so richtig schön und romantisch rauschen zu lassen ...
Schließlich geraten die Reisenden im Berg in eine Sackgasse, haben keine Chance mehr, sich aus eigener Kraft zu befreien, und sind völlig verzweifelt. In dieser Situation erinnert sich Dorothy an ihre Freundin Ozma. Sie erzählt ihren Freunden: Ozma und sie hätten vereinbart, dass Ozma täglich um Punkt 16 Uhr in ihren Zauberspiegel schaut und guckt, was Dorothy macht. Wenn Dorothy ihr ein vereinbartes Zeichen gibt, wünscht Ozma sie mit dem Zaubergürtel nach Oz. (In Band 3 hatte die Vereinbarung noch gelautet, dass Ozma jeden Samstag in den Spiegel schaut.)
Die Gruppe wartet nun darauf, dass es 16 Uhr wird, Dorothy gibt Ozma das Geheimzeichen, und prompt landen alle in Oz. Dann gibt es noch ein bisschen Hin und Her im Zauberland, Wiedersehen mit alten Freunden, Festessen und so weiter, außerdem ein Wettrennen zwischen Jim und dem Sägepferd, bei dem der arrogante Kutschgaul schnell von seinem Hochmut geheilt wird. Dann ist Zeit für den Abschied, und außer dem Zauberer, der am Hofe Ozmas bleibt, wird die ganze Reisegesellschaft zurück in ihre Heimatwelt versetzt.
Interessant ist, dass es in einem Gespräch zwischen dem Zauberer, der jetzt den Namen Oz trägt, und Ozma darum geht, ob das Land nach dem Zauberer oder der Zauberer nach dem Land benannt wurde. Der Zauberer erzählt, dass seine ersten beiden Vornamen Oscar und Zoroaster sind, aus denen dann sein Künstlername Oz wurde (die Anfangsbuchstaben seiner restlichen Vornamen ergeben "Pinhead", Dummkopf, darum lässt er sie meist weg). Allerdings war "Oz" beziehungsweise die weibliche Form "Ozma" traditionell schon immer der Name der Herrscher und Herrscherinnen von Oz, wie Ozma erzählt. (Im Band 2 wurde noch berichtet, ihr Vater habe Pastoria geheißen.) Als der Zauberer Oz in Oz ankam, passte dies wohl hervorragend, und man hielt ihn anscheinend mit ein Mitglied der Königsfamilie.
Oz gilt nun wieder als Erbauer der Smaragdstadt. Und er hat angeblich noch nie zuvor etwas von Ozma gehört, obwohl er sie doch laut Band 2 verschwinden lassen hatte. Und Ozma erzählt, dass Mombi einst die böse Nordhexe (Vorgängerin der guten Nordhexe aus Band 1) war, die ihren Großvater gestürzt hatte.
Kreuzfahrt, Mord und Mittelmeer
Eine Anthologie, in der ich selbst mit einer Geschichte vertreten bin. Daher hier keine Meinung dazu. Nur soviel: Es handelt sich um eine Sammlung mit Krimi-Kurzgeschichten, die entweder an Bord eines Kreuzfahrtschiffs oder in einem der zahlreichen Häfen an der Nordküste des Mittelmeers spielen, die das Schiff ansteuert. Jeder Autor hatte eine andere Stadt als Schauplatz zur Verfügung, um dort zu morden, betrügen oder rauben. Mein Tatort war Port-Vendres. Schaut gern mal rein in das Buch.
Enid Blyton: Im Strudel der Abenteuer
- Die Insel der Abenteuer
Kinderbuch-Klassiker. Für den Urlaub hatte ich mir die Gesamtausgabe der Abenteuer-Serie besorgt. Das musste mal sein. Ich war als Kind ja ein Fan der "Geheimnis um ..."-Serie. Mit den "Fünf Freunden", deren Abenteuer ich als Cassetten-Hörspiele kennen lernte, bin ich nicht so recht warm geworden, die "Abenteuer"-Serie hatte ich als Kind zur Hälfte gelesen. Jetzt also die Komplett-Ausgabe. Ja, war gut. Vielleicht etwas voraussehbar und für Leute in meinem Alter stellenweise nicht ganz so befriedigend, aber, wie sagte es die Autorin? "Kritik von Leuten über 12 interessiert mich nicht."
Band 1, die Geschichte mit der abenteuerlichen Insel, hatte ich seinerzeit in der DTV-Ausgabe gelesen, und es war eine schöne Erinnerung. Philipp mit seiner beinahe magischen Fähigkeit im Umgang mit Tieren, war natürlich mein ganz besonderer Liebling. Jack wegen seiner ruhigen Art und vor allem wegen Kiki kam gleich danach. Aber mir war nicht ganz klar, wie blöd die beiden Mädchen tatsächlich waren. Dina hatte wenigstens noch Feuer, wenn sie mit ihren ständigen Wutausbrüchen Philipp anging. Lucy mit ihrer großäugigen Verehrung Jacks war schon ziemlich fade. Mir war damals gar nicht klar, wie sehr die Autorin die beiden Mädchen aus den gefährlicheren Szenen herausgehalten hat. Vermutlich könnte man die beiden ohne große Verluste aus der Handlung rauskürzen ...
Die Geschichte selbst ist spannend. Erzählt wird, wie die beiden Geschwisterpaare ihren großen Freund Bill kennen lernten und dann auf der geheimnisvolle Insel eine Verbrecherbande ausheben. Ja, die Altmeisterin verstand schon etwas von Spannung. Interessant auch die Darstellung des Jojo, des schwarzen Dieners auf Burg "Felseneck". Von der erst harmlosen, abergläubischen und verrückten Nebenfigur bis zum Kopf einer Verbrecherbande ...
November
Enid Blyton: Im Strudel der Abenteuer
- Die Burg der Abenteuer
Die Patchwork-Familie aus den beiden Geschwisterpaaren, Papagei Kiki sowie aus Philipps und Dinas alleinerziehender Mutter wächst langsam zusammen. Und auch Kriminalpolizist Bill ist zufällig in die Nähe, als die Familie Urlaub machen will. Die Kinder sind fasziniert von einer geheimnisvollen, anscheinend leerstehenden Burg. Und vor allem für Vogelfreund Jack ist das alte Gemäuer interessant, da hier Adler nisten. Zusammen mit einem Zigeunermädchen namens Tassie finden sie einen Weg, in die Burg einzudringen. Ich habe bei dieser und der vorangehenden Folge ziemlich viel über "Political Correctness" im Kinderbuch nachgedacht. Bei dem Schwarzen Jojo kam in der deutschen Übersetzung das "N-Wort" nicht vor, obwohl es schon eine ziemlich alte Ausgabe war. Ist die Darstellung rassistisch? Zumindest in den Szenen, als er den albernen, abergläubischen Diener spielte, ging es schon hart ans Klischee vom dummen, ungebildeten Sklaven heran. Andererseits, das war ja sehr geschickt von ihm selbst vorgetäuscht. Und in seiner Eigenschaft als Verbrecherchef war er zwar ein Arschloch, aber das hatte nichts mit seiner Hautfarbe zu tun. Schwierig, aber wohl akzeptabel. Aber wie ist das bei Tassie? Sie ist ein "wildes Mädchen", aber auch ein prima Kumpel. In einem modernen Buch würde man das Wort "Zigeunerin" sicher vermeiden. Und dass sie gebrochen Deutsch (beziehungsweise im Original Englisch) spricht und sich nicht wäscht, ist natürlich Klischee hoch zehn. Trotzdem ist sie ein toller Spielkamerad, mutig und tüchtig und ist mehr als einmal diejenige, die den Freunden aus der Patsche hilft. Wie sieht das eigentlich in den modernen Ausgaben aus? Wurde das umgeschrieben?
- Das Tal der Abenteuer
Urlaub mit Bill, ein Ausflug mit seinem tollen Dienstflugzeug - klar, dass die Kinder da begeistert sind. Allerdings setzen sie sich dann ins falsche Flugzeug. Die Maschine wird von Verbrechern gekapert und fliegt ins Ausland, die Kinder reisen unbemerkt mit. Ein etwas unwahrscheinlicher Auftakt, aber das Ganze ist spannend erzählt. Eine klassische Abenteuer-Geschichte mit Höhlen und unterirdischen Gängen - eigentlich kommt in fast jedem Abenteuer-Band ein Geheimgang vor - und einem uralten Ehepaar, das noch ältere Kunstschätze hütet. Spannend, wenn auch klassische Abenteuer-Kost, man kennt es ja.
- Die See der Abenteuer
Bill wird von einer Verbrecherbande verfolgt und soll, einer Anweisung seines Chefs zufolge, untertauchen. Das passt ihm zwar nicht, Bill würde seine Gegner lieber direkt angehen und zur Strecke bringen, aber er gehorcht. Er tarnt sich als Natur- und besonders Vogelfreund, der mit einem Motorboot eine Fahrt durch eine Insellandschaft vor der schottischen Küste macht. Und Jack, Philipp, Lucy und Dina sowie Kiki dürfen mit - als Tarnung. Allerdings wird das, was eigentlich ein Urlaub hätte sein sollen, dann doch brandgefährlich. Die Bande, die zufällig genau in diesem Inselparadies ein Waffenschmuggel-Lager betreibt, schlägt Bill nieder, entführt ihn, und die Kinder bleiben ohne Boot allein auf der Insel zurück. Natürlich schaffen sie es trotzdem, die Bande zu besiegen. Und die beiden Lunde, Schnarr und Schnauf, sind einfach liebenswürdig.
- Der Berg der Abenteuer
Ferien in Wales für die vier Kinder, Mutter/Tante Allie und Kiki. Die Kinder wollen eigentlich nur einen Ausflug in das sagenhafte "Schmetterlingstal" machen und die dortigen Schmetterlinge beobachten, aber ihr Führer verirrt sich im Nebel, und sie geraten an einen Berg, in dem es nicht geheuer ist. Im, Höhlensystem haust eine Bande eines verrückten Erfinders, der mit der Entwicklung von besonderen Fluggeräten beschäftigt ist. Die jeweiligen Testflieger überleben den Flug gewöhnlich nicht, wenn sie mit diesen gebastelten Flügeln und einem System, das die Schwerkraft reduzieren soll, vom Berg gestürzt werden. Dann kommt der Erfinder auf die Idee, statt erfahrener Piloten leichtere Menschen für seine Versuche zu verwenden. Da kommen ihm die vier Kinder gerade recht ... Skurril und mit typischem Höhlenerlebnis. Kiki beginnt zu nerven. Philipps zahmes Zicklein ist aber süß.
- Das Schiff der Abenteuer
Eines der Bücher, die ich schon aus der DTV-Ausgabe kannte. Die Freunde auf Kreuzfahrt - und auf den Spuren einer alten Sage. Ist der Plan, den sie in einem alten Buddelschiff gefunden haben, tatsächlich eine Schatzkarte, die ihnen den Weg zum legendären Schatz der Andra zeigt? Der schmierige Inselkäufer und Archäologie-Geschäftemacher Eppy, der sich Teile der Karte unter den Nagel reißen kann, ist jedenfalls überzeugt davon. Ein Wettrennen zum Schatz beginnt, bei dem die Kinder Unterstützung von ihrem großen Freund Bill haben. Trotzdem wird es lebensgefährlich. Und das Rätsel ist gar nicht so einfach zu lösen. Erst Philipps zahmes Äffchen Mickie findet den geheimen Eingang hoch oben in einer hohlen Säule. Es geht, wie üblich, tief in die Erde hinab. Übrigens: Wie ich mir ergoogelt habe, war diese Geschichte - mit Heiratsantrag Bills an Allie - eigentlich von der Autorin als Abschlussband vorgesehen. Da die jugendlichen Fans aber so begeistert waren und Nachschub forderten, legte sie noch zwei Bände nach.
- Der Zirkus der Abenteuer
Bill soll auf einen ausländischen Jungen aufpassen. Es handelt sich um einen Thronfolger eines fiktiven osteuropäischen Landes namens Tauri-Hessia, und Bill fand die Idee gut, ihn als Teil seiner Familie auszugeben und zusammen mit Jack, Philipp, Dina und Lucy zu verreisen. Nützt aber nichts: Die Verschwörer, die in Tauri-Hessia einen Umsturz planen, entführen den Prinzen und drei der Kinder gleich mit. Jack, der gerade noch hinzukommt und die Entführung beobachtet, bleibt frei. Er und Kiki folgen den Männern, gelangen an ein Flugzeug und fliegen als blinde Passagiere mit. In Tauri-Hessia angekommen taucht Jack bei einem Zirkus unter und versucht, in das Schloss zu gelangen, in dem seine Freunde und der Prinz gefangen gehalten werden. Schließlich kann er sie befreien. Und Tierflüsterer Philipp hat Gelegenheit, seine einzigartigen Fähigkeiten zu zeigen, als ein Bärenführer erkrankt und die Bären des Zirkus ohne ihre Bezugsperson vollkommen durchdrehen und gefährlich werden. Eine Folge, die ich noch nicht kannte und die neben dem "Schiff der Abenteuer" meine absolute Lieblingsgeschichte der Serie wurde.
- Der Fluss der Abenteuer
Das Buch kannte ich schon aus einer alten Hardcover-Tosa-Ausgabe. Ich hab's sehr gemocht.
Es geht um eine abenteuerliche Bootsfahrt im Orient auf dem "Fluss von Abentoa", den die Kinder natürlich prompt auf den Namen "Fluss der Abenteuer" taufen. Bill hat den Auftrag, einen Verbrecher zu beobachten und herauszufinden, ob dieser etwas tun will, was dem britischen Staat schadet. Die Kinder und Allie sollen dabei quasi als Bills Tarnung fungieren. Der Mann erkennt Bill allerdings und lässt ihn und Allie kidnappen. So machen sich die Kinder allein auf die abenteuerliche Schiffsreise den Fluss entlang, um die beiden zu retten. Dabei geraten sie in einen bisher unbekannten unterirdischen Seitenarm des Flusses und finden in einer Höhle wertvolle Kunstschätze, hinter denen Bills Kidnapper eigentlich hinterher war. (Tragisch: Als Raubgräber und illegaler Kunsthändler hätte er Bill gar nicht interessiert und wäre niemals Teil von Bills Ermittlungen geworden. Gerade durch die Entführung hat der Mann sich und seinem Unternehmen selbst das Grab geschaufelt).
Besonders im Hinterkopf geblieben ist mir damals beim ersten Lesen die tragische Geschichte von der Bargua, der Giftschlange, der man die Giftkanäle durchtrennt hatte. Damit ist das Tier zum Tode verurteilt. Philipp hegt und pflegt sie liebevoll auf der Reise, sie rettet ihm mehrfach das Leben, da man mit ihr prima Verbrecher zu Tode erschrecken kann. Am Ende kriecht sie davon und stirbt einsam. Traurig. Aber etwas, das dieses Buch aus der netten Kinderbuchwelt heraushebt.
Julius H. Schoeps: Moses Mendelssohn
Kurze, sehr kompakte Biografie, die einen guten Überblick über das Leben des Philosophen liefert. Knapp 200 Seiten, die die wichtigsten Lebensstationen nachvollziehen. Gut geschrieben und leicht lesbar. Allerdings nicht mehr im normalen Buchhandel erhältlich, ich habe es auf Amazon Marketplace fast geschenkt erhalten.
"Wie gut sind deine Zelte, Jaakow ..."
Festschrift zum 60. Geburtstag meines ehemaligen Hebräisch-Lehrers Reinhold Mayer. Erneut ein Fundstück auf Amazon Marketplace. Enthalten sind zahlreiche Aufsätze aus dem Bereich der Judaistik, es geht Archäologie, Geschichtsschreibung, Vergleiche römischen, griechischen und jüdischen Rechts, aber auch um Bibel-Exegese, um Rosa Luxemburg, Franz Rosenzweig und Martin Buber, um Antijudaismus in den Briefen des Paulus, den Holocaust und das Verhältnis von Christen und Juden. Eine sehr vielschichtige Sammlung. Für einige sehr spezielle Artikel hätte ich vermutlich etwas mehr Vorwissen gebraucht, aber es war auf jeden Fall lesenswert.
Henry Wadsworth Longfellow: Der Sang von Hiawatha
Vor sechs Jahren hatte ich das Epos schon einmal gelesen. Damals in der kostenlosen eBook-Version, inzwischen gibt es eine On-Demand-Ausgabe von Tredition, und da ich doch ein Mensch bin, der alles gern anfassen und getrost nach Hause tragen möchte, habe ich mir das Buch geholt. Es ist eine sehr angenehm in der Hand liegende und auch angenehm und sauber layoutete Ausgabe mit ordentlichem Schriftbild. Druckfehler infolge vom System falsch erkannter Buchstaben sind mir nicht weiter aufgefallen, und mit 12,90 Euro ist der Preis für den 200 Seiten starken Klassiker vollkommen in Ordnung.
Es handelt sich, wie schon beim eBook, um die alte Übersetzung von Ferdinand Freiligrath, der auch ein kurzes Vorwort dazu geschrieben hat. Freiligrath weist darauf hin, dass das Werk gelegentlich als "indianische Edda" bezeichnet wurde, aber in seiner Anlage und seinem Rhythmus eher dem finnischen Kalevala vergleichbar ist. Ein Einschätzung, die ich teile. Sowohl das Versmaß als auch die klassische Doppelgliedrigkeit der Personenbezeichnungen sind purer Kalevala-Stil. Und auch die Entstehungsgeschichte dürfte ähnlich sein: Elias Lönnrot, der Verfasser des Kalevala war ja auch eher ein Sammler von Sagen und Liedern, die er zum Groß-Epos zusammenstellte. Ähnlich sammelte wohl auch Longfellow indianische Sagen und gestaltete daraus seinen Hiawatha.
Auch inhaltlich gibt es Ähnlichkeiten. So erinnert Nokomis, Hiawathas Mutter, die aus dem Vollmond wie ein Stern vom Himmel fiel, mich sehr stark an die Himmelsjungfrau Ilmatar, den Luftgeist, der sich vom Himmel auf den Wassern niederließ und schließlich, nachdem die Welt entstanden war, den Väinemöinen gebar. Auch zwischen Väinemöinen als Kulturheros, der eine Schwende in den Wald schlug und Ackerland schuf, und Hiawatha, der den Maisgott Mondamin im Ringen besiegte und die wertvolle Pflanze zur Ernährung seines Volkes gewann, besteht eine gewisse Ähnlichkeit.
Der junge und schöne Hiawatha ist freilich bei seiner Brautwerbung um die schöne Mine-haha erfolgreicher als der alte Väinemöinen bei seiner Bewerbung um die Nordlandtochter. Hiawathas Freunde, der Sänger Chibiabos und der starke Kwasind, ergeben mit dem indianischen Kulturheros zusammen ein ähnlich mythisch-magisches Dreigestirn wie Väinemöinen, der Himmelsschmied Ilmarinen und der leichtsinnige aber schöne Lemminkäinen auf ihrer Freifahrt. Die Rolle, die der Gesang in beiden Epen spielt, als Weltschöpfergesang, epische Erzählung und Zauberlied, ist ähnlich, und sogar der Schluss des Hiawatha erinnert an das Kalevala: Väinemöinen muss weichen, als mit dem altklugen Sohn der Jungfrau Marjatta eine neue, christliche Zeit herandämmert, und auch Hiawatha bricht auf, als "Schwarzröcke", christliche Missionare, in sein Land kommen. Beide besteigen ein Boot und fahren auf dem Meer davon. Ganz sicher keine indianische Edda, sondern Kalevala pur.
Werner Bergengruen, Reinhold Schneider: Briefwechsel
Zwei Autoren der "Inneren Emigration", beide Gegner der Nazis, beide gläubig, katholisch, beide bekannte Schriftsteller, die ihren Lesern in dunkler Zeit viel Kraft gegeben haben, um es mal pathetisch auszudrücken. Die beiden haben sich gegenseitig sehr geschätzt, ja geradezu verehrt, und dieser gesammelte Briefwechsel kommt wie eine kleine Reliquie daher. Allerdings muss man nicht glauben, dass die Schreiben der beiden für denjenigen, der etwas über ihre Werke erfahren will, sehr ergiebig ist. Die Briefe sind sehr kurz, keiner der beiden spricht groß von seinen literarischen Plänen, Gedanken, Seelenzuständen. Es sind eher kleine Noten, in denen sie sich gegenseitig ihre Verehrung und Wertschätzung versichern, oft verbunden mit der Übersendung aktueller Werke, kurze Grüße und der Hinweis, dass man sich vom anderen verstanden fühlt, oder dass man ein bestimmtes Gedicht besonders stark empfunden habe ... Dazu einige kurze Texte bzw. Reden von Bergengruen über Schneider und Äußerungen Schneiders zu Bergengruen. Alles sehr karg, sehr dünn, eher ein Andachtsbüchlein für Verehrer der beiden als wirklich ein Stück Literatur.
Im Zauberbann des Harzgebirges
Alte Sagen aus dem Harz in einer sehr schön gestalteten und illustrierten Hardcover-Ausgabe. Interessante Geschichten, Lokalsagen, Entstehungsgeschichten zu bestimmten markanten Punkten in der Landschaft, etwa besonderen Felsen, Geschichten über historische Persönlichkeiten in den Harzstädten. Allerdings, eine Sache muss ich hier doch mal loswerden: Diese Harz-Sagen sind alle furchtbar depressiv und traurig, die wenigsten nehmen ein gutes Ende. Wenn ich dagegen Sagen aus anderen niedersächsischen Gegenden anschaue, die haben wesentlich mehr Humor. Man denke an den Alfelder Hödeken oder die Geschichten um den Huckup, über Zwerge und über Leute, die den Teufel austricksten, den Celleschen Schäfer, an bauernschlaue Dorfmenschen, die sich bei ihren Landesherren in Respekt setzten ... Die Harzer müssen schon bitterarme Leute gewesen sein, wenn sie vor lauter Jammer und Elend noch nicht einmal mehr Humor hatten. Ich habe noch nie so eine traurige Sagensammlung gelesen.
Ina Elbracht: Pentimenti
Ein wunderschön gestalteter Hardcover-Band aus der "Edition 100" im Wurdack-Verlag in einer limitierten Auflage von 100 Stück. Ich habe Nummer 5 erhalten - mit Signaturen der Autorin Ina Elbracht und des Illustrators Daniel Bechtold. Es ist eine phantastische Geschichte, düster und grauenhaft, ein Künstlerroman über einen Maler, der auf seine Art einzigartig ist. Seine Frau hat ehrgeizige Pläne, sie bereitet seine Farben mit geheimen Zutaten zu, kümmert sich um die Publicity und Vermarktung und schafft einen unheimlichen Mäzen heran. In der Einsamkeit eines Waldhauses erschafft der Maler besondere Porträts, eigentlich gegen seinen Willen, er malt junge Frauen, Freundinnen des Mäzens, mit besonderen Farben, die seine Frau für ihn bereitete. Aber was er damit erschafft, ahnt er nicht. Langsam nimmt das Grauen seinen Lauf ...
Eine schreckliche Geschichte, doch voller sprachlicher Schönheit. Ein Buch, das man nicht wieder aus der Hand legen kann, bis die Ereignisse ihren schlimmstmöglichen Ausgang gefunden haben.
Bernd Fischer: Ein anderer Blick: Saul Aschers politische Schriften
Ich habe bereits zwei Textsammlungen der politischen Schriften Saul Aschers gelesen. Das hier vorliegende Buch ist keine weitere Sammlung, sondern es handelt sich um Sekundärliteratur zu den wichtigsten Texten Aschers. Bernd Fischer gibt Inhaltsangaben, Interpretationen und Einordnungen zu zwölf Schriften des Spätaufklärers, darunter "Eisenmenger der Zweite", die "Germanomanie", der "Leviathan", der "Napoleon", die "Geschichte der Revolutionen" und die "Wartburgs-Feier". Außerdem gibt eine Darstellung zu Leben und Werk Aschers. Ein sehr guter Überblick, sehr hilfreich.
Aristoteles: Über Tugenden und Laster / Große Ethik / Eudemische Ethik
Eigentlich war ich nur auf die "Große Ethik" scharf, die Nikomachische habe ich im Studium ausführlich bearbeitet, sie war sogar mein mündliches Prüfungsthema im Fach Politik, die Eudemische habe ich vor ein paar Jahren gelesen. Aber da in dem Band außer der Großen Ethik noch zwei weitere Schriften enthalten waren, habe ich die anderen beiden auch mit gelesen.
Es handelt sich um eine Ausgabe aus dem Jahr 1951, übersetzt und kommentiert von Paul Gohlke, die ich antiquarisch auf Amazon Marketplace erstanden habe. Gohlke erläutert in der Einleitung das Verhältnis der vier aristotelischen Schriften über Ethik zueinander. Wobei ich bislang die erste Schrift, "Über Tugenden und Laster" gar nicht auf dem Schirm hatte. Sie ist auch recht dünn, kaum mehr als eine katalogartige Auflistung diverser Tugenden und Laster nebst kurzer Definition. Eine Jugendschrift, sehr schülerhaft, eben ein Anfang.
"Die Große Ethik" ist trotz ihres Namens von den drei Ethiken des Aristoteles die kürzeste. Und, wie Gohlke darlegt, auch die früheste der drei Ethiken. Bestimmte Gedanken, etwa die Idee von der rechten Mitte zwischen zwei extremen Verhaltensweisen, fehlen hier noch. Auch weist er darauf hin, dass die Große Ethik sich sprachlich deutlich abhebt von den beiden anderen Ethiken, aber einiges mit der Schrift über Tugenden und Laster gemein hat: Bei beiden tritt der Einfluss des äolischen Dialekts deutlich zu Tage, während Eudemische und Nikomachische Ethik eher attisch geprägt sind. Er ordnet die Große also in die Frühphase ein und stellt fest, dass sie die älteste der drei Ethiken ist. In der Eudemischen Ethik, laut Gohlke der zweitältesten, die die zweite Hälfte des Bandes ausmacht, sind die Übereinstimmungen mit der Großen Ethik markiert, sie ist fast doppelt so umfangreich wie die Große Ethik. Alles sehr interessant und Aristoteles ist sowieso ein kluger Kopf, wenn auch etwas spröde. Insgesamt bleibt aber die Nikomachische meine Lieblingsethik, auch aufgrund ihrer klaren Struktur. Ja, sie ist tatsächlich die reifste und ausgearbeitetste von den dreien.
Cecil Northcote Parkinson: Horatio Hornblower
Fiktive Biografie Horatio Hornblowers auf der Basis der elf Hornblower-Bände von Cecil Scott Forrester. Der Verfasser ist übrigens nicht nur selbst bekannt geworden als Autor von Seekriegsromanen, sondern auch der Erfinder des Parkinsonschen Gesetzes.
Ausgehend von fiktiven Unterlagen über Hornblowers Erwerb eines Landguts zeichnet Parkinson den Lebensweg seines Helden nach, erzählt etwas über die Herkunft des Mannes und sein Aufwachsen in ärmlichen Verhältnissen, und wir erfahren auch einige Dinge über das Verhältnis zu Lady Barbara, die Forrester verschwiegen hat.
Sehr gelungen, hat mir Spaß gemacht, und ich habe Lust bekommen, mir die alten Hornblower-Bände noch einmal vorzunehmen.
Werner Koch: Pilatus
Der Untertitel weist dieses Büchlein als historischen Roman aus. Ich selbst würde es eher Sprachkunstwerk in beinahe lyrischer Prosa bezeichnen. Wer hier schon länger mitliest, weiß ja, dass ich Werner Koch seit seiner See-Trilogie liebe, und auch dies hier war wieder ein meisterhaft geschriebener ... Roman?
Es geht um Pilatus, den römischen Statthalter, der Jesus kreuzigen ließ. Nun ist Pilatus in Rom, politisch kaltgestellt und ein Opfer von Intrigen, seine Gegner sind kurz davor, die Schlinge um seinen Hals zuzuziehen. Aber das politische Gezerre ist ihm längst gleichgültig geworden. Seine Frau ist gerade gestorben, der vermutlich einzige Mensch, dem er näher stand, aber auch sie hat er immer wieder vor den Kopf gestoßen, alle liebevollen Gesten wies er zurück. Und nun steht er am Fenster seines Hauses in Rom und sieht einer Katze auf der Straße beim Verenden zu.
Immer wieder kehren seine Gedanken auch zu dem Prozess gegen den sonderbaren Mann zurück, den einige den Messias nannten. Eigentlich einer von Hunderten, vielleicht Tausenden, die damals hingerichtet wurden. Aber irgendwie ist Pilatus dieser Mensch dann doch noch im Gedächtnis geblieben. Langsam kommt ihm die Erinnerung an die kurzen Dialoge mit dem Delinquenten wieder hoch. Und daran, wie seine Frau ihn diplomatisch bat, er solle doch in diesem Falle "besonders gerecht sein". Als ob er das sonst nicht wäre, ärgerte sich Pilatus. Dann denkt er wieder daran, wie er versuchte, die Menschenmenge zu überzeugen, sie solle doch den Jesus losbitten. Und nicht den Barabas. Doch daraus wurde nichts ...
Und nun ist auch noch einer seiner Diener Christ geworden. Immer wieder bemüht er sich, Pilatus mit zu einer Versammlung der Gemeinde zu bringen. Einmal lässt der sich sogar breitschlagen. Doch er kann dem Gerede des Predigers nichts abgewinnen. Und als man ihn erkennt, den Mörder des Messias, weicht die Gemeinde vor ihm zurück. Da nützt es auch nichts, wenn der Diener und der Priester ihm immer wieder versichern, alle hätten sich gefreut über seine Anwesenheit.
Pilatus versinkt immer mehr in seinen Gedanken. Am Ende interessieren ihn Messiasse, politische Intrigen und der Tod seiner Frau nicht mehr. Die einzige Frage, die ihn nach seiner Entmachtung und dem Tod noch interessiert, lautet: "Wo ist meine Katze?"
Nikolai von Michalewsky: Korallenjäger
Jugendbuch über drei Taucher im Mittelmeer, die nach Korallen tauchen. Ein Freund, Roberto, hatte ein besonders ergiebiges Korallenriff entdeckt, Korallen von besonderer Größe und Schönheit, aber auch in besonderer Tiefe. Doch dann verunglückt Roberto tödlich. Er tauchte zu schnell auf, ohne sich die Zeit für den nötigen Abbau des Stickstoffs im Blut zu lassen, erlitt eine Embolie, unrettbar. Er soll senkrecht nach oben aus dem Wasser geschossen sein, undenkbar eigentlich, dass ein alter Fuchs die allererste Regel beim Tauchen so außer Acht lassen kann. Es sei denn, er begegnet dort unten etwas, das gefährlicher ist, als ein Aufstieg im Höchsttempo.
Ricardo, der Ich-Erzähler, war Freund und Schüler Robertos, nun ist er sein Erbe und erhält die Position der reichen Korallenbank. Zusammen mit seinen Partnern Bernard und Marco will er die Fundstelle ausbeuten. Es geht für die drei auch um ihre Existenz, denn sie können ihr gemeinsames Boot nicht mehr bezahlen, wenn nicht ein Wunder geschieht. Doch Gier und Sicherheit beim Tauchen passen nicht gut zusammen. Und das, was Roberto getötet hat, lauert noch immer da unten. Die Gefahr ist tödlich. Und schließlich geht Ricardo seiner letzten Konfrontation entgegen ...
Ein spannender, klar strukturierter und zielstrebiger Jugendroman, der Abenteuerlust, Fragen nach Ethik und Verantwortung und Tragik in sich vereint. Ein bedrückendes unhappy End ist in einem Jugendbuch ja recht selten, aber hier passt es wie die Faust aufs Augen. Dazu sehr authentisch und von großer Sachkenntnis. Beeindruckend.
Stefan Cernohuby: D9E - Die Geister der Vergangenheit
Ich habe den "Loganischen Krieg" nicht gelesen. Den "Spin off" der D9E-Serie wollte ich mir eigentlich erst nach Ende der Hauptserie anschaffen. Ich hatte das irgendwie als netten Schlenker zwischendurch oder als Anschlussserie verstanden. Ein Fehler, wie ich jetzt merkte. Denn der Band "Geister der Vergangenheit" bezieht sich unmittelbar auf den Loganischen Krieg, und bei all den Rückverweisen bleibt das unbefriedigende Gefühl zurück, dass mir ziemlich viel fehlt. André bzw. das, was ich von ihm und seiner Vorgeschichte erfahren habe, hat mir gefallen, und ich habe mich über die 1714 und ihren eigenartigen Humor gefreut. Das war, trotz des erschwerten Reinkommens, auf jeden Fall etwas Positives. Und den Loganischen Krieg hole ich nach.
Dirk van den Boom: D9E - Ruf der Evocati
Gut erzählt, spannend, in der Serie fest verortet und mit den Ereignissen der anderen Bände verbunden, und trotzdem selbsttragend und separat verstehbar. Nach dem rätselhaften Vorgänger eine schöne Leseerfahrung. Es geht um die Entführung einer Wissenschaftlerin durch eine Sekte. Die Frau hat eine Alternative zur Fortbewegung durch den Menger-Raum entwickelt - wichtig für die Raumfahrt, wenn die Hondh durch Sabotage des Menger-Raums in ihrem eigenen Gebiet festgesetzt und aus der Zone der neunten Expansion ausgesperrt werden.
Die Handlung ist klar strukturiert und zielsicher durchgezogen, und ich vergebe mehrere Extrasternchen für Humor. Die beiden Steuerfahnder, die plötzlich einen Mord aufklären müssen und dabei in die intergalaktische Suche nach einer entführten Wissenschaftlerin geraten. Dr, Merrick, die ihre Entführer auf geniale und physikalisch völlig unmögliche Weise auszählt. Duftende Aliens mit ihrer olfaktorischen Sprache. Ferngesteuerte Raumanzüge und der schräge Gonwik aus einer noch schrägeren Roboterzivilisation ... einfach nur gelungen.
Fabienne Siegmund: Herbstfeuer
Fabienne Siegmund: Alissa im Drunterland
Eine kurze Erzählung, die den Alice-Romanen von Lewis Carroll verpflichtet ist, aber auch ein wenig an die unendliche Geschichte erinnert. Die Heldin heißt diesmal Alissa, sie kennt die Alice-Geschichten und gerät in ein Land, das dem Wunderland und Spiegelland verwandt ist: Das "Drunterland". Wobei sehr interessant ist, dass Alices "Wunderland" laut ursprünglichem Manuskript Carrolls heißen sollte "Alice's Adventures under Ground".
Das Drunterland hat ein Problem: Die Uhr des Nachthasen ist abgelaufen. Noch schlimmer, als wenn im Wunderland das weiße Kaninchen zu spät kommt. Das Drunterland ist dem Untergang geweiht. Nur ein Menschenmädchen kann es retten. Das ist Alissas Job. In einem altertümlichen Uhrmachergeschäft beginnt für sie eine abenteuerliche Reise.
Das Büchlein ist reich an wunderlichen Wesen und liebenswerten Einfällen, dabei deutlich düsterer und melancholischer als Carrolls Welt. Schlecht ist es nicht, aber dann doch etwas dünn geraten, und damit meine ich nicht nur die geringe Seitenzahl. Wer mit den Alice-Romanen in die Schranken treten will, sollte schon etwas wuchtigere Geschosse auffahren. Fabienne Siegmund kann eine Menge, aber dies ist einfach nur klein und nett, ein bisschen gewollt, aber es hat wenig Kraft. Ohne das Alice-Monument im Hintergrund wäre es ein ganz ordentliches Märchen geworden, aber so ist es ziemlich blass.
Peter Høeg: Die Kinder der Elefantenhüter
Brillante Mischung aus Logik und Phantasie, Philosophie und Anarchie. Die Kinder eines Pastorenehepaars müssen feststellen, dass ihre Eltern einen ganz großen Kunstraub planen, und versuchen gleichzeitig, dem Jugendamt und der Polizei zu entkommen, die seit dem Untertauchen der Eltern hinter den drei Kindern her sind. Peter, der Ich-Erzähler, und seine blitzgescheite und manchmal ziemlich direkte Schwester Tilte versuchen, eine Katastrophe zu verhindern, während der älteste Bruder die Liebe seines Lebens trifft. Mit einer Gruppe seltsamer Sektenangehöriger und einem Sarg, in dem eine tote Frau zu einer Segnung gebracht werden soll, machen sie sich auf nach Kopenhagen, schlagen immer wieder den Behörden ein Schnippchen und finden auf so krause und abwegige Art immer wieder neue phantastische Puzzleteilchen, dass der Leser einfach nur mit den Ohren schlackern kann.
Ja, es ist irgendwie ein Krimi, alles passt logisch zusammen. Aber das Ganze ist auch wieder so irre und zauberhaft, dass man sich fragen muss, was der Autor eigentlich geraucht hat. Einfach nur toll. Ich möchte einfach nur weiter von Tilte lesen und dabeisein, wenn sich in einem besonderen Moment die Tür öffnet ...
Isaac Euchel. Der Kulturrevolutionär der jüdischen Aufklärung
Aufsatzband mit 16 Texten über Euchel und seine Rolle in der Haskala, der jüdischen Aufklärung. Die Beiträge waren ursprünglich Vorträge auf einer Tagung anlässlich seines 200. Geburtstags im Jahr 2006. Unter anderem gibt es Beiträge zu seiner Biografie und Familiengeschichte, über seine Familie in Kopenhagen, seine Kontakte und das jüdische Leben in Hannover und Königsberg, sowie sein Wirken in Berlin. Dazu ein Vergleich der Gebetsübersetzungen von David Friedländer und Isaac Euchel, mehrere Beiträge über seine Komödie "Reb Henoch", etwas über seine Mendelssohn-Biografie und zwei Aufsätze über seine Bildungskonzeption und jüdische Erziehung. Sehr spannend und sehr gut zu lesen. Ich habe viel daraus gelernt.
Nikolai von Michalewsky: Schatztaucher
Wie im Buch "Korallenjäger" geht es auch in diesem Abenteuer um eine Gruppe von Tauchern, die ein besonderes Ziel haben. Sie sind auf der Suche nach einer gesunkenen spanischen Galeone voller Gold. Den ungefähren Lageort kennen sie aus einer uralten Karte. Tatsächlich finden sie das Schiff - aber in einer solchen Tiefe, dass die Bergung todgefährlich, beinahe unmöglich ist. Wagemut und Gier, verbunden mit der Existenznot der Taucher, lassen die Männer das fast Unmögliche versuchen. Und tatsächlich: Erste Erfolge stellen sich ein. Doch die Goldgier vernebelt ihnen das Hirn. Im Bestreben, möglichst viel von den Barren in möglichst kurzer Zeit emporzuholen, passieren Fehler, die einfach nicht passieren dürfen. Fehler die in diesen Tiefen das Leben kosten.
Nikolai von Michalewsky versteht es, eine spannende Handlung und authentische Taucherfahrung zu einem packenden Roman zu formen. Und erneut ein Roman, der tragisch endet. Der Ich-Erzähler überlebt zwar, aber hat alles verloren, der zweite Überlebende wird mit ziemlicher Sicherheit kurz nach Ende der erzählten Begebenheiten umkommen, weil er sich nicht von dem verfluchten Gold trennen kann ... Beeindruckend.
Isaak Euchel: Vom Nutzen der Aufklärung. Schriften zur Haskala
Der Band enthält sieben zentrale Texte Euchels, die wichtige Eckpunkte der Haskala markieren. Da ist zum einen die Schrift "Nachal Habesor", Strom der guten Nachrichten, mit der Euchel die neue Zeitschrift "HaMeasef", der Sammler, ankündigt, das zentrale Organ der jüdischen Aufklärer. Euchel stellt das Programm der Zeitschrift vor, die Themen, die behandelt werden sollen, und die Personen, die dahinter stehen. Außerdem ist das Vorwort zum Measef abgedruckt. Im Buch findet sich auch der Brief, in dem Euchel den dänischen König als Unterstützer zur Gründung einer jüdischen Schule zu gewinnen versuchte, nebst einem Aufsatz, in dem er sein Bildungskonzept und die Notwendigkeit einer solchen Schule darlegt, und einem kurzen autobiografischen Abriss, um sich dem König als der geeignete Mann hierfür vorzustellen. Der Band enthält ferner eine Verteidigungsschrift, mit der Euchel die "Schwätzer", die sich gegen ihn aussprechen, in die Schranken weist. Sehr spannend ein literarischer Text Euchels, die Reisebriefe des Meschulam Ben Uriah Haeschtemoni, ein Reisebericht, über jüdisches Leben und jüdische Gemeinden im Mittelmeerraum, vor allem Madrid und Livorno, der leider Fragment blieb. Schließlich ein Beitrag über die "Übernachtung der Toten", mit dem sich Euchel an der Diskussion über die frühe Beerdigung beteiligte. Ein zentraler Streitpunkt zwischen Haskala und Orthodoxie in jenen Zeiten.
Sehr schön, dass dem Band die hebräischen Originale im Anhang mitgegeben wurden. Außerdem gibt es ein informatives Nachwort und hilfreiche, weiterführende Fußnoten.
Nikolai von Michalewsky: Tödliche Bergung
Der dritte Taucher-Roman nach "Korallenjäger" und "Schatztaucher". Es geht um ein Flugzeugwrack, das im Mittelmeer in 230 Meter Tiefe liegt. Für Taucher fast unerreichbar. Aber die abgestürzte Maschine birgt wichtige militärische Geheimnisse, und ein amerikanischer Auftraggeber, der das Bergungsschiff "Thor" samt Mannschaft mietet, macht deutlich, dass von der Rettung dieser Geheimnisse der Weltfrieden abhängt. Schon haben sich russische Schiffe aufgemacht, das Wrack zu suchen. Ein Wettrennen mit der Zeit beginnt. Und die Bergung ist ein Spiel auf Leben und Tod.
Robert Sedlitz ist ein Ausnahmetaucher und vermutlich der einzige, der diesen Job überhaupt hinkriegen kann. Und Sedlitz ist zurzeit billig zu haben, denn seit er einen Arbeitgeber wegen unzumutbarer Arbeitsbedingen öffentlich angegriffen hat, engagiert ihn niemand mehr. Doch nun soll er die Sache übernehmen und das Team leiten. Arroganz, Karrieregelüste und Intrigen eines übergangenen Kollegen, der Ehrgeiz eines jungen Tauchneulings und nicht zuletzt die Skrupellosigkeit des amerikanischen Bevollmächtigten machen den ohnehin höchstgefährlichen Tauchgang zu einem Himmelfahrtskommando. Als der jüngste im Team gegen Roberts ausdrückliche Anweisung bei einem Bergungsversuch eingesetzt wird und umkommt, kippt die Stimmung vollends. Robert setzt schließlich alles auf eine Karte und zieht den Job durch. Doch obwohl er das Flugzeug tatsächlich bergen kann, hat er am Ende alles verloren.
Der vermutlich stärkste der drei Taucher-Romane. Allerdings hätte ich jetzt auch keinen vierten mehr lesen mögen, denn das Konzept von Gier, Eitelkeit und dem Gefühl, eine Sache durchziehen zu müssen, was dann zum tragischen Ende führt, scheint mir jetzt ausgereizt.
David Grossmann: Der Kindheitserfinder
Das Buch habe ich vor Jahren angefangen, bin aber stecken geblieben, und dann wurde es auch noch Opfer eines Wasserschadens im Keller ... Jetzt also ein neuer Start mit einem neuen Buch. Erzählt wird die Geschichte des jungen Aaron Kleinfeld, der gerade mit dem Pubertieren beginnt. Seine Freunde sind schon viel weiter, und er ekelt sich ein wenig vor all den sexuellen Anspielungen, die sie machen. Zwischen Ekel und Faszination schwebt er auch, als er im Schrank der Eltern erotische Fotos entdeckt. Und vor allem die Nachbarin, in deren Wohnung er manchmal heimlich eindringt, beschäftigt seine Phantasie.
Dass die Frau auch Gelüste und Phantasien hat, zeigt sich, als sie sich ein erotisches Erlebnis ganz eigener Art verschafft. Sie bittet Aarons Vater, ob er als starker Mann ihr nicht eine Wand in der Wohnung einreißen könne. Sie wolle ein wenig umgestalten. Dem kräftigen, muskelbepackten, schweißnassen Mann mit bloßem Oberkörper bei dieser Arbeit zuschauen zu können, erregt die Frau offenbar sehr, jedenfalls engagiert sie ihn wenig später, eine weitere Wand einzureißen. Und noch eine. Wie soll man da in Ruhe die Pubertät durchziehen?
Aaron klammert sich an seine Kindheit, die alten Spiele, die Geheimzeichen, die er mit seinem Freund ausgemacht hat. Doch der ist ihm inzwischen ins Erwachsenenleben entkommen. Und die Houdini-Nummer, mit der Aaron einmal auftreten will, ist auch kein sicherer Anker. Eher eine todgefährliche Übung.
Ein Roman, der einen zum sehr langsamen Lesen zwingt. Nachdenklich, manchmal mit einem bitteren Humor, irgendwo zwischen Kinderlogik und herber Resignation. Nicht schlecht, aber "Stichwort: Liebe" und "Zickzackkind" haben mir besser gefallen.
Khaled Hosseini: Drachenläufer
Geschichte zweier ungleicher Freunde in Afghanistan - und eines großen Verrats. Ein wirklich beeindruckendes Buch, das sich wie im Rausch liest und unter die Haut geht. Amir und Hassan wachsen zusammen in Kabul auf. Aber Hassans Vater ist der Diener von Amirs Vater. Amir gehört zum Volk der Paschtunen, Hassan zur ethnischen Minderheit der Hazara, die von den Paschtunen unterdrückt und verfolgt werden. Doch zwischen beiden besteht ein besonderes Band, da sie die gleiche Hebamme hatten, also Milchbrüder sind. Dennoch: Amir würde Hassan niemals als seinen Freund bezeichnen. Wohingegen Hassan alles für Amir tun würde.
Beim Drachenkampf von Kabul sind sie ein eingespieltes Team, und Hassan ist Amirs Drachenläufer: Er hat ein untrügliches Gespür dafür, wo die im Kampf von ihren Leinen abgeschnittenen Drachen niedergehen. Und als Amir beim Turnier siegt, läuft Hassan los, um seinem verehrten Herrn den abgeschnittenen Drachen seines letzten Gegners zu bringen. Für Amir nur eine wertvolle Trophäe. Doch Hassan zahlt den höchsten Preis dafür, den ein Junge zahlen kann: Als er den Drachen findet und ihn Amir bringen will,. wird er von einer paschtunischen Jungengang bedroht. Er hätte freien Abzug erhalten, wenn er nur den Drachen herausgerückt hätte. Doch Hassan bleibt eigensinnig, will Amir nicht enttäuschen. Woraufhin die Jungen ihn anal vergewaltigen. Für Hassan ein furchtbares Erlebnis, schlimmer als der Tod. Für Amir, der heimlich zugesehen hat und dem Freund nicht beigesprungen ist, ein Moment des Versagens. Die Schuld, die Erkenntnis seiner Feigheit verändern Amir nicht zum Guten. Er kann Hassan, den er verraten hat, nicht mehr ertragen und versucht, ihn loszuwerden. Schließlich schiebt er ihm seine Uhr unter und behauptet, Hassan habe sie gestohlen. Daraufhin ziehen Hassan und sein Vater fort.
Erst Jahre später, als die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen haben und Hassan gestorben ist, gibt es für Amir eine Chance, seine Schuld abzutragen. Und Geheimnisse aus der Familiengeschichte zu erfahren, die ihn völlig aus der Bahn werfen ...
Ein Roman von der Härte und strengen Logik einer griechischen Tragödie. Unausweichlich fordert das Schicksal die Schuld Amirs ein - ein hoher Preis, den er zuletzt auch bereit ist zu zahlen, auch wenn er extreme Schmerzen auf sich nehmen und dem Tod begegnen muss. Beeindruckend und beschämend zugleich die unerschütterliche Ergebenheit Hasans, der bis zum Tode seinen Freund Amir als besten Freund der Welt geschildert hat. Es ist mehr als korrekt, dass Amir versucht, dieses Unrecht wieder gut zu machen. Einzigartig.
Frank Adam: Hornblower, Bolitho & Co.
Ein Buch über die Zustände in der britischen Marine zur Zeit der großen Romanhelden Hornblower, Bolitho & Co. Ich hatte mir den Inhalt ein bisschen anders vorgestellt. Im Prinzip hatte ich eine literaturwissenschaftliche Analyse erwartet, eine Untersuchung des literarischen Aufbaus, Charakterstudien der Helden, etwas zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte.
Das vorliegende Buch setzt seinen Schwerpunkt aber darauf, die Welt vorzustellen, vor deren Hintergrund diese Seefahrer-Romane spielen. Es werden die unterschiedlichen Schiffstypen vorgestellt, die Art der Besegelung, der Aufbau der einzelnen Decks, die unterschiedlichen Kanonentypen und wie sie bedient werden. Man erfährt etwas über Dienstränge und Uniformen, über die Höhe des Solds in den einzelnen Diensträngen und über die Verteilung von Prisengeldern. Dazu gibt es kurze historische Abhandlungen und Zeittafeln zu den einzelnen Epochen und die Vorstellung verschiedener wichtiger Seeschlachten der britischen Marine. Der Autor berichtet über die Hintergründe der Seeleute, ihre soziale Herkunft, die Ausbildung der Offiziere und Mannschaften und mögliche Aufstiegschancen, aber auch darüber, wie streng die Disziplin an Bord war, welche Strafen wofür verhängt wurden, wie das mit dem Anspruch auf Rum war. Berichtet wird auch über Prostituierte, die mit kleineren Schiffen im Hafen zum Kriegsschiff übersetzten, weil die Seeleute meist das Schiff nicht verlassen durften. Und es gibt umfangreiches statistisches Material. Zum Beispiel über Art und Umfang von Verwundungen und Krankheiten an Bord. Nein, die Wahrscheinlichkeit, an einer Kugel oder einem Säbelhieb zu sterben, war in der britischen Marine zur Hornblower-Zeit äußerst gering, diese Todesursache rangiert unter "ferner liefen". Weit häufiger waren es Krankheiten, meist aufgrund mangelnder Hygiene, und entzündete Bagatellwunden, die bei Arbeiten an Deck entstanden, die den Seeleuten den Garaus machten. Dazu gibt es meist in jedem historischen Kapitel eine kurze Übersicht, wo welcher Romanheld von den geschilderten Ereignissen betroffen war. Also: Viel mehr über die literarische Arbeit Forresters habe ich jetzt nicht erfahren, aber Leuten, die mal einen Seekriegsroman schreiben wollen, kann ich dieses Buch wärmstens empfehlen.
Gabrielle C.J. Couillez: Die Rückkehr der Störche
Das Buch schildert laut Untertitel die bewegte Jugend des Georg Wilhelm Schimper, eines Kurpfälzer Naturforschers und Reisenden. Schimper stammte aus einem verarmten Adelsgeschlecht. Der Vater hatte sich allerdings aus dem Staub gemacht, Georg Wilhelm, sein Bruder und die alleinerziehend Mutter leben in bitterer Armut und müssen sehen, wie sie über die Runden kommen. Die Autorin schildert die Jugend des Protagonisten, also die Zeit, bevor er zu seinen Reisen aufbricht und berühmt wird.
Es sind Hungerjahre, die die Schimpers durchstehen müssen. Georg Wilhelm wird zu Verwandten geschickt und soll ein Handwerk lernen. Der Bruder ist für den Pastorenstand vorgesehen. Aber Georg Wilhelm kann von dem gleichfalls armen Meister nicht mehr beschäftigt werden. Und in seiner Heimatstadt findet er nach Ende der Lehre ebenfalls keine Anstellung. So bleibt nur die eine Chance, sich als Soldat zu verpflichten. Gleichzeitig muss er sich um die kranke Mutter kümmern, während der Bruder sein Studium vernachlässigt und sich stattdessen um Naturforschung bemüht und Pflanzen sammelt.
Es ist schwer zu entscheiden, wer von den beiden nun der größere Hallodri ist. Der Bruder, der sein Studium schleifen lässt und nur dem Hobby des Pflanzensammelns frönt, den daheimgebliebenen Bruder mit der kranken Mutter immer wieder um Geld anhaut, ihn gar zu erpressen sucht. Oder Georg Wilhelm, der tatsächlich seinen Bruder einmal finanziell übervorteilt hat und der sich nun in immer neuen Weibergeschichten sein Mütchen kühlt.
In zahlreichen Briefen der Brüder stellt die Autorin das Verhältnis der beiden sehr lebensnah dar und zeigt, wie es damals war, wenn man aus ärmlichen Verhältnissen kam und etwas zum Beißen brauchte. Doch schließlich kann Schimper seine Vorgesetzten überzeugen, dass er naturwissenschaftliche Studien machen und eine Studienreise in den Süden unternehmen muss. Der Roman endet, als das, wofür Schimper eigentlich bekannt ist, erst losgeht. Eine sehr interessante Vorgeschichte seiner Lebensleistung und eine gelungene Vorstellung eines inzwischen leider vergessenen Forschers.
© Petra Hartmann
Weitere Jahresrückblicke:
Teil I: Januar bis März 2020
Teil II: April bis Juni 2020
Teil III: Juli bis September 2020
Teil V: Dezember 2020